Titelgeschichte IHKplus 06/2022

„Bildung kann einem keiner nehmen“

Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist eine Chance für Unternehmen und (künftige) Beschäftigte. Durch die steigende Zahl von Geflüchteten aus der Ukraine rückt das Thema wieder verstärkt ins Blickfeld der Firmen.
Text: Lothar Schmitz
Milan Krainovic ist Elektrotechnik-Ingenieur und gelernter Kfz-Mechatroniker. In Köln hat er sein Unternehmen CABUVAN aufgebaut. Die Chancen, die er selber hatte, will er auch anderen ermöglichen und seinen Beschäftigten helfen, ihr Potenzial als Fachkräfte zu entfalten. Dazu gehört für ihn, alle gleich zu behandeln und allen ihre Chancen zu verdeutlichen. Im Fall von Matija Skvorc heißt das: ihn dabei zu unterstützen, seinen kroatischen Berufsabschluss und seine dortige Berufserfahrung hier in Deutschland anerkennen zu lassen. „Dass er qualifiziert ist, sehe ich jeden Tag“, erzählt Krainovic. Aber mit einer offiziellen Anerkennung habe er alle Möglichkeiten, sich weiterzubilden, außerdem sei sie sehr motivierend für ihn. „Bildung“, fährt er fort, „ist das Einzige, was einem keiner nehmen kann. Umso wichtiger ist es, seine ausländischen Berufsabschlüsse hier offiziell anerkennen zu lassen.“ Matija Skvorc hat mit Krainovics Unterstützung das Anerkennungsverfahren eingeleitet, das derzeit noch läuft.
Skvorc und Krainovic lernten sich 2016 kennen, sie teilten die technische Leidenschaft für Reisemobile. Krainovic hatte sich gerade in Köln-Deutz selbstständig gemacht, mit seinem Unternehmen CABUVAN rüstet er Reisemobile nach, etwa mit einer autarken Energieversorgung über Solarmodule. Außerdem plant und installiert das Unternehmen nach Kundenwunsch sowie geltenden Vorschriften und Erfahrungswerten die elektrischen Systeme von Yachten. Krainovic brauchte Fachkräfte und stellte Skvorc ein, der in Kroatien Elektrotechnik gelernt und studiert und entsprechende Berufserfahrung gesammelt hatte.

Den Weg zur Anerkennung frei gemacht

„Die IHK Köln hat den Weg frei gemacht und uns viel Zeit und Mühe erspart“, lobt Krainovic. Die IHK Köln ist allerdings nicht selbst für die Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsabschlüsse verantwortlich. Das übernimmt zentral für die IHKs in Deutschland die IHK FOSA in Nürnberg. Sie nimmt Anträge auf Anerkennung entgegen und vergleicht, inwieweit ausländische Berufsqualifikationen als gleichwertig mit entsprechenden deutschen Berufsabschlüssen eingestuft werden können.
Trotzdem ist die Anerkennungsberatung der IHK Köln die richtige Adresse – und zwar aus mehreren Gründen. Sie berät zum Anerkennungsverfahren und unterstützt bei der Suche nach dem deutschen Referenzberuf. Handelt es sich um einen IHK-Beruf, hilft sie bei der Antragstellung und gibt wertvolle Tipps. Oder sie weiß Rat, welche Anerkennungsstelle die richtige ist, wenn es beispielsweise um ein Hochschulstudium oder einen Handwerksberuf geht. Zudem gibt sie allgemein Rat bei der beruflichen Orientierung.
„Ganz wichtig ist uns der Fokus auf die Unternehmen“, betont Akhila Kunstmann, die Anerkennungsberaterin der IHK Köln. Das heißt: Sie berät nicht nur Berufstätige mit ausländischem Bildungsabschluss, sondern auch Unternehmen wie CABUVAN, die ihrerseits wissen wollen, was zu tun ist, um für ihre bestehenden oder künftigen ausländischen Fachkräfte die Berufsanerkennung durchzuführen.
„Für immer mehr Unternehmen ist Fachkräfteakquise und -sicherung kein Selbstläufer mehr“, weiß Jasna Rezo-Flanze, Leiterin Fachkräftesicherung der IHK Köln, „doch mit der Berufsanerkennung schaffen sie neue Chancen und können Fachkräften zudem die Perspektive bieten, sich weiterqualifizieren zu können. So können sie gute Fachkräfte auch langfristig binden.“
Ein wichtiger Aspekt kommt hinzu: „Im Zusammenhang mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) ist der Anerkennungsbescheid Zuwanderungsvoraussetzung für Fachkräfte geworden“, erklärt Heike Klembt-Kriegel, Geschäftsführerin der IHK FOSA, im Interview mit „IHKplus“. Wenn Firmen also Arbeitskräfte aus dem Ausland gewinnen möchten, sollten sie sich gegebenenfalls gemeinsam mit den Interessenten für die Berufsanerkennung engagieren, um diesen damit den Weg zu ebnen.

„Wir ziehen das gemeinsam durch“

Diesen Weg ebnet Samir Mulasalihovic gerade für seinen Bruder. Der 38-Jährige kam 2006 aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland. In seiner Heimat hatte er eine Ausbildung als Schlosser absolviert und auch in diesem Beruf gearbeitet. In Deutschland begann er dagegen eine einfache Tätigkeit in der Nachtschicht bei einer Reinigungsfirma. Bis ihn im Bekanntenkreis jemand darauf aufmerksam machte, dass er seinen Beruf hier offiziell anerkennen lassen und dann eine qualifizierte Stelle suchen könne. 2014 war es so weit: Mulasalihovic erhielt, mit Unterstützung der IHK-Anerkennungsberatung, die volle Anerkennung. Das deutsche Äquivalent zu seiner Ausbildung und Berufserfahrung: Industriemechaniker. Dann schrieb er Bewerbungen. „Es war unglaublich, ich wurde auf Anhieb zu drei Bewerbungsgesprächen eingeladen“, wundert sich Mulasalihovic heute noch. Er entschied sich für ein großes Unternehmen in Siegburg. Zwei Jahre später machte er sich dann selbstständig mit einem Hausmeister- und Renovierungsservice. Im Mai kam, als zweites Gewerbe, ein Ladenlokal in Wermelskirchen für Badeinrichtung hinzu.
So wie Samir Mulasalihovic profitierte, möchte er, dass auch sein Bruder Avdo profitiert, den er unbedingt als zusätzliche qualifizierte Fachkraft in seinem Unternehmen beschäftigen will. Er hat Elektrotechnik gelernt und bringt die passende Berufserfahrung mit. Noch lebt er in Bosnien, mit Hilfe seines Bruders in Köln sowie der IHK Köln konnte er aber von dort aus das Verfahren durchlaufen. Ergebnis: eine Teilanerkennung – samt konkreten Hinweisen, welcher Anpassungsqualifizierungen es noch bedarf, um die volle Anerkennung im deutschen Ausbildungsberuf Elektrotechniker zu erhalten. „Sobald mein Bruder hier ist, ziehen wir das gemeinsam durch“, betont Samir Mulasalihovic. „Ich finde hier einfach nicht das passende Fachpersonal, deshalb freue ich mich schon sehr“, ergänzt er.

Würdigung von Können und Erfahrung

Wie sehr eine offizielle Berufsanerkennung motivieren kann, zeigt auch das Beispiel von Lyudmil Paspalev. Der 40-Jährige wohnt in Brühl und ist Schichtleiter in mehreren Restaurants eines Unternehmens im Raum Köln. Vor vier Jahren kam er aus Bulgarien nach Deutschland, samt Diplom einer Tourismusfachschule als Koch und Kellner und Studium der Lebensmittelwirtschaft an einer Hochschule in Plovdiv. Er war auf eine Stellenanzeige des Unternehmens aufmerksam geworden, das nach Servicekräften suchte.
Dass er seine Ausbildung und seine langjährige Berufserfahrung, unter anderem als Restaurantmanager, offiziell anerkennen lassen könnte, davon erfuhr er vor zwei Jahren eher durch Zufall. Ein Kollege machte ihn darauf aufmerksam. Die IHK Köln beriet ihn und unterstützte ihn beim Anerkennungsverfahren. Ergebnis: volle Gleichwertigkeit zum deutschen Beruf Restaurantfachmann. Sein Arbeitgeber erhöhte daraufhin sein Gehalt.
Das fand Paspalev gut, wichtiger war aber etwas anderes für ihn. „Ich gebe hier ohnehin jeden Tag mein Bestes“, erzählt der gebürtige Bulgare, „aber jetzt bin ich noch motivierter.“ Er sei stolz, die Anerkennung bedeute ihm sehr viel. „Das ist wie eine offizielle Würdigung meines Könnens und meiner Erfahrung.“
Serhii Levchenko hat die gleiche Erfahrung gemacht. Der 27-Jährige kam 2017 aus der Ukraine nach Deutschland, lernte Deutsch und fand dann eine Stelle als Hilfsarbeiter in einem Industrieunternehmen in Köln. Eigentlich ist er Webdesigner, mit einem College-Abschluss aus seiner Heimat. Doch er fand keine adäquate Stelle. Die Unternehmen, bei denen er sich bewarb, wollten ihn ohne Gleichwertigkeitsfeststellung seiner Ausbildung nicht einstellen.
Eines Tages hatte er Glück: Hemmersbach Druck in Köln-Ehrenfeld gab ihm eine Chance, der Unternehmer stellte ihn in seinem Fachgebiet ein. Dann erfuhr er von seiner Freundin, dass er seine ukrainische Ausbildung hier anerkennen lassen könne. Levchenko nahm mit der IHK Köln Kontakt auf, und die stieß das Verfahren an. Ergebnis: eine teilweise Anerkennung. Es fehlte der Nachweis entsprechender Berufspraxis, die Ausbildung in der Ukraine „ist rein schulisch“. „Da schrieb mir mein deutscher Arbeitgeber ein tolles Zeugnis und bestätigte meine bei Hemmersbach Druck erworbene Berufspraxis“, erzählt der 27-Jährige. Das reichte. Im Dezember 2021 stellte die IHK FOSA die volle Gleichwertigkeit zum deutschen Beruf Mediengestalter Digital und Print fest.
„Das bedeutet mir sehr viel“, betont Levchenko. Es sei die Grundlage für seinen künftigen Berufsweg und eine mögliche Aufstiegsqualifizierung. „Ich bin sehr dankbar.“
Zehn Jahre Anerkennung
Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zieht die IHK Köln eine positive Bilanz: Allein in ihrem Bezirk wurden zwischen 2012 und März 2022 genau 929 positive Bescheide ausgestellt, davon 541 volle und 388 teilweise Anerkennungen. Partnerinstitution dafür ist die IHK FOSA in Nürnberg, das gemeinsame Kompetenzzentrum der IHKs für die Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer Berufsabschlüsse (engl. FOreign Skills Approval).
Die Beraterinnen und Berater der IHK Köln beantworteten in diesem Zeitraum mehr als 11.000 Anfragen zu dem Thema und führten fast 2.900 persönliche Gespräche durch. Zugleich konnten sie in vielen Fällen indirekt helfen, nämlich durch Verweis zu den zuständigen Stellen für die Anerkennung von Universitätsabschlüssen, Handwerksberufen sowie speziell geregelten Berufen, etwa aus den Bereichen Erziehung, Krankenpflege oder Heilberufe.