Sicher feiern

Weil für die Gefahrenabwehr im öffentlichen Raum neue Maßstäbe gelten, sind die Kosten für die Sicherheit vieler Veranstaltungen massiv angestiegen. Innenstadt-Experten raten, Event-Pläne nicht vorschnell einzustampfen und die Kooperationskultur weiter aufzubauen.
„Das Gute findet Innenstadt“: Mit diesem Slogan macht sich die IHK Nord Westfalen seit Langem für den Standort City stark. Natürlich sind damit auch Events gemeint, deren Strahlkraft in vielen Fällen weit über das Stadtgebiet hinaus reicht. Doch haben sich in den vergangenen Jahren die Rahmenbedingungen für solche Projekte verändert. Mehr denn je müssen öffentliche Veranstaltungen vor bösen Absichten geschützt werden. Das jeweils zuständige Ordnungsamt fordert entsprechende Auflagen, und die Umsetzung kann teuer werden. Die restriktiveren Sicherheitsvorgaben sind die Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit Terroranschlägen und weiteren Gewalttaten der vergangenen Jahre.
Schild auf der Kirmes: Formel 1
2023 starb ein Mann infolge eines Messerangriffs auf dem Send in Münster. Seither sind die Sicherheitsvorkehrungen erhöht worden. © Stephan/IHK
So kamen beim Attentat am Nationalfeiertag 2016 auf der Promenade des Anglais in Nizza 86 Menschen ums Leben, mehr als 200 Personen wurden verletzt. Der Täter fuhr in einem Lkw auf einer Strecke von zwei km durch die Menge. Im selben Jahr und nach demselben Schema vollzog sich der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz, an der Gedächtniskirche im Berliner Bezirk Charlottenburg-Willmersdorf. Nach dieser Überfahrt-Tat waren 13 Todesopfer zu beklagen, mindestens 67 Personen wurden verletzt. Drei Menschen starben infolge des Messerangriffs auf der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen 2024. Beim Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt 2024 wurden sechs Menschen getötet und mindestens 299 verletzt. Der Täter fuhr in einem Pkw mit hoher Geschwindigkeit durch die Menge. Auch in der Stadt Münster kam es in jüngerer Vergangenheit zu tödlichen Gewalttaten im öffentlichen Raum: 2018 kamen bei einer Amokfahrt am Kiepenkerl-Denkmal vier Menschen ums Leben, mehr als 20 wurden verletzt. 2023 starb ein Mann infolge eines Messerangriffs auf dem Send – ein Volksfest mit langer Tradition, das als größte Kirmes des Münsterlandes gilt.

Kluge Kooperationen gefragt

Jens von Lengerke
Jens von Lengerke, IHK-Abteilungsleiter Handel und Dienstleistungen © Grundmann/IHK
„Wir verstehen alle, warum es leider notwendig ist, Innenstadtveranstaltungen sicherer zu machen“, betont Jens von Lengerke, Abteilungsleiter Handel und Dienstleistungen bei der IHK Nord Westfalen. Jetzt komme es darauf an, die Balance zwischen den möglichen Maßnahmen und der Finanzierung zu finden, damit sich vor dem Hintergrund der ohnehin steigenden Preise die Events für Gewerbevereine und Gewerbetreibende rechnen. „Zumindest die schwarze Null sollte herauskommen“, sagt von Lengerke und verweist auf den lohnenden langfristigen Gewinn einer attraktiven Innenstadt-Veranstaltung: den Imagegewinn für den ganzen Wirtschaftsstandort. Können und sollen wir diese Feste trotz der stark angestiegenen Kosten überhaupt noch machen? Diese Frage sei oft von Handel und Gastronomie an ihn herangetragen worden, berichtet von Lengerke. Seine Antwort lautet: „Jetzt erst recht, denn wir dürfen uns das gemeinsame Erlebnis Innenstadtveranstaltung nicht kaputtmachen lassen, weil die Finanzierung schwieriger geworden ist.“ Jetzt seien kluge Kooperationen zwischen den Kommunen und den Veranstaltern gefragt. Wie wichtig ist uns das Event, was wollen wir investieren? Diese Frage müsse jede Kommune von Fall zu Fall selbst beantworten. Schließlich liegt eine attraktive Veranstaltungskultur nicht nur im Interesse des ansässigen Handels: „Es geht darum, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Kommune wohlfühlen – das ist ein Standortfaktor“, macht von Lengerke deutlich.

Sicherheit keine Umsatzbremse

Schausteller Philipp Heitmann vor seinem Autoscooter
Mehr Sicherheitsmaßnahmen auf dem Send in Münster: Philipp Heitmann, 1. Vorsitzender des Schaustellerverbands Münsterland, sieht hierin keine Nachteile für die Schausteller. © Stephan/IHK
Für den Send in Münster gelten besondere Rahmenbedingungen. Die Stadt ist hier selbst Veranstalterin und kommt deshalb für die Sicherheit auf. Die Gefahrenabwehr-Experten der Kommune haben der Kirmes ein umfassendes Sicherheitspaket verordnet: Zum Frühjahrs- und zum Sommer-Send 2025 ist das komplette ca. 32 000 qm große Kirmesareal auf dem Schlossplatz eingezäunt worden. „Wir hatten zuvor sechs Eingänge, zwei haben die Behörden dichtgemacht“, erzählt Philip Heitmann, 1. Vorsitzender des Schaustellerverband Münsterland. „Die übrigen sind so gelegen und von Pollern geschützt, dass kein Auto in die Menschenmenge hineinfahren kann“, erklärt er. An den vier Pforten passiert, was in Fußballstadien seit Langem gang und gäbe ist:
Rita Lensker (links) durchsucht einen Rucksack auf dem Send in Münster.
Bevor Send-Besucher auf das Gelände dürfen, durchsuchen Rita Lensker (l.) und ihre Mitarbeiter Rucksäcke und Co. nach gefährlichen Gegenständen. Lensker ist Inhaberin der PMC Gruppe aus Stadtlohn, einem privaten Sicherheitsdienst. © Stephan/IHK
Taschen und Rucksäcke werden von kommunalem Ordnungsdienst und privater Security kontrolliert. Gegenstände mit Gefährdungspotenzial müssen draußen bleiben. Zudem haben die Schausteller jetzt einen kurzen Draht zu den Ordnungskräften. Die Stadt stellt an Schlüsselpunkten des Platzes Funkgeräte zur Verfügung, damit Polizei und Sicherheitsdienste schnell eingreifen können, bevor eine Situation eskaliert. „Das alles ist eine Reaktion auf die Messerstecherei auf dem Send, aber auch auf den Anschlag in Magdeburg“, berichtet Heitmann und fügt an: „Seit die Maßnahmen ergriffen worden sind und die Polizei ihr Aufgebot verstärkt hat, ist der Send viel ruhiger geworden.“ Viele der Schausteller, darunter er selbst, hatten zunächst befürchtet, dass die restriktiven Sicherheitsvorkehrungen das Geschäft trüben würden.
„Dann haben wir gesehen, dass das Konzept funktioniert und angenommen wird“, sagt Heitmann. Mit rund 250 000 lag die Besucherzahl im Frühjahr auf dem üblichen Level. Angestiegen sind natürlich die Kosten für die Sicherheitsvorkehrungen. Heitmann sagt nur so viel: „Müssten wir Schausteller das stemmen, wie vielerorts der Fall, gäbe es keinen Send mehr.“

Kostenfaktor Seitenstraße

Sicherheitsauflagen nicht finanzierbar: Aus diesem Grund hat die Aktions- und Werbegemeinschaft Hammer Straße e.V. in diesem Jahr das überregional bekannte Hammer Straßenfest nach 38 Ausgaben abgesagt. Das Event gilt als längste Flaniermeile Westfalens, und genau hier liegt das Problem: Es hätten viele Seitenstraßen abgesperrt werden müssen, mit zertifiziertem Material – mobile Poller, die innerhalb von Sekunden umzulegen sind, damit Feuerwehr und Rettungswagen im Notfall passieren können. „Diese Poller sind mit komplexer Elektronik gefüllt, können nur mit Sattelschlepper transportiert und von speziell qualifizierten Fachkräften mit einem Kran aufgestellt werden“, erklärt Andreas Wissing, Geschäftsführer der Aloys Wissing KG und Vorsitzender der Aktions- und Werbegemeinschaft.
Andreas Wissing
Andreas Wissing von der Aktions- und Werbegemeinschaft Hammer Straße wünscht sich eine Neuauflage des dieses Jahr abgesagten Hammer Straßenfests. © Morsey/IHK
Ein Dienstleister hatte ihm als Kostenvoranschlag eine fulminante Summe präsentiert: rund 52 000 Euro. Zum Vergleich: Im Vorjahr durfte die Meile noch mit privaten Lkw dichtgemacht werden, 8 500 Euro fielen für Sicherheitsmaßnahmen an. Rund 10 000 Euro hätte die Aktions- und Werbegemeinschaft in Eigenleistung beisteuern können. „Da bei einem solchen Straßenfest aber vielleicht 6 000 Euro übrig bleiben, hätte das nicht gereicht“, sagt Wissing. Ihm ist bewusst, dass die Kaufmannschaft auch mit der Absage einen Verlust verbucht: „Das Fest ist ja ein Aushängeschild und hat das Image und das Wir-Gefühl des ganzen Quartiers gestärkt“, erklärt er. Wissing hat den Eindruck, dass sich nicht nur die Anwohnerschaft eine Fortsetzung des Hammer-Straßen-Festes wünscht. Immerhin hat das Event in Vorjahren jeweils bis zu 200 000 Besucher angelockt. „Es wäre natürlich schön, wenn uns die Stadt Münster helfen würde, 2026 wieder ein Straßenfest auf die Beine zu stellen“, sagt Wissing und ergänzt: „Wir müssen aber das Konzept etwas ändern“. Sein Vorschlag: Verlagerung in Richtung Südpark, denn das Areal sei ansprechend und zugleich besser abzusichern.

Gute Kompromisse finden

Christoph Uphaus
Christoph Uphaus ist City-Manager der Stadt Dorsten: Er vermittelt bei der Organisation von Veranstaltungen zwischen den verschiedenen Akteuren. © Moritz Brilo
Die relevanten Akteure frühzeitig zusammenzubringen: Das gehört zum Job von Christoph Uphaus: „Ich helfe dabei, Informationsflüsse zwischen Einzelhändlern und Gastronomen, Stadtmarketing, Ordnungsamt oder Veranstaltern zu organisieren und mögliche Konflikte im Vorfeld der Veranstaltung zu moderieren“, erklärt der City-Manager der Stadt Dorsten. Dort ist in der Regel das Stadtmarketing für die Organisation und Realisation von Innenstadt-Events zuständig.
Uphaus motiviert die Unternehmen, sich mit Aktionen oder verlängerten Öffnungszeiten in das geplante Event einzubringen, und unterstützt bei logistischen Fragen – beispielsweise zur Besucherlenkung und Fluchtwegplanung. Das Sicherheitskonzept ist für ihn zu einem zentralen Thema der Veranstaltungsvorbereitung geworden. „Die Behörden legen den Fokus auf Gefahrenabwehr, der Handel wünscht sich möglichst zugängliche, lebendige Flächen, und die Besucherinnen und Besucher möchten ein entspanntes und sicheres Erlebnis“, beschreibt er die Interessen, die in Einklang zu bringen sind. Uphaus hilft mit seiner Moderationsarbeit, tragfähige Kompromisse zu finden. Die nämlich seien nicht nur möglich, sondern unerlässlich, damit Veranstaltungen lebendig bleiben und gleichzeitig die Sicherheitsanforderungen erfüllt werden. „Frühzeitig miteinander ins Gespräch kommen und Verständnis für die jeweils andere Position entwickeln“, so lautet die grundlegende Empfehlung des City-Managers. Die Zeiten, in denen Innenstadt-Events innerhalb weniger Wochen geplant werden konnten, seien vorbei. „Die Erstellung und Prüfung von Sicherheitskonzepten ist inzwischen ein zeitintensiver Prozess, der sorgfältige Detailarbeit erfordert, deshalb sollten die Abstimmungen mit Polizei, Feuerwehr, Ordnungsamt und weiteren Fachstellen mindestens ein halbes Jahr im Voraus beginnen“, betont er. Mit Transparenz, Geduld und dem Willen, pragmatische Wege zu gehen, sei dann in der Regel eine gemeinsame Lösung zu finden. Uphaus verweist darauf, dass Einzelhandel und Gastronomie selbst viel beitragen können zum Sicherheitsgefühl – unter anderem mit der Teilnahme an Absprachen, mit aufmerksamem Personal, klaren Kommunikationswegen und Unterstützung der Besucherlenkung. Der City-Manager verweist zudem auf die wachsende Bedeutung der Digitalisierung: Besucherzählungen in Echtzeit, digitale Lagepläne, mobile Kommunikation zwischen Einsatzkräften sowie die schnelle Information der Besucher über Apps und Social Media könnten helfen, die Herausforderungen effizienter zu meistern. Uphaus geht davon aus, dass die Sicherheitsanforderungen noch weiter steigen werden. „Dennoch dürfen wir unsere Offenheit und Lebensfreude nicht verlieren“, fordert er und fügt an: „Ich bin überzeugt, dass sich Sicherheit und eine lebendige Stadtfest-Kultur auch in Zukunft miteinander vereinbaren lassen – mit kluger Planung, enger Zusammenarbeit und einem guten Blick für das Machbare.“