Energie, bitte!
Wie schaffen wir es, der Wirtschaft sichere und günstige Energie zur Verfügung zu stellen? Je länger die Politik für eine Antwort auf diese Frage braucht, desto ungemütlicher wird es am Standort Deutschland.
Text: Willi Haentjes, Robert Leonards
Wer vor einem Jahr hinter verschlossenen Türen in den Chefetagen der Republik herumgefragt hat, was das größte Problem der deutschen Wirtschaft ist, bekam zuverlässig mit der Bitte um Vertraulichkeit die Antwort: „Die Energiepreise und -Versorgungssicherheit – das macht uns große Sorgen.“ An dem Befund hat sich bis heute nichts geändert. Nur, dass diese Sorge jetzt nicht mehr anonym, sondern offen ausgesprochen wird.
„Abschaltung, Abwanderung, Arbeitsplatzabbau.“ Diesen dramatischen Dreiklang hat IGBCE-Chef Michael Vassiliadis als Ergebnis einer „verfehlten Klimapolitik“ der Deutschen Presseagentur zu Protokoll gegeben. Auch Markus Steilemann, Vorstandschef des Chemie-Riesen Covestro aus Leverkusen, warnt jetzt regelmäßig und lautstark, dass die energieintensive Industrie in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sei und den Standort Schritt für Schritt verlassen werde. Diese Sätze sind mehr als ein Alarmsignal. Und: Sie sind das Ergebnis hausgemachter Energie-Probleme. Strompreise und Energieträger sind nicht gottgegeben, sie stehen am Ende einer politischen Entscheidungskette, die großen Einfluss auf den Wirtschaftsstandort Deutschland hat.
Unternehmen fühlen sich benachteiligt
Das zeigt das Energiewende-Barometer 2025, eine bundesweite Umfrage der IHK-Organisation. Für jedes dritte Unternehmen im Land hat die Energiewende aktuell negative Folgen. Gleichzeitig steht die Mehrheit der Betriebe zu dem Ziel, klimaneutral zu werden – nur eben nicht zum Preis der eigenen Existenz …
Der Hilferuf der Wirtschaft an die Politik ist unüberhörbar:
Wir brauchen verlässliche und günstige Energie, bitte!
Die Frage ist: Wird dieser Ruf erhört, wie viel Energie wird in die Energie-Frage gesteckt?
Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) hatte angekündigt, die Energiewende einem „Realitätscheck“ zu unterziehen. Kernbotschaft ihres Monitoring-Berichts: Der „tatsächlichen Zahlungsfähigkeit“ von Industrie, Gewerbe und Haushalten sei in den politischen Plänen bisher „zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden“. Das solle sich nun ändern.
Nur wie soll das in der Praxis aussehen?
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgehalten, was schon die Vorgänger-Regierung angekündigt hatte, nämlich „den Bau von bis zu 20 GW an Gaskraftwerksleistung bis 2030 (…) im Rahmen einer zügig zu überarbeitenden Kraftwerksstrategie technologieoffen anreizen“. Was „zügig“ in diesem Zusammenhang bedeutet, ist unklar, denn bis heute gibt es keine belastbare Kraftwerksstrategie, die dem Bedarf der deutschen Volkswirtschaft gerecht würde. 20 Gigawatt, das wären je nach Leistungsstärke entweder 20 große oder 40 kleinere Kraftwerke, die für die notwendige Grundlast sorgen und steuerbar sind.
„Steuerbar“ ist eines der Zauberworte aus dem aktuellen „Bericht zur Versorgungssicherheit Strom“ der Bundesnetzagentur. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die von der Bundesregierung angestrebten 20 Gigawatt nicht ausreichen und es bis 2035 sogar 35,5 Gigawatt an steuerbarer Kraftwerksleistung bräuchte, um die Unsicherheiten bei den erneuerbaren Energien auszugleichen. Denn wann Wind und Sonne Energie liefern, hängt von Tageszeit und Wetter ab. Schalter umlegen geht nicht – während hingegen man in konventionellen Kraftwerken die Strommengen nach Bedarf steuern kann.
Gewarnt wird vor den sogenannten „Dunkelflauten“ im Winter, das heißt Phasen, in denen weder Solar- noch Windenergieanlagen Strom ins deutsche Netz einspeisen. Ein Blick auf den deutschen Strommix zeigt aber, dass die Bundesrepublik sich nicht mal mehr im Sommer selbst mit ausreichend Energie versorgen kann, fast durchgehend musste zusätzlicher Strom aus dem Ausland importiert werden.
Häufig stammt der importierte Strom dabei aus Quellen, aus denen die deutsche Politik ausgestiegen ist bzw. den Ausstieg angekündigt hat, beispielsweise belgischen oder französischen Atomkraftwerken beziehungsweise Kohlekraftwerken aus Polen oder den Niederlanden.
Wind-Flaute im ersten Halbjahr
Bemerkenswertes Detail: Die Wetter-Verhältnisse in Deutschland waren in diesem Jahr für die Stromerzeugung so ungünstig, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien im ersten Halbjahr nur 57,8 Prozent betrug – im Vorjahr waren es 61,6 Prozent. Grund war vor allen Dingen eine Wind-Flaute. Kompensiert wurde der Rückgang unter anderem mit einem Zuwachs in der Kohleverstromung, hier wuchs der Anteil auf 22,7 Prozent (2024: 20,9 Prozent).
Wüst glaubt noch an 2030
Die Landesregierung in Düsseldorf hält trotz allem an ihrem Ziel fest, den Kohleausstieg im Westen auf 2030 vorzuziehen – obwohl es auch für NRW keine Antwort auf die Frage gibt, wie genau der Ausstieg aus dem grundlastfähigen Energieträger Kohle kompensiert werden soll. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst wurde im Kölner Presseclub mit genau dieser Frage konfrontiert und verwies auf den oben erwähnten 20-Gigawatt-Plan der neuen Bundesregierung: „Da kann ich immer noch fürchten, dass das alles nicht kommt. Das ist verabredet, das soll umgesetzt werden. Das ist etwas, wo ich glaube, dass die beiden großen alten Volksparteien gemeinsam so was ordentlich können.“ Frei nach dem Motto: Es ist beschlossen, also wird es auch geschehen. Wüst betonte aber in diesem Gespräch auch:
„Für uns ist völlig klar: Vor dem Ausstieg muss der Einstieg kommen.“
Man fragt sich: „Und was jetzt!?“ Denn der Ausstieg wird mit Vollgas durchgezogen, der Ausbau der Erneuerbaren läuft schleppender als es notwendig wäre, und gleichzeitig fehlen die rechtlichen Voraussetzungen für neue grundlastfähige Kraftwerke.
Ein Cent Preisunterschied kann Millionen Euro ausmachen
Claudia Eßer-Scherbeck, Geschäftsführerin der SE Scherbeck Energy GmbH
„Entscheidend ist aber auch die Preisfrage“, sagt Claudia Eßer-Scherbeck, Geschäftsführerin der SE Scherbeck Energy GmbH und Vorsitzende des IHK-Ausschusses für Umwelt und Energie. „Selbst wenn die Gas-Kraftwerke kurzfristig gebaut werden, ist noch nicht geklärt, wie die Energie günstiger werden kann. Solange die Gaskraftwerke im Großhandel die Preise bestimmen, muss das Gas auch günstig beschafft werden können. Woher kommt also das Gas zukünftig und zu welchem Preis? Hinzu kommt, dass die Netznutzung deutlich teurer wird. Gerade die energieintensive Industrie braucht aber weitere Preissenkungen und auch Planungssicherheit, sonst wandert sie ab. Ein Cent Preisunterschied bedeutet für viele Firmen bereits Millionenbeträge für Energie!“
Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären: Wird der Ruf der Wirtschaft nach sicherer und bezahlbarer Energie wirklich gehört? Gerade die Kombination aus Ausbau der Erneuerbare Energien und gleichzeitigem, bislang ersatzlosem Ausstieg aus konventionellen Kraftwerken, wecken große Zweifel an einer verlässlichen Stromversorgung.
Studie zeigt: Energiewende führt in eine Sackgasse
Eine große wissenschaftliche Studie der IHK-Organisation („Neue Wege für die Energiewende“) kommt zu dem Ergebnis, dass die Fortführung der bisherigen Politik nicht nur zu teuer ist, sondern auch das politische Ziel des Klimaschutzes gefährdet. Bis 2045 wird die Energiewende 5 Billionen Euro an Investitionen verschlingen. 5 Billionen bedeutet: Die Fünf steht vorne, dahinter folgen zwölf Stellen. Zum Vergleich: Die deutsche Einheit hat laut Forschern der FU Berlin in den 25 Jahren nach dem Mauerfall knapp 2 Billionen Euro gekostet.
Alleine die Kosten der Bürokratie, die die Energiewende auf Bundesebene auslöst, wird auf jährlich 10 Mrd. Euro taxiert. „Die Energiewende droht in eine Sackgasse zu führen und damit letztlich auch einen effektiven Klimaschutz zu gefährden“, berichtete Dr. Johanna Reichenbach, Co-Autorin der Studie und Managerin bei Frontier Economics, in der Herbst-Vollversammlung der IHK Köln. Reichenbachs Botschaft: Schluss mit Überregulierung, hin zu Innovation und Wettbewerb. Der Klimawandel sei als globales Problem nicht von Deutschland alleine aus lösbar.
Die Vollversammlung der IHK Köln hat daraufhin in derselben Sitzung ohne eine einzige Gegenstimme ein Positionspapier zur Energiewende verabschiedet und fordert eine Energiewende-Wende. „Die aktuelle Energie- und Klimapolitik ist nicht finanzierbar. Sie überfordert Wirtschaft und Haushalte finanziell. Das Klimaziel ,100 Prozent Klimaneutralität bis 2045‘ kann so nicht erreicht werden“, heißt es in dem Beschluss.
Spannend in dem Zusammenhang: Die Bundesregierung hat Anfang Oktober einen „Aktionsplan Fusionskraftwerk“ vorgestellt mit dem Ziel, den ersten Fusionsreaktor der Welt in Deutschland zu bauen. In der Hoffnung, auf diesem Weg das deutsche Energieproblem zu lösen. Problem: Einen konkreten Zeitplan gibt es nicht. Das Programm trägt den vielsagenden Namen „Fusion 2040“ …
Positionspapier: Weniger Ideologie, mehr Pragmatismus
Schon heute verlagern energieintensive Unternehmen ihre Produktion und damit auch Jobs verstärkt ins Ausland. Um den Wirtschaftsstandort nicht weiter zu gefährden und dennoch nachhaltig wirtschaften zu können, müsse daher vor allen Dingen technologieoffen gedacht werden – weniger Ideologie, mehr Pragmatismus: „Windkraft und Sonnenenergie können die Grundlast eines Industrielandes nicht decken, weil Speicher mit der dafür notwendigen Kapazität technisch noch nicht zur Verfügung stehen. Zusätzlich ist für die Industrie Wasserstoff oder Gas zu wettbewerbsfähigen Preisen existenziell. Deshalb müssen Erdgas in Verbindung mit CCS (Speicherung von CO2) und Kernenergie auch in Deutschland mögliche Zukunftsoptionen sein.“
Energiepreise, Energiesicherheit – die Schlagworte sind klar benannt und der politische Auftrag klar. Nicht nur für die energieintensiven Unternehmen, die JETZT die Energie-Frage stellen, sondern auch für die Unternehmen, die sich in ZUKUNFT am Standort ansiedeln sollen. Nicht nur der eingangs erwähnte Markus Steilemann, Vorstandschef von Covestro, auch andere Entscheiderinnen und Entscheider sagen: Auch die nächste Zukunftstechnologie, nämlich die künstliche Intelligenz, ist extrem energieintensiv.
Je schneller mehr Energie in das Energieproblem gesteckt wird, desto besser … +
Kontakt
Robert Leonards
Wirtschaft und Politik