Titelthema

„Im Moment zu leben hilft, Stress abzubauen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren“

Eine Führungsposition ist immer mit einem hohen Maß an Verantwortung verbunden. Dazu zählt auch die Verantwortung, gut für sich selbst und die Mitglieder des eigenen Teams zu sorgen. Wie gelingt es, sich selbst und andere im Blick zu behalten? Impulse gibt IHK-Trainerin Antoniya Hasenöhrl aus Passau, Beraterin und Coach für Personal- und Persönlichkeitsentwicklung.

Führungskräfte nehmen in Unternehmen eine „Sandwich-Position“ ein: Häufig spüren sie einerseits den Druck von höheren Instanzen, permanent überproportional gute Leistungen erbringen zu müssen.  Andererseits sind da die Erwartungen des Teams.

Der Anspruch, allen Erwartungen gerecht zu werden, ist in der Tat sehr herausfordernd und kann für Führungskräfte zum Balanceakt werden. Eine wichtige Rolle spielt hier die Beziehung zur eigenen Führungskraft. Nur wenn mein Chef Vertrauen in meine Fähigkeiten hat und mir Freiraum gibt, kann ich echte Verantwortung für meine Aufgaben und mein Team übernehmen. Neben diesem Vertrauen gibt es eine weitere Grundvoraussetzung: das Wissen darüber, welche Erwartungshaltungen vom Vorgesetzen und vom Team überhaupt vorliegen. Was ist meine Aufgabe als Führungskraft und woran werde ich gemessen? Das wird in Unternehmen oftmals nicht klar kommuniziert. Eine solche Orientierung darf und sollte eine Führungskraft beim jeweiligen Vorgesetzten und auch dem Team aktiv einfordern. Das schafft Klarheit und verhindert Enttäuschungen auf beiden Seiten.

Dann ist da der Anspruch an sich selbst. Es ist sicher kein Klischee, dass Führungskräfte dazu neigen, besonders kritisch mit sich selbst zu sein und sich selbst zu permanent hoher Leistung verpflichten?

Im Coaching beobachte ich immer wieder, dass viele Führungskräfte den Anspruch an sich selbst haben, alles perfekt machen zu wollen. Dabei rennt man einem unrealistischen Selbstbild hinterher. Perfekte Chefin oder perfekter Chef sein zu wollen und sonst alles in der Freizeit diesem Maßstab unterzuordnen? Die Frage ist doch: Was ist wirklich die Aufgabe und können auch 90 Prozent gut genug sein? Eine Abmilderung kann wieder eine klar kommunizierte Zielsetzung und Erwartungshaltung schaffen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie es Führungskräften gelingen kann, nicht auszubrennen und Selbstfürsorge zu betreiben.

Das zentrale Stichwort lautet aus meiner Sicht: Selbstführung. Wenn ich mich selbst gut führen kann, achte ich automatisch auf mich. Um sich selbst nicht zu verlieren und zugleich der Rolle gerecht werden zu können, sollten Führungskräfte selbstreflektieren und ihre blinden Flecken, Motive und Denkmuster überprüfen. Nach Burkhard Bensmann, Experte für Selbstführung, lässt sich Selbstführung als Zusammenspiel von Selbsterkenntnis, Selbstverantwortung und Selbststeuerung definieren. Zunächst muss ich herausfinden:
Wer bin ich, was will ich und warum? Zum Thema Selbstverantwortung: Es fällt immer wieder auf, dass Menschen die Schuld im Außen suchen und nicht bereit sind, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und zuerst in den Spiegel zu schauen. Nun gilt es, aus diesem Jammertal und der Ohnmacht herauszukommen, um überhaupt handlungsfähig zu werden. Der Leitspruch in diesem Zusammenhang lautet: „Love it, change it or leave it!“ Es bleiben diese drei Alternativen. Eine Entscheidung zu treffen, gibt das Gefühl von Kontrolle über sich selbst und über das eigene Leben. Das erhöht die Selbstwirksamkeit immens. Selbststeuerung schließlich beschreibt die Fähigkeit, das eigene Verhalten, die Gedanken und Emotionen aktiv zu kontrollieren und zu lenken, um persönliche Ziele zu erreichen oder sich in verschiedenen Lebenssituationen angemessen zu verhalten.

Welcher Mehrwert ergibt sich, wenn Führungskräfte in der Lage sind, sich selbst zu führen?

Die Vorteile sind vielfältig und erstrecken sich auf ein besseres Verständnis für die eigenen Emotionen und Verhaltensweisen über einen verbesserten Aufbau guter beruflicher Beziehungen, die Klarheit über persönliche Ziele und Werte, psychische Flexibilität und Fokussierung bis hin zu einer erhöhten Zufriedenheit und Resilienz. Ebenfalls wichtig: Selbstführung wirkt sich positiv auf das gesamte Unternehmen aus. Starke Führungskräfte erleichtern die Bewältigung schwieriger Marktbedingungen, reagieren flexibel auf dynamische Anforderungen und tragen dazu bei, Konflikte und Fehler als Chancen zu betrachten.

Von der Theorie in die Praxis: Gibt es Tools, um Selbstführung zu erlernen?

Selbstführung erfordert Disziplin, Übung und gelegentlich eine Prise Improvisation. Zudem ist es für Führungskräfte nicht einfach, den Weg der Selbstführung allein zu beschreiten. Hier kann Unterstützung von außen sehr sinnvoll sein – als Hilfe zur Selbsthilfe.
So einfach es klingen mag: Eine wichtige Rolle spielt das Wissen über die eigenen Werte und Bedürfnisse. Sich gelegentlich die Zeit für Selbstreflexion zu nehmen, ist essenziell. Offenheit für neue Erfahrungen, Lernbereitschaft und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, sind entscheidend. Ein Blick auf die Gesundheit und das Wohlbefinden ist unerlässlich. Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und genügend Schlaf tragen dazu bei, in Bestform zu sein. Die Pflege von sozialen Beziehungen und der Aufbau unterstützender Netzwerke sind ebenfalls von großer Bedeutung für mehr Resilienz und bessere Selbstführung. In Zeiten des Wandels ist Flexibilität gefragt – immer wieder zu überprüfen: Bin ich auf dem richtigen Weg? Was will ich weiter machen, was anders machen und was nicht mehr? Ein weiterer hilfreicher Punkt ist Achtsamkeit: Im Moment zu leben – bewertungsfrei – hilft, Stress abzubauen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Kommen wir auf das Team der Führungskraft zu sprechen. Besteht ein Zusammenhang zwischen Selbstführung und der Fähigkeit, ein Team „gut zu führen“?

Absolut, der Ökonom und Managementdenker Peter Drucker betonte einst die Bedeutung der Selbstführung für effektive Führung. In der Praxis sehen wir deutliche Unterschiede zwischen Führungskräften, die ihre Selbstführung beherrschen, und jenen, die dies vernachlässigen. Diejenigen, die sich selbst erfolgreich führen können, tragen maßgeblich zu einer positiven Teamdynamik bei. Dies wird besonders deutlich in dem bekannten Sprichwort: Menschen verlassen nicht Unternehmen, sondern ihre Chefs.

Abgesehen von der Selbstführung: Haben Sie konkrete „Selfcare-Tipps“ für den Führungsalltag?

Bekannte Energiequellen, die dennoch oft vernachlässigt werden, sind Zeit in der Natur verbringen, Social Media-Detox, sich aus der ständigen Erreichbarkeit lösen, gute Gespräche führen und
Prioritäten setzen. Es lohnt sich, darauf verstärkt den Fokus zu legen. Ab und zu mal „Nein“ zu sagen, hilft auch.
Die IHK-Akademie Niederbayern bietet mit Antoniya Hasenöhrl ein 2,5-Tages-Seminar zum Thema „Selbstführung – Die Basis für effektive Fach- und Führungskräfte“ an. Die Teilnehmer lernen unter anderem, was selbstbewusstes und verantwortungsvolles Handeln bedeutet und erlangen mentale Stärke und Resilienz. Das Seminar findet vom 25. bis 27. September in Straubing statt. Weitere Informationen finden Sie hier