Bürokratieentlastung vorantreiben – neue Wachstumskräfte entfesseln
Wie ist es?
Wenn es um die Einschätzung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geht, benennen inzwischen viele Mitgliedsunternehmen die Belastung durch unnötige Bürokratie als drängendstes Problem. Entgegen den Entlastungsversprechen sieht sich die Wirtschaft mit immer mehr Berichtspflichten und regulatorischen Vorgaben konfrontiert. Und weitere Belastungen sind noch auf der Agenda. Eine entschlossene Reduzierung bestehender und der Verzicht auf neue Bürokratie sind insoweit zwei ganz zentrale Stellschrauben für mehr wirtschaftliches Wachstum.
Mit dem Bürokratiekostenindex (BKI) veröffentlicht das Statistische Bundesamt bereits seit mehreren Jahren einen indexierten Kennwert, mit dem die bürokratische Belastung der Unternehmen monatlich gemessen wird. Der BKI repräsentiert den Aufwand, der Unternehmen u. a. aufgrund von erforderlichen Antragstellungen sowie Melde- und Nachweispflichten entsteht. Basis des Kennwerts sind die Bürokratiekosten der Wirtschaft zum 1. Januar 2012. Auf Grundlage der zum Februar 2024 vorliegenden Zahlen bis einschließlich September 2023 ist der Index seither lediglich um 2,3 Prozent zurückgegangen. Das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Rückgang von lediglich 0,2 Prozent.
Der Nationale Normenkontrollrat kommt in seinem aktuellen Jahresbericht 2023 darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass der über die reinen Bürokratiekosten hinausgehende laufende Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft, die Verwaltung und die Bürger noch nie so hoch gewesen ist wie heute und fordert, diesen Trend zu stoppen. Während der laufende Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft in den Jahren 2014 bis 2021 noch vergleichsweise konstant bei rund 5 Mrd. Euro pro Jahr lag, wuchs er in den letzten Jahren insbesondere durch das Mindestlohngesetz und das Gebäudeenergiegesetz auf 10 bzw. 15 Mrd. Euro pro Jahr auf.
Der einmalige Erfüllungsaufwand, unter dem in erster Linie die Wirtschaft leidet, ist im Betrachtungszeitraum 2022 und 2023 gegenüber dem Vorzeitraum 2020 und 2021 von rund 2,6 Mrd. Euro auf rund 20,2 Mrd. Euro angewachsen, was überwiegend auf das Gesetz zur Änderung des Gebäudeenergiegesetzes und mehrerer Verordnungen zur Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien (BMWK) zurückzuführen ist.
Wie soll es sein?
Bürokratieabbau zu einem zentralen Handlungsfeld machen
Die Grenzen der Belastbarkeit für die Wirtschaft sind erreicht. Die Politik muss den Bürokratieabbau daher nun endlich zu einer vordringlichen Aufgabe machen. Der Bürokratieabbau muss zu einem zentralen Handlungsfeld sowohl auf der Ebene der politischen Steuerung als auch in den einzelnen Organisationseinheiten der Exekutive werden. So muss sich auch in den staatlichen Behörden die Einsicht durchsetzen, dass der einmalige und der laufende Erfüllungsaufwand ein wesentlicher Hemmschuh für neues wirtschaftliches Wachstum im Lande ist.
Bereits eine Reduzierung der Bürokratiekosten – gemessen am BKI – von durchschnittlich 1 Prozent statt 0,2 Prozent pro Jahr könnte den Prozess der Rückführung der Bürokratiekosten erheblich verkürzen. Erforderlich wäre ein – gemessen am Bürokratiekostenindex – verbindliches Abbauziel von mindestens 25 Prozent.
Was ist jetzt zu tun?
- Atempause bei neuen Gesetzen und Aufgabenkritik in Behörden
Auch die politischen Entscheidungsträger müssen erkennen, dass immer neue staatliche Regelungsideen gerade nicht geeignet sind, die bürokratischen Belastungen schnell und wirksam zu senken. Schon eine selbst verordnete Atempause für neue Ideen und staatliche Regelungswut sowie die ernsthafte Bereitschaft, sich einer Aufgabenkritik zu unterziehen, würden wichtige Signale an die Unternehmen senden. Dem Grundsatz: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es nötig, keines zu erlassen.“ muss wieder Geltung verschafft werden. Eine Rückbesinnung auf die wirklich zentralen Staatsfunktionen hilft zudem, an dieser Stelle den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren.Eine Überführung der „One In One Out“ in eine „One In Two Out“-Regel hat der Nationale Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht 2023 gefordert. Dem sollte zwingend gefolgt werden, um der bürokratischen Belastung Grenzen zu setzen. Wünschenswert ist aus Sicht der Unternehmen freilich eine „One In Many Out“-Regel. Entscheidend aber ist am Ende nicht, auf wie viele Regeln verzichtet wird, sondern auf welche und wie hoch die tatsächliche Entlastungswirkung ausfällt.
- EU-Regulierungslast und Bürokratie reduzieren
Da die wirtschaftsrelevanten Gesetze mittlerweile maßgeblich in Brüssel entstehen, ist es folgerichtig, dass Deutschland und Frankreich in Sachen Bürokratieentlastung auch auf europäischer Ebene vorangehen. Gleichzeitig ist die Bundesregierung in der Pflicht, eine möglichst schlanke und praxisorientierte Umsetzung der EU-Regulierungen in Deutschland sicherzustellen.Ganz konkret sollten die konstruktiven Anmerkungen der IHK-Organisation zum Thema CBAM aufgegriffen werden, um zu bürokratiearmen Anpassungen im Rahmen der zweijährigen Übergangsphase zu kommen.Ansatzpunkte für einen konkreten und wirksamen Bürokratieabbau gibt es aber auch im täglichen Verwaltungshandeln vor Ort. Auch diese Spielräume gilt es im Sinne der Unternehmen zu nutzen.
- EU-Regelungen vereinfachen und erleichtern und Bürokratiebremsen nutzen
Die EU-Ebene sollte entsprechende Vorschläge aufgreifen und für weitreichende Bürokratieentlastungen sorgen, zum Beispiel das Zulassungsverfahren für die EU-Chemikalienverordnung REACH vereinfachen, die RE-Zertifizierung bereits auf dem Markt befindlicher Medizinprodukte erleichtern sowie die Datenschutzgrundverordnung überprüfen, damit die Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen greifen können.Das Prinzip „One In Many Out“-Regel müsste auf Bundes- und auf EU-Ebene eingeführt werden. Damit würden mit jeder neuen Vorgabe mehrere bestehende entfallen. Dies würde zu echten Entlastungen führen.
- Vorhandenes Bürokratieentlastungspotenzial tatsächlich nutzen
Der Referentenentwurf für ein Viertes Gesetz zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie nutzt die vorhandenen Potenziale bei Weitem noch nicht aus. Im parlamentarischen Verfahren des „Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes“ sollte der Deutsche Bundestag daher weitere Bürokratieentlastungspotenziale für die Wirtschaft heben. Vorschläge hierfür liegen auf dem Tisch, wie zum Beispiel die Vorschläge der IHK-Organisation. Dazu zählt vor allem auch die Reduktion des Erfüllungsaufwandes aufgrund statistischer Berichtspflichten der Unternehmen, die voll digitalisiert und automatisiert werden könnten.
- Verkürzung von Aufbewahrungsfristen
Unternehmen verlieren nach wie vor viel wertvolle Zeit und räumliche Kapazitäten aufgrund bestehender Aufbewahrungsfristen. Der Referentenentwurf für ein Viertes Gesetz zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie sieht eine Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre vor. Dieser Schritt ginge grundsätzlich in die richtige Richtung. Den Unternehmen muss aber noch mehr Luft zum Atmen gelassen werden, u. a. durch eine Selbstverpflichtung von Bund und Ländern auf Betriebsprüfungen spätestens fünf Jahre nach der Steuerentstehung zu verzichten. Damit einhergehend sollten auch die Aufbewahrungsfristen auf maximal fünf Jahre verkürzt werden.
- Register digitalisieren – „Once Only“ endlich in die Tat umsetzen
Die öffentliche Hand sollte für eine Vernetzung der Register der öffentlichen Hand sorgen, damit das sogenannte „Once only“-Prinzip greifen kann: Unternehmen müssen Daten dann nicht mehrfach zuliefern, die bereits bei der öffentlichen Hand vorliegen.
- Durchgängige Digitalisierung sichern – Bundesweit einheitliche Plattform bereitstellen
Die durchgehend digitale Beteiligung sollte über eine bundesweite Plattform für Antragsteller, Behörden und Gerichte gewährleistet werden. Antragsunterlagen, Gutachten und Pläne sollten für die gesamten Verfahrensdauer von Antragstellern, beteiligten Behörden und im Klagefall von Gerichten durchgängig digital abgerufen und bearbeitet werden können.Der Nationale Normenkontrollrat hat vorgeschlagen, die Bundesministerien zu verpflichten, Standards und Schnittstellen für ihre Kompetenzbereiche verbindlich zu definieren und fachübergreifende Standards von einer Ebenen übergreifenden Digitalisierungsagentur entwickeln, betreuen und vorgeben zu lassen. Gerade bei der Entwicklung von digitalen Basisdiensten sollte der Bund vorangehen und diese mit möglichst allen Ländern bei einer gemeinsam getragenen Digitalisierungsagentur in Auftrag geben. Die Kompromissbereitschaft der Länder dürfte sich erfahrungsgemäß mit steigendem finanziellen Entgegenkommen des Bundes erhöhen, beispielsweise durch die zentrale Übernahme der Finanzierung des Betriebs und der Weiterentwicklung durch den Bund bei gleichzeitiger Möglichkeit eines dezentralen Betriebs.