Verkehrspolitik

Resolution der IHK Nordschwarzwald zur Zukunft der „Gäubahn“

I. Die Industrie- und Handelskammer spricht sich für einen schnellen und umfänglichen Ausbau der Gäubahn sowie eine direkte Einbindung in den internationalen wie regionalen Schienenverkehrsknoten Stuttgart aus. Dabei stellt sie fest:

  1. Die „Gäubahn“ ist die zentrale Schienenverkehrsachse südlich von Stuttgart. Mit ihrem Namen ist der 172 Kilometer lange Streckenabschnitt zwischen Stuttgart und Singen verbunden. Ihr kommt als Teilstück der europäischen Magistrale Berlin-Norditalien internationale Bedeutung zu. Bereits im Jahr 1996 wurde zwischen der Schweiz und Deutschland im Vertrag von Lugano – mit der „Vereinbarung zum grenzüberschreitenden Schienenverkehr“ – festgehalten, inwiefern es einer Ertüchtigung dieser Strecke für entsprechende Fahrzeitverkürzungen bedarf. In den letzten Jahrzehnten ist die Gäubahn fast ausschließlich für den Personenverkehr genutzt worden. Gleichwohl sieht der Staatsvertrag von Lugano die Achse Stuttgart-Zürich bezüglich des internationalen Güterverkehrs auch als wichtige Entlastungsstrecke im Zulauf zum Gotthard-Basistunnel im Rahmen der Neuen Eisenbahn Alpentransversale (NEAT) vor. Seit der Tunnel-Fertigstellung im Jahr 2016 wäre hier Potenzial für mehr Güterverkehr, der Zustand der Strecke erschwert das aber erheblich. Die Gäubahn hat also sowohl für den Personenverkehr als auch für den Güterverkehr strategische Bedeutung für das gesamte Land. Während die Schweiz ihre vertraglichen Verpflichtungen umfänglich erfüllt, wartet man auf deutscher Seite bei der Gäubahn seit Ende der 1990er Jahre auf wesentliche infrastrukturelle Verbesserungen.
  2. Für die Wirtschaftskraft der Region Nordschwarzwald kommt der Attraktivierung der Gäubahn aus drei Gründen große Bedeutung zu.
    a. Die Anbindung der Region an den internationalen Personenfernverkehr ist für alle Branchen ein wichtiger Standortfaktor – vom starken, mittelständisch geprägten produzierenden Gewerbe bis hin zu den erfolgreichen und international bekannten Tourismuskonzepten, mit denen die Akteure weiterhin erfolgreich für einen nachhaltigen Tourismus stehen möchten.
    b. Die Mobilität von Fachkräften ist für den wirtschaftlichen Erfolg ein wesentlicher Faktor. Sie ist dabei in beide Richtungen gleichermaßen bedeutend. Denn der Mittelstand unserer Region wirbt mit großem Einsatz erfolgreich um internationale wie nationale Fachkräfte, die auch aus der Region Stuttgart einpendeln. Dazu seien drei Initiativen beispielhaft erwähnt:
    - Der neue Campus Schwarzwald in Freudenstadt, der mit einem Master-studiengang der Universität Stuttgart junge Fachkräfte mit zahlreichen „world champions“ des Maschinenbaus vernetzt. Diese bundesweit einmalige Initiative umfasst große Investitionen und dauerhaftes Engagement vieler Unternehmen.
    - Die Duale Hochschule Baden-Württemberg, die mit ihrem Campus in Horb und dessen Partnerunternehmen überregional Fachkräfte für die Unternehmen der Region gewinnen lässt.
    - Die Außenstelle der Hochschule Pforzheim in Nagold, an der – auch durch die Kooperation mit international agierenden Unternehmen unserer Region –Fachkräfte berufsbegleitend akademisch weitergebildet und damit weiter an die Unternehmen gebunden werden können.
    c. Der internationale Güterverkehr braucht aus Gründen den Klimaschutzes wie aus geostrategischen Gründen leistungsfähige Schienenverbindungen. Dies gilt auch für die zukunftsgerichteten Konzepte kombinierter Verkehre. Der im Januar 2023 gestartete Betrieb des „Black Forest Terminals (BFT)“ ist vor diesem Hintergrund einzuordnen. Für den Betrieb wären weiterhin eingleisige Streckenabschnitte oder Konfliktsituationen mit Personenverkehren, von denen der Güterverkehr im Landkreis Böblingen bisher größtenteils entmischt war, fatal.
  3. Die Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald hat die Planungen und politischen Entscheidungen zu Stuttgart 21 bisher positiv begleitet sowie den potentiellen Mehrwert für die zukünftige Leistungsfähigkeit ihrer regionalen Wirtschaft früh erkannt und öffentlich betont. Ausgangslage dafür waren auch Versprechen von Entscheidungsträgern unterschiedlicher politischer Ebenen und Richtungen, für schnellere und dichtere Schienenanbindungen aus unserer Region nach Stuttgart – dem dann besonders leistungsfähigen internationalen Schienenverkehrsknotenpunkt der Zukunft. Das ist auch Maßstab für die aktuelle Diskussion, für aktuelle Entscheidungen und für weitere mittel- wie langfristige Planungen. Die IHK und andere Akteure zeigten sich dabei stets geduldig. Relativierende Ausführungen zur verminderten Leistungsfähigkeit der Strecke – mit den historischen Hinweisen zur seinerzeitigen Demontage des 2. Gleises während der französischen Besatzungszeit – wurden verständnisvoll eingeordnet. Letztlich beziehen sie sich aber immer auf den seit vielen Jahrzehnten schlechten Zustand der Schieneninfrastruktur, der einen Einzugsbereich von mehr als zwei Millionen Einwohner des südlichen Baden-Württembergs mit der Stadt Stuttgart und dem Rest des Landes verbinden soll. Es ist spätestens jetzt an der Zeit, die Gäubahn umfänglich, nachhaltig und mit konkreten Maßnahmen zu attraktiveren.

II. Positionen und Forderungen der IHK Nordschwarzwald zur Gäubahn:

  1. Die IHK Nordschwarzwald begrüßt die am 18. Juli 2022 erzielte Einigung des Lenkungskreises Stuttgart 21 zum „Gäubahn Abschnitt Nord“. Aktuell wird von Baukosten von ca. einer Milliarde Euro ausgegangen, wobei 270 Millionen Euro aus dem S 21-Budget im Lenkungskreis beschlossen wurden. Der Bau und die Inbetriebnahme des „Pfaffensteigtunnels“ ermöglichten die Integration der Gäubahn in den sogenannten Deutschlandtakt und eine gute Anbindung an den internationalen Fernverkehr. Damit käme man den seinerzeitigen Versprechen rund um die Entscheidungen zum Bahngroßprojekt Stuttgart 21 nach. Die IHK Nordschwarzwald fordert für Planung und Bau des Pfaffensteigtunnels die schnellstmögliche Realisierung durch Nutzung sämtlicher planerischer Beschleunigungsmöglichkeiten (Stichwort „Legalplanung“) sowie die Einhaltung der Finanzierungszusage des Bundes für die weiteren Kosten.
  2. Aktuell wird mit einer Fertigstellung des Pfaffensteigtunnels im Jahr 2035 gerechnet. Eine „Abbindung“ der Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof während der Bauzeit des Tunnels ab 2025 mit einem solchen Zeitraum ohne leistungsfähige Alternative lehnt die IHK Nordschwarzwald ab. Umstiege führen zu erheblichen Fahrgastzahlenverlusten. Ein Zustand, in dem der Süden Baden-Württembergs vor den Toren der Innenstadt Stuttgarts dauerhaft „auszusteigen“ hätte, beziehungsweise bei dem der Weg in den Süden des Landes nur über „Umschlagplätze“ erfolgen könnte, ist unvorstellbar. Eine solche Unattraktivität der Gäubahn über zehn Jahre wäre auch ob der negativen Symbolkraft nicht zu unterschätzen und birgt auch für die Region Nordschwarzwald mit ihren Unternehmen großes Schadenspotenzial. Der bei der Gäubahn-Konferenz am 19. Juli 2022 vereinbarte und am 25. November 2022 vom Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn (IV GNBB) durchgeführte „große Faktencheck“ bestätigte die bisherigen Positionen der IHK Nordschwarzwald: Eine Umlenkung der Gäubahn über Tübingen an den Stuttgarter Hauptbahnhof ist aufgrund der längeren Fahrzeiten und wegen der dann deutlich schlechteren Verbindung zum Raum Böblingen-Sindelfingen abzulehnen. Auch bei der Idee mit einer Umlenkung über Renningen, wodurch auf der für den Güterverkehr wichtigen Strecke bis Renningen und weiter im Norden mit dem Nahverkehr aus Richtung Leonberg Überlastungen mit vielen Ausfällen für Personen- und Güterverkehr drohten, ist von keiner leistungsfähigen Alternative auszugehen. Die erstmals beim Faktencheck geäußerte Idee, die S-Bahn bis Horb am Neckar, Rottweil oder durchgängig bis Singen verlängern zu wollen, kann einen Beitrag zur Darstellung einer leistungsfähigen Alternative leisten. Gegebenenfalls darf es dabei aus Sicht der IHK Nordschwarzwald aber zu keinen nachteiligen Auswirkungen auf die Güterverkehre sowie Querverkehre – insbesondere vor dem Hintergrund der unter II. 5. aufgeführten für die Attraktivierung der Gäubahn notwendigen Maßnahmen – kommen.
  3. Die IHK Nordschwarzwald fordert den Erhalt der Panoramabahngleise – also des Streckenabschnitts der Gäubahn von Stuttgart-Vaihingen in Richtung Stuttgarter Hauptbahnhof – mit einer entsprechenden Ertüchtigung dieser Strecke. Diese Ertüchtigung, die auch die notwendige Digitalisierung der Stellwerke umfasst, muss schnellstens erfolgen.
    Ferner begrüßt sie die Planung zur Schaffung eines „Nordhalts“ im Bereich des Stuttgarter Nordbahnhofs. Ein solcher Nordhalt soll mit den Panoramabahngleisen auch nach dem Bau des Pfaffensteigtunnels eine wichtige Funktion zur Entmischung von Personennahverkehren – insbesondere in Richtung Feuerbach und Bad Cannstatt – sowie eine bedeutende Redundanzfunktion einnehmen können. Darüber hinaus fordert die IHK Nordschwarzwald bis zur Fertigstellung des Pfaffensteigtunnels die direkte Durchfahrt der Gäubahn zum Stuttgarter Hauptbahnhof – dies fordert sie jedenfalls so lange, wie sich keine gleichermaßen gute Alternative aus dem Faktencheck mit der nachgelagerten „Plausibilitätsprüfung“ des IV GNBB ergibt.
  4. Die IHK Nordschwarzwald begrüßt den aktuellen Bau einer „Doppelspurinsel“ zwischen Horb und Neckarhausen. Gleichwohl braucht es hier mehr Tempo auf der gesamten Strecke „Gäubahn Abschnitt Süd“ (Böblingen bis Schweizer Grenze). Sie fordert mittelfristig eine durchgängige Zweigleisigkeit – auch vor dem Hintergrund internationaler vertraglicher Verpflichtungen und dem Ziel eines klimafreundlicheren Personen- wie Güterverkehrs. Kurzfristigere Infrastrukturlösungen mit „Doppelspurinseln“ für eine Leistungsverbesserung der Strecke sieht die IHK Nordschwarzwald zwar positiv, allerdings nicht als Ersatz für die zu erzielende durchgängige Zweigleisigkeit.
  5. Die IHK Nordschwarzwald begrüßt die bei der Sitzung des IV GNBB am 14. Juli 2022 getroffene sowie bei der Gäubahn-Konferenz am 19. Juli 2022 wiederholte Zusage des Landes Baden-Württemberg, das heutige Fahrplanangebot einschließlich der IC-Nutzung mit Nahverkehrstickets bis mindestens in die 2030er-Jahre hinein absichern zu wollen. Auch die dabei vom Land geäußerte Zielsetzung, ein integrales Regionalzug-Verkehrsangebot mit einer Verdichtung auf einen ½-Stunden-Takt tagsüber bis einschließlich Horb/Eutingen ab 2025 zusätzlich zum Fernverkehrsangebot schaffen zu wollen, wird – unabhängig von der Frage der Gäubahn-Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof – unterstützt.
    Diese Entwicklung entspricht in ersten Schritten der grundsätzlichen Forderung der IHK Nordschwarzwald für eine bessere, weil auch dichtere Schienenverkehrstaktung in die Region Nordschwarzwald. Die Attraktivität der Gäubahn wird aber auch ganz wesentlich durch die Attraktivität der Querverbindungen zu ihr als Hauptachse bedingt. Als weitere Schritte erwartet die regionale Wirtschaft daher die durchgängige Elektrifizierung der Nagoldtalbahn (alias „Kulturbahn“) vom Haltepunkt „Hochdorf (b Horb)“ nach Pforzheim.
    Insbesondere der Abschnitt Hochdorf bis Nagold-Stadtmitte ist für eine Realisierung des von der IHK Nordschwarzwald präferierten Konzepts „Metropolexpress“ (MEX) zur direkten, umstiegsfreien Schienenanbindung Nagolds bzw. des gesamten oberen Nagoldtals in die Region Stuttgart von großer Bedeutung, ermöglichte dieses doch auch eine ökonomisch und ökologisch kluge Verknüpfung mit dem MEX Freudenstadt unter Nutzung von Kuppeln und Flügeln in Eutingen im Gäu.
    Die Erwartungshaltung der regionalen Wirtschaft ist hier vor dem Hintergrund der unter I. 2. a. und b. genannten Gründe sowie etwaiger Einschränkungen während der Bauzeit des Pfaffensteigtunnels besonders hoch.
Pforzheim, 29.03.2023
gez. Claudia Gläser
Präsidentin
gez. Tanja Traub
Hauptgeschäftsführerin