„Wir wollen Veranstaltungen möglich machen, nicht verhindern“

Verschärfte Sicherheitsauflagen lassen manches Innenstadt-Event zu einem teuren Vergnügen werden. Michael Althammer, Leiter Ordnungsamt Bottrop, und Norbert Vechtel, Leiter Ordnungsamt Münster, geben im Interview einen Lagebericht und Tipps für die Veranstalter.
Michael Althammer (links) und Norbert Vechtel (rechts) stehen auf dem Domplatz in Münster.
Die Ordnungsamt-Chefs von Bottrop und Münster, Michael Althammer (l.) und Norbert Vechtel, schauen sich die Sicherheitspoller auf dem Domplatz in Münster an. © Morsey/IHK
Herr Althammer, Herr Vechtel, schon die erste Fahrzeugsperre auf dem Weg zu einer Innenstadtveranstaltung ruft in Erinnerung: Die Zeiten haben sich geändert. Wie hoch sind die Anforderungen und Erwartungen an die Ordnungsämter geworden, die solche Events begleiten?
Michael Althammer: Die Terroranschläge auf Weihnachtsmärkte sind in den Köpfen hängen geblieben und haben zu einem Gefühl der Unsicherheit geführt. Aber es geht nicht nur um das Thema Veranstaltung. Unsere Gesellschaft hat sich generell entwickelt: Durch Social Media erhalten schlechte Nachrichten eine stärkere Präsenz, auch die Tagespresse trägt mit ihrer Berichterstattung zum steigenden Angstgefühl in der Bevölkerung bei. Die Artikel sind etwas reißerischer geworden.
Also sehen Sie die strengeren Anforderungen an die Sicherheit als politische Reaktion auf einen gesellschaftlichen Willen, der auf subjektiver Wahrnehmung beruht?
Althammer: Das subjektive Gefühl der Bevölkerung ist ja durch Ereignisse entstanden. Wenn wir Auflagen erteilen, müssen die gerichtsfest überprüfbar sein, da spielen subjektive Gefühle keine Rolle.
Norbert Vechtel: Beides kommt zusammen. Die Ereignisse sind das eine. Wir stellen zum anderen fest, dass es eine Polarisierung von Meinungen gibt, die wir als Ordnungsbehörde berücksichtigen müssen. Öffentliche Veranstaltungen haben schon immer eine sorgfältige Planung vorausgesetzt. Jetzt kommen noch Sicherheit und Terrorabwehr hinzu. Letztlich definiert eine Lageeinschätzung unsere Reaktion. Ereignisse haben hier oder anderswo stattgefunden und in Abstimmung mit allen Sicherheits- und Ordnungsbehörden – von der Bauordnung über Feuerwehr und Straßenverkehrsbehörde bis hin zur Polizei. Die Fachleute kommen in einem Koordinierungsgremium zusammen, um zu befinden, welche Maßnahmen eine öffentliche Veranstaltung erfordert. Oder eine private, die in den öffentlichen Raum ausstrahlt.
Althammer: Genauso verfahren wir in Bottrop.
Vechtel: Alle Beteiligten sind lösungsorientiert unterwegs, und die Kommunikation mit den Veranstaltenden ist konstruktiv. Es geht darum, Gefahren bereits im Vorfeld der Veranstaltung zu erkennen und gemeinsam zu beseitigen. Wir wollen Veranstaltungen möglich machen, nicht verhindern – mit dem notwendigen Maß an Auflagen, um den öffentlichen Raum sicherzustellen. Im Übrigen haben die Veranstaltenden längst bemerkt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit eines Events.
Wer haftet eigentlich, wenn etwas passiert?
Vechtel: Grundsätzlich liegt die sogenannte Verkehrssicherungspflicht beim Veranstalter. Dennoch kann die Frage nicht pauschal beantwortet werden. Jeder Einzelfall muss gesondert betrachtet werden.
Seit wann gibt es denn die strengeren Sicherheitskriterien und die Koordinierungsgremien?
Vechtel: Mit dem Orientierungsrahmen für Großveranstaltungen im Freien hat das Land NRW bereits auf die Ereignisse der Loveparade 2010 in Duisburg reagiert. Für die sich anschließende Gremienarbeit ist dieser Orientierungsrahmen die Grundlage. Der Rahmen wird laufend weiterentwickelt. So waren beispielsweise die Überfahranschläge von 2016 in Nizza und auf dem Breitscheidplatz in Berlin jeweils ein Fanal zu weiteren Sicherungsmaßnahmen.
Welche möglichen Bedrohungen muss ein Sicherheitskonzept aktuell abdecken? Gibt es standardisierte Anforderungen?
Althammer: Jede Veranstaltung ist individuell. Deshalb kann es auch kein standardisiert strukturiertes Sicherheitskonzept geben. Und die Gefahrenszenarien sind vielfältig, es gibt hunderte. Wer sich nur auf Überfahrtaten konzentriert, hat einen Fehler gemacht. Es muss nur ein Silvesterknaller in einer Menschenmenge hochgehen, schon flüchten 500 Leute in unterschiedliche Richtungen. Oder denken Sie an die Räumung eines Platzes, weil ein Gewitter aufzieht. Der Orientierungsrahmen dient dabei nur als Leitfaden, der das Zusammenspiel zwischen Polizei, Ordnungsamt und anderen sicherheitsrelevanten Akteuren regelt. Die Verantwortung für Prüfung und Genehmigung liegt bei uns. Die Polizei hat im Gremium nur eine beratende Funktion. Es gibt, zu unserem Bedauern, in NRW kein Veranstaltungsgesetz. Es ist nirgendwo konkret geregelt, unter welchen Voraussetzungen Veranstaltungen durchgeführt werden dürfen. Andere Bundesländer haben so ein Gesetz.
NRW als Lichtung im Bürokratie-Dschungel?
Vechtel: Ja, wir arbeiten wirtschaftsfreundlich und stärken die Verantwortung der einzelnen Akteure, sich selbst über Sicherheit Gedanken zu machen. Gleichzeitig müssen unsere Maßnahmen gerichtsfest sein. Somit wird unsere Aufgabe als Gefahrenabwehrbehörde eine besondere Herausforderung. Deshalb müssen wir von den Veranstaltenden ein schlüssiges Sicherheitskonzept einfordern. Es muss alle Aspekte berücksichtigen, vom Sanitätsdienst bis zur Abwehr von Überfahr-, also Terrorattacken. Im Koordinierungsgremium fließen alle Empfehlungen zusammen. Wir prüfen in jedem Einzelfall das Konzept und genehmigen es, wenn es stimmig ist. Wir beraten die Veranstaltenden und haben dazu eine Kontaktstelle eingerichtet. Wichtig ist
Althammer: Weil wir mehr Auflagen festsetzen, ist es schwieriger geworden, eine Veranstaltung zu finanzieren. Du kannst ja einen Glühwein nicht für zwölf Euro verkaufen. Eine zentrale Frage lautet: Wieviel Zuschuss zahlt die Stadt? Es gibt Kommunen, die alle sicherheitsrelevanten Auflagen übernehmen.
Können Kommunen nur den Geldhahn aufdrehen oder haben sie noch weitere Optionen, zu unterstützen?
Althammer: Nach dem Anschlag von Magdeburg im Dezember 2024 haben wir bundesweit gemerkt, dass sich etwas verändert hat. Die Polizei hat uns als Genehmigungsbehörde den Hinweis gegeben, Schutz gegen Überfahrtaten einzuplanen. In vielen Städten wurde der Karnevalsumzug abgesagt. Die Stadt Bottrop hat eine pragmatische Lösung gefunden: 40 städtische Müllfahrzeuge waren als Straßensperren im Einsatz, um die 40 000 Besucher zu schützen.
Vechtel: Wir haben für Münster, nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz, ein auf Jahrzehnte angelegtes Konzept zur Sicherung von öffentlichen Plätzen entwickelt. Feste statische oder versenkbare Poller – zertifizierte Sperrmaterialen – werden an Plätzen eingesetzt, die immer wieder als Veranstaltungsort dienen. Die Veranstaltenden finden hier also ohnehin eine kommunale Infrastruktur vor – ein Riesenvorteil. Weil wir eine historisch gewachsene Altstadt mit vielen Zufahrtsmöglichkeiten haben, setzen wir zudem mobile Komponenten ein: Zur Verfügung stehen mehr als 100 Wassertanks, zudem flexible Absperrpoller aus Metall sowie Zufahrtssperren mit Kippelementen.
Wie teuer war das alles?
Vechtel: Teuer. Die Anschaffungskosten für weitere Poller und die Zufahrtssperren mit Kippelementen beliefen sich allein im Jahr 2024 auf 252 400 Euro. Die fest installierten Poller sind über einen längeren Zeitraum finanziert. Wir haben zum Beispiel sechs Weihnachtsmärkte in der Innenstadt, die wir an rund 40 Sperrstellen absichern können. Wir haben das gesamte Konzept nach dem Anschlag von Magdeburg sofort auf den Prüfstand gestellt und gesehen, dass wir nicht nachrüsten müssen.
Althammer: Wir haben nach Magdeburg, zur Absicherung von Kirmes und Rosenmontagszug, blitzschnell bei einem Hersteller aus der Nachbarstadt Herne zertifizierte Lkw-Sperren erworben. Das waren 360 Elemente, die in der Anschaffung 374 000 Euro gekostet haben. Dazu kommen jeweils Kosten für den Auf- und Abbau sowie Personalkosten. An manchen Strecken müssen Sperren ja überwacht werden, damit beispielsweise Besucher auch mit einem Doppel-Kinderwagen oder Rettungsfahrzeuge rein- und rauskönnen.
Wenn Veranstaltungssicherheit künftig so viel kostet, wie sollen kleinere Kommunen oder einzelne Stadtteile damit klarkommen? Wie können beispielsweise Vereine und Werbegemeinschaften aus eigener Kraft zu Sicherheit beitragen? Bottrop-Kirchhellen scheint ein Vorbild zu geben in dieser Sache…
Althammer: Die Bauernolympiade dort hat bis zu 30 000 Zuschauer. Für uns war nach Magdeburg klar, dass wir mit den Veranstaltern ins Gespräch gehen und ihnen sagen, dass sie das Dorf abriegeln müssen. Das waren keine einfachen Gespräche, denn die Veranstaltung ist nicht gewinnorientiert. Die machen das, um das Gemeinwohl zu fördern und weil sie gerne feiern. Kirchhellen hat viele Zufahrtswege, es gibt 30 kleinere Straßen aus allen Himmelsrichtungen. Diese Herausforderung hat das Dorf hervorragend gemeistert, es wurden alle verfügbaren geeigneten landwirtschaftlichen Fahrzeuge aus der Scheune geholt und als Sperre eingesetzt.
Aber ein Trecker ist doch als Terrorsperre nicht zertifiziert…
Althammer: Versuchen Sie mal so einen Traktor wegzuschieben mit dem Pkw. Juristisch gesehen bewegen uns in einer Grauzone, es gibt nicht viel Urteile. Was kann man von uns verlangen? Was dürfen oder müssen wir verlangen? Strenge Sicherheitskriterien ab 10 000 oder 50 000 Besuchern? Oder bei jeder Veranstaltung? Aber wir wollen ja ein gesellschaftliches Leben. Im Orientierungsrahmen hat das Ministerium festgelegt, dass jede öffentliche Veranstaltung vom Ordnungsamt in ein Ampelsystem einsortiert werden soll. Rot sind die Veranstaltungen mit sehr großem Gefährdungspotenzial. Sie müssen abgesagt oder nachgebessert werden. Die gelbe Kategorie signalisiert erhöhtes Gefährdungspotenzial, wenn etwa viele Menschen auf engem Raum sich befinden, wie bei Rosenmontagszug oder Weihnachtsmarkt. Da fordern wir zertifizierten Schutz gegen Überfahr-Taten. Die meisten Veranstaltungen in Bottrop sind grün. Da stimmt sich das Gremium zwar ab, muss sich aber nicht treffen. Für das Dorffest in Kirchhellen werden wir sicher eine kostenfreundliche Lösung finden oder sogar unsere Sperren kostenlos verleihen.
Vechtel: Genauso bei uns: Wir stellen für Veranstaltungen ohne Gewinnorientierung unser Sperrmaterial kostenfrei zur Verfügung. Diese Lösung hat bereits beim Hiltruper Frühlingsfest sehr gut funktioniert und wird zurzeit für den Handorfer Herbst vorbereitet. Wir sollten aber nicht nur an die Terrorsperren denken, die beispielsweise gegen Messerattacken nicht helfen können. Genauso wichtig sind ein aufmerksames Veranstaltungsmanagement und die Sensibilisierung der involvierten Personen, auf ungewöhnliche Vorfälle zu achten. Auf einer Kirmes wie dem Send statten wir einige Schausteller mit unseren Funkgeräten aus. Wenn also das Handynetz ausfällt, können wir trotzdem kommunizieren und haben sehr schnelle Meldeketten. Gemeinsam mit der Polizei oder mit dem Kommunalen Ordnungsdienst in Vierer-Streifen gehen: All das zeigt Wirkung und belegt, dass es auch Ansätze zur Verbesserung der Sicherheit für Veranstaltungen gibt, die keine zusätzlichen Kosten verursachen.
Althammer: Aber eines muss uns auch klar sein: Absolute Sicherheit kann es nicht geben. Sonst müssten alle Innenstadt-Veranstaltungen in einer Burg stattfinden.