IHK-Medieninformation

Arbeitskräftemangel: Neues Allzeithoch erreicht

IHK: „Stehen erst am Anfang“ – 71 Prozent können offene Stellen nicht besetzen (23.11.2023)
„Wir suchen Dich“ – solche oder ähnliche Slogans sind an nahezu jedem Firmengebäude zu lesen. Der Fach- und Arbeitskräftemangel in der niederbayerischen Wirtschaft ist allgegenwärtig. Eine Unternehmensbefragung der IHK Niederbayern zum IHK-Fachkräftereport 2023 hat nun ergeben: Der Engpass verschärft sich. Trotz einer allgemein schwachen wirtschaftlichen Entwicklung nimmt der Arbeitskräftemangel weiter zu und immer mehr Betriebe sind davon betroffen, erläutert IHK-Hauptgeschäftsführer Alexander Schreiner: “71 Prozent der niederbayerischen Betriebe können ihre offenen Stellen nicht besetzen, weil sie keine passenden Arbeitskräfte finden. Das ist ein neues Allzeithoch. Vor einem Jahr lag dieser Wert noch neun Prozentpunkte niedriger, 2019 sogar erst bei 52 Prozent. Und schon damals sprach man von einer problematischen Lage. Heute steht der Arbeitskräftemangel bei den Betrieben als Risikofaktor mit Abstand auf Platz 1.”

Betriebe suchen vor allem Personal mit Aus- oder Weiterbildung

Der Mangel zieht sich durch Unternehmen aller Größen und Branchen, am stärksten betroffen sind aber die niederbayerischen Industrieunternehmen. Gut drei Viertel von ihnen finden kein passendes Personal. Es folgen Dienstleistungsunternehmen mit einem Anteil von 67 Prozent, aber auch mehr als jeder zweite Händler oder Tourismusbetrieb meldet offene Stellen. Wichtig ist Schreiner dabei, welche Kräfte genau gesucht werden: In über der Hälfte der Betriebe mit offenen Stellen fehlen der IHK-Umfrage zufolge Mitarbeiter mit einem beruflichen Fortbildungsabschluss wie Meister oder Fachwirt. 58 Prozent sind weiterhin auf der Suche nach Auszubildenden, also nach Nachwuchs in der beruflichen Bildung. Vergleichsweise gering ist hingegen der Bedarf an neuen Mitarbeitern mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss, diese werden nur in etwa einem Drittel der Betriebe gebraucht.

Demographischer Wandel wird Problematik verschärfen

Blickt man auf die weitere Entwicklung, ergibt sich für die Arbeitskräfteproblematik keine Entwarnung – im Gegenteil. „Das Problem wird sich noch verschärfen, allein schon aufgrund des demografischen Wandels“, sagt Schreiner. Bis zum Jahr 2035 gehen in Bayern rund 1,5 Millionen mehr Arbeitskräfte in den Ruhestand als Schulabgänger nachkommen. Wie reagieren die Betriebe darauf, was sind ihre Maßnahmen gegen den Personalmangel? Auch das hat die IHK gefragt. Die meisten Unternehmen investieren demnach in ihre Arbeitgeberattraktivität und wollen die Ausbildung weiter stärken, um eigene Fachkräfte heranzuziehen. Am dritthäufigsten nennen die Betriebe eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Speziell in der Industrie erwägt jeder zweite Betrieb Investitionen in technische Lösungen wie Digitalisierung und Automatisierung, um die fehlenden Fachkräfte auszugleichen. Im Tourismus spielt mit 83 Prozent die Einstellung von Fachkräften aus dem Ausland eine große Rolle.

Potenziale müssen besser ausgeschöpft werden

Bei diesem Thema hakt Schreiner ein: „Ohne Fachkräftezuwanderung wird es nicht gehen. Komplexe rechtliche Vorgaben, bürokratische Hürden und langwierige Verfahren machen es der Wirtschaft aber bisher sehr schwer, Kräfte aus dem Ausland an den Standort zu bringen. Die beschlossenen Änderungen beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz bringen ab März einige Verbesserungen, das ist aber nur ein erster Schritt. Und in der Umsetzung muss sich beweisen, ob die neuen Regeln auch unbürokratisch und für die Betriebe praktisch nutzbar sind.“ Gleichzeitig stellt Schreiner klar: Zuwanderung ist ein Baustein von vielen im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel. Entscheidend sei ebenso das Ausschöpfen inländischer Potenziale, etwa mit Blick auf die unterdurchschnittliche Vollzeitbeschäftigung von Frauen – lediglich 48 Prozent der Frauen, aber 91 Prozent der Männer in Niederbayern arbeiten in Vollzeit. Eine längere Beschäftigung älterer Mitarbeiter oder die „stille Reserve“ unter den Arbeitslosen soll laut Schreiner ebenfalls stärker in den Fokus rücken. Wichtig sei zudem ein effektiver Bürokratieabbau, um Unternehmer wie Mitarbeiter im Arbeitsalltag zu entlasten. „Vor allem aber muss die berufliche Bildung gestärkt werden und die gesellschaftliche Anerkennung erhalten, die ihr zukommt. Den Vergleich mit Akademikern brauchen Fachkräfte mit beruflicher Aus- und Fortbildung keinesfalls zu scheuen, weder beim Niveau der Abschlüsse noch beim Verdienst und schon gar nicht bei den Karrierechancen in der Wirtschaft“, bekräftigt der IHK-Chef.
Die IHK selbst sei daher sehr aktiv in der Berufsorientierung, um das Wissen über die berufliche Bildung zu verbessern, zum Beispiel mit jungen „AusbildungsScouts“ die in den Schulklassen von ihrer eigenen Ausbildung berichten, mit Auftritten auf Elternabenden oder durch Lehrerfortbildungen. Direkt an die Unternehmen wenden sich unter anderem die Bildungs- und Fachkräfteberater der IHK, die gemeinsam mit Unternehmern und Personalverantwortlichen passgenaue Konzepte zu Recruiting, Mitarbeiterbindung oder Personalentwicklung erarbeiten und dabei das Fortbildungsprogramm der Akademie sowie die Foren und Netzwerke der IHK zum Thema aufgreifen. „Beim Arbeitskräftemangel stehen wir heute erst am Anfang. Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen, gleichzeitig braucht es aber auch Unterstützung und Erleichterungen durch die Politik sowie letztlich ein gesamtgesellschaftliches Umdenken“, fordert Schreiner angesichts der aktuellen Zahlen aus dem Fachkräftereport.
Die Ergebnisse des Fachkräftereports können Sie inklusive aussagekräftiger Grafiken hier sehen.