Fünf Jahre Incoterms® 2020

Anfang 2025 feierten die Incoterms®2020, die weltweit bekannten Lieferbedingungen, den fünften Jahrestag ihres Erscheinens. Von der Internationalen Handelskammer (ICC) im September 2019 veröffentlicht und Anfang 2020 in Kraft getreten, machte sich die ICC mit der Neuauflage der Incoterms auch selbst ein Geburtstagsgeschenk, feierte sie im September 2019 auch gleichzeitig ihr 100-jähriges Bestehen.
Und wie immer in den vergangenen Jahrzehnten seit 1970, wenn die ICC in regelmäßigen Zehn-Jahres-Abständen eine Neuauflage ihrer wohl bekanntesten Publikation vorlegte, war die „Aufregung“ im Markt der Kaufleute groß und man fragte sich: Was gibt es Neues, was hat sich geändert seit der Vorauflage? Oft gab es dann die vorschnelle Erkenntnis, dass sich ja eigentlich kaum etwas geändert habe und man daher keine größere Sorgfalt bei Nutzung der standardisierten Vertragsklauseln an den Tag legen müsse. Leider liegt aber gerade hier eine große Tragik des Handelsgeschäfts.
Denn eine nur oberflächliche Betrachtung der typischerweise aus drei Buchstaben bestehenden Incoterms lassen leicht übersehen, wie viele zusätzlich Aspekte „automatisch“ mit der Incoterms-Verwendung als Vertragsvereinbarung des Kaufgeschäfts aufgenommen werden. Da sind zum einen die jeder Incoterms-Klausel vorangestellten „Erläuternden Kommentare für Nutzer“, die ergänzt werden durch eine sehr umfangreiche, nämlich 20-seitige „Einführung“ in den Gesamttext der Incoterms®2020. Beide Textbestandteile verstehen sich als unterstützende Auslegungshilfe zum Gebrauch der Incoterms und werden damit Vertragsbestandteil. Schließlich wird in den meisten Praxisfällen nicht daran gedacht, dass ergänzend zu den Regelungen der Incoterms-Klauseln (z.B. EXW, FCA usw.) sowie ergänzend zu den jeweiligen „Incoterms-Regeln“, die die einzelnen Verpflichtungen von Verkäufer (Regeln A 1 bis A 10 jeder Klausel) und Käufer (Regeln B 1 bis B 10 jeder Klausel) näher bestimmen, immer auch Normen des Gesetzes zum Internationalen Warenkauf (CISG) zu beachten sind. Das Regelwerk der ICC wird nämlich an allen Stellen, an denen es noch Regelungslücken der Incoterms gibt, durch die gesetzlichen Bestimmungen des CISG ergänzt (so etwa durch die Art 30 ff CISG zu „Pflichten des Verkäufers“, Art 35 ff CISG zur „Vertragsgemäßheit der Ware“, Art 45 ff CISG „Rechtsbehelfe des Käufers bei Vertragsverletzungen“ usw.). Damit ist klar: Die Vereinbarung einer simplen Drei-Buchstaben-Klausel hat eine ganze Kette juristischer Konsequenzen zur Folge, die sich nachhaltig auf den Geschäftserfolg auswirken kann.
Die Erfahrung von nunmehr fünf Jahren praktischer Anwendung der Incoterms® 2020 zeigt, dass Kaufleute viele dieser vertragswichtigen Aspekte nicht richtig erkennen und Incoterms oft auch nicht richtig einsetzen. Dies kann zulasten des wirtschaftlichen Erfolgs eines nationalen wie internationalen Kaufgeschäfts gehen, in vielen Fällen auch unnötigerweise die Liquidität eines Unternehmens belasten oder schlimmstenfalls sogar zu einem herben Verlust führen, weil etwa Vertragsrisiken, die sich aus einer Fehleinschätzung von Risiko- und Kostentragung des Geschäfts ergeben, falsch eingeschätzt wurden.
Das interaktive Tool „Incoterms 2020 Digital Guide“ unterstützt Nutzende in Deutschland und international seit 2021 bei der Wahl einer passenden Klausel. Aus den inzwischen mehr als 10.000 generierten Klausel-Empfehlungen ist erkennbar, dass in den meisten Fällen die Klausel FCA (Free Carrier) sowie die drei sog. D-Klauseln (DPU, DAP und DDP) empfohlen werden. Dies ist nicht überraschend, wenn man die Praxis kennt. Die Statistiken zeigen weiterhin, dass die große Mehrheit keine rechte Vorstellung davon hat, welche Klausel eigentlich ihren Interessen am besten gerecht wird: Nur ca. 18 % der Nutzerinnen und Nutzer kennen die für sie passende Klausel. Daraus lässt sich ableiten, dass es in den Unternehmen verstärkter Schulungen zum Instrument der Incoterms®2020 bedarf, um Risiken auszuschließen und den wirtschaftlichen Erfolg von Kaufgeschäften dauerhaft zu stärken. Die Unterstützung durch den Geschäftsbereich International der Industrie- und Handelskammer kann hier durchaus Lösungswege für den Unternehmensalltag aufzeigen; für komplexe Fachfragen, die oft auch vertragstechnische und risikoabsichernde Problemlösungen erfordern, empfiehlt sich das Hinzuziehen der rechtsberatenden Dienstleister.
Die Incoterms sind und bleiben gerade in der für die Weltwirtschaft besonders herausfordernden Zeiten ein Brückenbauer. Sie sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie auf internationaler Ebene gemeinsame Wege beschritten werden können. Das wird sich auch in der voraussichtlich für 2030 anstehenden Neuauflage widerspiegeln.
Quelle: Incoterms® / Autor: Christoph von Bernstorff