Eine Steuer für die Tonne?

Eine kommunale Verpackungssteuer soll Müll im öffentlichen Raum reduzieren, so die Hoffnung in Kommunen wie Tübingen, Konstanz und Köln. Auch in Nord-Westfalen wird das Thema diskutiert. Drei Unternehmen warnen vor dem Bürokratiekollaps, und auch eine Stadtverwaltung ist skeptisch. | Text: Dominik Dopheide
Welche Einwegverpackungen sind in Tübingen steuerwürdig? Dass der Satzung mehr als 20 DIN-A-4-Seiten an Auslegungshinweisen beigefügt wurden, lässt ahnen: Die Antwort ist nicht trivial. Das Material ist kein Kriterium. Auch Naturfaser und Recyceltes werden besteuert. Manchmal macht die Länge den Unterschied: Messen Strohhalm und Rührstäbchen mehr als 14 cm, werden 20 ct Steuern pro Stück fällig. Über kürzere sieht die Stadt hinweg. Auch bei Kleinstverpackungen zeigt sich die Kommune großzügig. Ketchup- und Salatdressing-Tütchen fallen durchs steuerliche Raster, wenn sie weniger als 25 ml fassen. Heiße Speise, kalte Speise? Die Frage ist durchaus relevant: Kommt in Tübingen ein warmes Schnitzelbrötchen in Tüte oder Schachtel, stehen 50 ct Verpackungssteuer auf der Rechnung. Wird der gleiche Imbiss nicht erhitzt, ist die Verpackung steuerfrei. Aber Achtung: Steckt in der Box auch noch Besteck, fällt auch bei kalter Speise Steuer an.
Was hat die Stadt Tübingen veranlasst, eine Regelwelt zu erschaffen, die an Romane Franz Kafkas erinnert? Zwei erklärte Ziele liegen der Steuer zugrunde: Die Kosten der Müllentsorgung sollen zumindest teilweise die Verursacher tragen, zudem soll das Abfallaufkommen im öffentlichen Raum reduziert werden. Zweckgebunden sind Einnahmen aus kommunalen Steuern allerdings nicht. Zahler sind Verkaufsstellen von Einweggeschirr und Einwegverpackungen, die darin Speisen und Getränke für den sofortigen Verzehr oder zum Mitnehmen ausgeben. Zwar hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Satzung für ungültig erklärt, denn es könne nicht typisierend angenommen werden, dass die Speisen und Getränke im Stadtgebiet verzehrt würden. Somit fehle der örtliche Bezug und der Stadt Tübingen die erforderliche Kompetenz. Im November 2024 indes korrigierte das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung. Es sieht den örtlichen Charakter und somit Gültigkeit gegeben, weil die Speisen und Getränke an Ort und Stelle oder als „Take-Away“ verzehrt würden – typischerweise innerhalb des Gemeindegebiets. Im Umkehrschluss erhebt die Stadt Tübingen keine Steuern auf Speisen und Getränke, die typischerweise für die persönliche Bevorratung bestimmt sind. Bringt der Lieferdienst die Pizza ins Haus, ist die Verpackung steuerfrei. Und wo wird wohl ein Fast-Food-Menü verzehrt, das am Drive-in-Schalter überreicht wird? Vor oder hinter dem Ortsschild? Diese Verpackungen jedenfalls hat die Stadt Tübingen von der Steuer ausgeklammert.

Warnung vor Wettbewerbsverzerrung

„Ausgerechnet das nachvollziehbare Ziel, den Abfall aus der Systemgastronomie zu verringern, wird hier also verfehlt“, wundert sich Hubertus Geiping, Geschäftsführer der in Lüdinghausen ansässigen Bäckerei Wilhelm Geiping GmbH & Co. KG. Eine Steuer nach Tübinger Vorbild hält er aber ohnehin für den falschen Weg. „Wir Bäckereien könnten sie nicht tragen, sondern müssten sie an die Verbraucher weitergeben“, erklärt er. Zumindest ein Teil der Kundschaft würde zur Kasse gebeten. „Es droht ja ein Flickenteppich, die einen Kommunen machen es, die anderen nicht“, erklärt der Unternehmer und fügt an: „Wir sind in 23 Gemeinden vertreten, wie soll ich die unterschiedlichen Kurse erklären, dazu kommt die Herausforderung der Übertragung der Daten aus den Kassen“. Geiping warnt: Das alles sei Wahnsinn und zudem Wettbewerbsverzerrung. „Das Kernproblem ist doch, dass der Müll nicht in der Landschaft landet, aber das ist eine Erziehungsfrage“, ist der Geschäftsführer überzeugt. Wie es das Verpackungsgesetz des Bundes verlangt, hat er Becher und Geschirr zum Mehrweg-Gebrauch im Programm. „Aber das Hin und Her ist den meisten noch zu umständlich“, erklärt Geiping. Dennoch ist für ihn eine Mehrweg-Pflicht als Lenkinstrument zur Müllreduktion das Mittel der Wahl. „Es dürften dann aber keine anderen Verpackungen mehr eingesetzt werden“, fordert Geiping.
Katrin Feiertag leitet in Bochum und in Gelsenkirchen Supermärkte.
Katrin Feiertag leitet in Bochum und in Gelsenkirchen Supermärkte. © MORSEY & STEPHAN GMBH
Auch die REWE K. Feiertag EH GmbH & Co.KG bietet Mehrwegalternativen an, etwa an der Salatbar und an der „Heißen Theke“. Das Unternehmen nimmt Geschirr zurück und bringt es zum Spülen. „Wenn wir jetzt mit einer Verpackungssteuer bestraft würden, wäre das aus meiner Sicht nur Geldmacherei“, sagt Katrin Feiertag, die in Bochum und Gelsenkirchen je einen Supermarkt leitet. Es treffe mit Lebensmitteleinzelhandel und Gastronomie Branchen, die angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung ohnehin gebeutelt seien. „Wir werden das nicht alleine stemmen können und Kosten an die Verbraucher weitergeben müssen“, stellt Feiertag in Aussicht. Dass Kommunen die Steuer auch noch unterschiedlich gestalten, kann sie sich nicht vorstellen: „Das ist ja ein Irrsinn, was da auf Kundschaft und Kassierer zukommt“, befürchtet die Unternehmerin. Um so mehr also müsse die Branche die Werbetrommel für das Mehrweg-Konzept rühren. „Das Verfahren ist ja einfach, das müssen wir noch offensiver erklären“, räumt Feiertag ein. Doch auch die Politik sieht sie in der Pflicht: Wenn Mehrweg standarisiert und gefördert werde, steige auch die Akzeptanz.
„Ich habe gehört, dass einige Bäckereien in den betroffenen Städten den Kaffee-To-Go durch ein Fenster ins Auto ausgeben, weil dann die Steuer entfällt“, berichtet Kerstin Tepasse, Geschäftsführerin der in Bocholt ansässigen SAF Tepasse GmbH & Co. KG. Für ihr Unternehmen wäre das keine Lösung: SAF unterhält ca. 1.200 Verkaufsautomaten, die es vor allem in Betrieben aufgestellt hat. Das Unternehmen gibt auf diesem Weg auch Kaffee aus und wäre somit von einer Steuer nach Tübinger Vorbild betroffen.
„Dabei liegt der Betriebsmarkt gar nicht im öffentlichen Raum, das zeigt, wie willkürlich vorgegangen wird“, betont Tepasse. In den Unternehmen nämlich werde der Müll ja getrennt und vom örtlichen Entsorger gegen Gebühren abgeholt. Sie hat die 30 Kommunen angeschrieben, in denen das Unternehmen aktiv ist, um zu zeigen, welche Folgen die Steuer hätte. „Einige haben sich bedankt, weil sich niemand darüber Gedanken gemacht hat“, erzählt die Unternehmerin. Es drohe nämlich der Wegfall einer wichtigen, weil sozialverträglichen Versorgungsform in den Betrieben. „Unser Durchschnittspreis pro Heißgetränk liegt bei 70 Cent, dazu kämen 50 Cent Verpackungssteuer, wenn nach Tübinger Muster vorgegangen wird“, sagt Tepasse. Das sei vielen Mitarbeitenden nicht vermittelbar. Dort, wo die Steuer kommt, will sie deshalb ihre Kunden vom Mehrweg-Prinzip überzeugen. „Der Automat erkennt den mitgebrachten Becher und reduziert den Preis“, erklärt sie. Doch sei in vielen Unternehmen die Nutzung von solchem Geschirr aus sicherheitsrechtlichen Gründen untersagt. Auch deshalb hält Tepasse die Steuer für unverhältnismäßig. „Sie macht keinen Sinn, sondern nur Arbeit, und zwar auch den Kommunen“, ist sie sicher.

Enormer Verwaltungsaufwand

„Besonders die Einführung der Steuer würde einen enormen Verwaltungsaufwand verursachen“, bestätigt Thorsten Smolarz, Kämmerer der Stadt Lengerich. So müssten die Betriebe, die Prozesse umzustellen hätten, beraten und geschult werden. Noch habe die kommunale Politik nicht intensiv über das Thema gesprochen, berichtet Wilhelm Möhrke, Bürgermeister der Stadt Lengerich. Bis zu 180.000 Euro Einnahmen, so schätzen er und Smolarz, wären in Lengerich jährlich zu erwarten. Immer, wenn Möhrke sieht, wieviel Take-Away-Müll rund um die Autobahnauffahrt am Ortsrand aus dem Autofenster geworfen wird, denkt er über die Steuer nach. Doch dann müsste er auch die kleinen Geschäfte im Ortskern zur Kasse bitten. Das widerstrebt ihm, zumal dort das Müllproblem nicht vorliege. „Steuern sind fast wie Strafen, mit ihnen erreichen wir das Ziel nicht“, betont der Bürgermeister und fügt an: „Ich schätze den Kollegen in Tübingen, aber die Verpackungssteuer ist Aktionismus.“ Anreize zu geben für Mehrwegsysteme, ist für Möhrke die bessere Option. „Wer seinen Becher mitbringt, zahlt weniger – das würden viele machen“, ist er überzeugt. Sollte schließlich doch die Steuer in Lengerich kommen, werde die Stadt betroffene Unternehmen entlasten, etwa mit Zuschüssen für Mehrwegsysteme.
Wilhelm Möhrke und Thorsten Smolarz
Für Wilhelm Möhrke (links) und Thorsten Smolarz, Bürgermeister und Kämmerer der Stadt Lengerich, ist die kommunale Verpackungssteuer nicht überzeugend. © MORSEY & STEPHAN GMBH
Doch haben Möhrke und Smolarz noch einen weiteren Grund, abzuwarten: Der Städte- und Gemeindebund NRW weist darauf hin, dass Bundesgesetze an die neue EU-Verpackungsverordnung angepasst werden könnten, die in ihrer Zielsetzung mit der kommunalen Verpackungssteuer übereinstimmen. „Das Thema hätte sich dann auf andere Weise erledigt“, erklärt Smolarz. Jens von Lengerke, Abteilungseiter Handel und Dienstleistungen bei der IHK Nord Westfalen, würde das begrüßen: Die Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer belaste nicht nur die lokalen Unternehmen, sondern auch die Verbraucher. „Wir schaffen uns mehr Bürokratie, ohne dass das eigentliche Ziel erreicht wird – die Menge an Verpackungsabfällen zu reduzieren und die Vermüllung der Innenstädte zu bekämpfen“, warnt von Lengerke.