„Handel wird zur Marktaufsicht“

Die H. Gautzsch Gruppe, ein familiengeführtes Großhandelsunternehmen mit Hauptsitz in Münster, hat rund 1,5 Mio. Artikel der Sparten Elektro sowie Haus und Garten im Sortiment – und somit quasi ein Dauer-Abo fürs Regularien-Labyrinth. | Text: Dominik Dopheide
„Ich verstehe nicht, warum CSRD und viele andere Richtlinien keiner Praxis-Prüfung unterzogen werden, dann hätte man sich die Reparatur mit einer Omnibus-Verordnung sparen können“, sagt Frank Kamischke, Geschäftsführer der H. Gautzsch Firmengruppe. Ohnehin hält er die ESRS, also den Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Zuge der CSRD, für praxisfern. „Es ist schon schwer, ihn zu lesen, dafür sind Schulungen und gegebenenfalls spezielle Software erforderlich, zumal – Stand heute – der Standard noch durch weitere Handreichungen ergänzt wird“, begründet der Unternehmer, der zwei Rechtsanwälte des Hauses mit dem Thema Compliance betraut hat.
„Wir arbeiten zurzeit an 21 dieser Compliance-Projekte, darunter die Entwaldungsverordnung EUDR – eine völlig überkomplizierte Veranstaltung“, berichtet Kamischke. Zwar hätten solche EU-Richtlinien immer einen sinnvollen Kern. Doch bezweifelt der Unternehmer, dass die Autoren sich mit den Gegebenheiten des Großhandels auskennen. „Wir müssen gemäß EUDR für eine Gruppe von 10.000 Artikeln angeben, ob diese Kautschuk enthalten, aber das können wir als Händler selbst gar nicht feststellen“, nennt der Geschäftsführer ein Beispiel. Die Recherche koste viel Zeit und sei oft erfolglos: Die meisten Hersteller kennen die Verordnung noch gar nicht und können folglich auch keine EU-Referenznummern generieren, wie gefordert. „Wir haben unter Umständen die Ware vor den Füßen, dürfen diese aber nicht verkaufen“, stellt Kamischke fest, der bei vielen Compliance-Regularien eine Stoßrichtung erkennt: „Wir Händler werden zunehmend zur Marktaufsicht, weil wir für Verletzungen der Sorgfaltspflicht an jeder Stelle der Lieferkette haften“.
In der Folge werden Kapazitäten gebunden und die Unternehmensentwicklung blockiert. So stellt H. Gautzsch ein zukunftsweisendes KI-Programmierprojekt zurück, weil die EUDR-Auflagen wahrscheinlich bis Jahresende erfüllt werden müssen. Die Programmierarbeiten für diese Verordnung seien extrem kompliziert, weil Warenflüsse des Handels von extern bereitgestellten Informationsprozessen von Marktpartnern überholt werden können, erläutert Kamischke, der die Entwaldungsverordnung einem Team von EDV-Fachkräften und Prozessmanagern auf den Tisch gelegt hat. „Unsere Produktivität hängt vollständig an Prozessen, die EDV-gesteuert sind“, macht der Manager deutlich, dessen wertvolle Ressourcen ausgebremst werden.

Behörden prüfen

Kamischke wirft die zentrale Frage auf: „Warum wird das so überkompliziert geregelt?“ Es scheine, als strebten Regulierer oftmals eine Maximallösung an, ohne eine ausgewogene Abwägung zur praktischen Umsetzbarkeit vorzunehmen. Sein Vorschlag: „In der Lebensmittelindustrie kennzeichnet der Hersteller die Herkunft seiner Güter mit Siegel oder QR-Code, warum muss das für Gartenmöbel viel komplizierter erfolgen?“ Auf die leichte Schulter nehmen kann und will er die immense Compliance-Dokumentation jedoch nicht, die bei täglich tausenden Prozessen zusätzlich anfällt. „Die Behörden prüfen nach“, weiß der Geschäftsführer.
Ähnliches drohe im Zuge anderer Regularien, sagt Kamischke und nennt Beispiele aus dem Unternehmensalltag: Lieferkettengesetz, CSRD, Green-Claims-Verordnung, Ökodesign-Verordnung, Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, EU Bauprodukteverordnung, GPRS, NIS-2, Elektrogesetz, Batteriegesetz, Verpackungsgesetz. Allein die letztgenannten drei Regularien bringen eine Flut an Fragen, die das Unternehmen weit weg treibt vom Kerngeschäft. Eine Auswahl: Welches und wieviel Verpackungsmaterial wird H. Gautzsch aus Österreich in diesem Jahr nach Deutschland importieren? Steckt eine Batterie in einem Gerät und wenn ja, welche? Mit welchem Material wird das Produkt verpackt? Aus welchen Bestandteilen setzt es sich zusammen? An welchen Kunden wird es verkauft? Und wie entsorgt dieser Kunde? Dennoch will er herausfinden, was herauszufinden ist. Zudem stellt er fest: „Die Strafen werden immer drastischer“.
Die EU, so lautet sein Fazit, habe mit ihren Regularien jegliches Maß verloren. Besonders schwierig seien dabei EU-Richtlinien, die innerhalb der Mitgliedsländer jeweils unterschiedlich umgesetzt werden. So entstehe ausgerechnet innerhalb der EU ein undurchsichtiger Vorschriftendschungel, während doch eigentlich genau das Gegenteil der Fall sein sollte. Die H. Gautzsch Gruppe sei zwar so gut aufgestellt, dass sie den „Wahnsinns-Bürokratieaufwand“ meistern werde, aber viele Mittelständler sowie Start-Ups hätten bereits ihre Motivation verloren. Die kraftraubende Regulatorik führe zum Mittelstands-Abbau, indem Betriebe aufgeben, abwandern oder sich in die Hände größerer Organisationen wie H. Gautzsch begeben, die für derartige Aufgaben extra Stellen aufgebaut haben.