„Krisen zur Störung herunterdimmen“
Interview mit Manuel Atug, Gründer und Sprecher der AG KRITIS. Atug ist Keynote-Speaker auf dem Digital Summit Nord Westfalen am 23. September in Münster.
Atug: Nein, wir können gar nicht komplett autark werden, denn dann müssten wir auch die seltenen Erden aus eigenen Minen schürfen, die wir nicht haben. Digital souverän sind wir, wenn wir zwischen mehreren Lösungen eine auswählen können, die unsere Interessen am besten vertritt. Wenn ich nur die Wahl habe zwischen drei amerikanischen und einer chinesischen Cloudlösung, dann habe ich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Denn in der derzeitigen internationalen Sicherheitslage muss ich damit rechnen, dass ich mich mit jeder der vier Lösungen nicht nur in die Hand eines Großkonzerns begebe, sondern auch in den Einflussbereich des Staates, der dahintersteht.
Wer digital souverän ist – als Staat, Unternehmen oder Privatperson – ist resilient und unabhängig. Das heißt: Eine Krise von außen wird für mich keine Katastrophe, weil ich mit geeigneten Gegenmaßnahmen die Krise zu einer Störung reduzieren kann.
Manuel Atug, Sprecher der AG KRITIS
Warum gewinnt dieses Thema derzeit so an Relevanz?
Atug: Zum einen natürlich aufgrund der weltpolitischen Sicherheitslage. Zum anderen aber auch, weil wir in den letzten Jahrzehnten immer mehr Souveränität aus der Hand gegeben haben. Rechenzentren wurden ausgelagert, Geschäftsprozesse laufen in diversen Clouds, und jetzt werden mit der verstärkten Nutzung von KI auch die Daten aus der Hand gegeben. Zwar fällt es jetzt immer mehr auf, aber trotzdem wollen alle in der Cloud bleiben und beim Glitzerthema KI ohne Ziel dabei sein.
Da müssen wir gegensteuern. Dabei sollten wir nicht vergessen: Datenschutz heißt, die Menschen hinter den Daten zu schützen. Vor Datenmissbrauch, aber auch vor Angriffen auf die Demokratie und die Gesellschaft. Putin versucht, Keile zwischen die europäischen Staaten zu treiben, jetzt versucht es auch Trump. Und einer seiner größten und mächtigsten Unterstützer ist Peter Thiel, Königsmacher von US-Vizepräsident JD Vance und vor allem Strippenzieher hinter Palantir. Die Software, die immer mehr deutsche Sicherheitsbehörden und Geheimdienste einsetzen wollen, in den Händen eines Antidemokraten.
- Was ist kritische Infrastruktur?
Zur kritischen Infrastruktur zählen Organisationen und Einrichtungen, deren Ausfall gravierende Folgen für die öffentliche Sicherheit, Versorgung oder das wirtschaftliche Leben hätte. Dazu gehören beispielsweise Energieversorgung, IT-Technik, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasserversorgung, Ernährung, Finanzwesen, staatliche Einrichtungen und Presse.
- Die AG Kritis
Die AG Kritis, das sind 42 Fachleute, die in kritischen Infrastrukturen tätig sind. Die Gruppe ist unabhängig und arbeitet ehrenamtlich. Einige treten namentlich auf, andere geben ihre Expertise nur anonym weiter, weil sie sonst in Zusammenhang mit ihrem Arbeitgeber gebracht werden. Ziel der Gruppe ist es, die Versorgungssicherheit der Bevölkerung zu erhöhen. Dazu macht sie unter Anderem Gesetzesänderungsvorschläge. Einige Mitglieder geben ihre Expertise beispielsweise weiter als Sachverständige in Landtagsausschüssen, oder bei Anhörungen und in Fraktionsausschüssen auf Landes- und Bundesebene.
Wir haben jetzt in Deutschland auch ein Ministerium für Digitalisierung. „Digitale Souveränität“ gehört dort zu den Kernthemen. Was erwarten Sie?
Atug: Derzeit erwarte ich von dort noch keine Initiativen. Die werden noch ein halbes Jahr benötigen, bis sie handlungsfähig werden. Wenn ich Digitalminister wäre, hätte ich drei Kernforderungen: Erstens, den Einsatz von KI immer und überall prüfen lassen, zweitens, Sicherheitsverstöße beim Einsatz von KI konsequent bestrafen und verhindern, und drittens, bei jeder Forschung zum Thema KI zehn Prozent des Budgets für die Sicherheit einplanen.
Ich mache es mal konkreter. Wer in staatlichen Stellen KI einsetzt, muss sich Gedanken machen, warum und wie er sie einsetzt. Manchmal ist KI eben nicht das beste Instrument. Derzeit ist KI oft Selbstzweck: Ich mache das, damit ich auch mal mit KI arbeite.
Atug: Derzeit erwarte ich von dort noch keine Initiativen. Die werden noch ein halbes Jahr benötigen, bis sie handlungsfähig werden. Wenn ich Digitalminister wäre, hätte ich drei Kernforderungen: Erstens, den Einsatz von KI immer und überall prüfen lassen, zweitens, Sicherheitsverstöße beim Einsatz von KI konsequent bestrafen und verhindern, und drittens, bei jeder Forschung zum Thema KI zehn Prozent des Budgets für die Sicherheit einplanen.
Ich mache es mal konkreter. Wer in staatlichen Stellen KI einsetzt, muss sich Gedanken machen, warum und wie er sie einsetzt. Manchmal ist KI eben nicht das beste Instrument. Derzeit ist KI oft Selbstzweck: Ich mache das, damit ich auch mal mit KI arbeite.
Zum zweiten Punkt: Es gibt Regulierungen für die Sicherheit, beispielsweise den Digital Services Act. Solche Regulierungen sind immer nur so gut wie ihre Rechtsdurchsetzung. Wenn 50 Unternehmen gegen den Datenschutz verstoßen und nur einer davon belangt wird, womöglich mit einer kleinen Geldstrafe, ist das keine Abschreckung für große Konzerne oder Staaten.
Und drittens darf es nicht sein, dass einige Forschende sich mit den Glitzerthemen der Innovationen - wie KI - befassen und die Sicherheitsaspekte von anderen nachträglich geprüft werden müssen. Sicherheit muss integraler Bestandteil von Neuentwicklungen sein.
Bis wann kann Europa digital souverän sein?
Atug: Das dauert bestimmt fünf bis zehn Jahre. Wir haben das Problem jahrzehntelang vernachlässigt, und jetzt gibt es keine Shortcuts.
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Redaktion Wirtschaftsspiegel