Recht und Steuern

Krisenfrüherkennung, Insolvenzantragspflicht und Unternehmenssanierung

Juristische Personen (insbesondere GmbH, Aktiengesellschaft und UG) sowie haftungsbeschränkte Personengesellschaften (insbesondere GmbH & Co. KG) haften ihren Gläubigern nur mit dem vorhandenen Gesellschaftsvermögen. Ein Rückgriff auf das Vermögen der hinter den Gesellschaften stehenden Gesellschafter und Geschäftsleiter (Geschäftsführer, Vorstände) ist nicht ohne weiteres möglich. Verfügen haftungsbeschränkte Gesellschaften nicht mehr über ausreichendes Vermögen, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen, drohen den Geschäftspartnern (Kunden, Lieferanten, Dienstleister) und den öffentlichen Gläubigern (Finanzamt, Krankenkassen) Forderungsausfälle und weitere Schäden.
Aus diesem Grund legt der Gesetzgeber den Geschäftsleitern solcher haftungsbeschränkten Gesellschaften zum Schutz des Geschäftsverkehrs besondere Pflichten auf:
  • Geschäftsleiter müssen fortlaufend über Entwicklungen wachen, welche den Fortbestand der Gesellschaft gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, müssen sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen und den Überwachungsorganen (Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat) unverzüglich Bericht darüber erstatten. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Gesellschaftsorgane, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin. Man spricht hier von der Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement
  • Die Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften treffen darüber hinaus besondere Mitteilungspflichten beim Verlust der Hälfte des Stamm- oder Grundkapitals
  • Ist eine haftungsbeschränkte Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschulet, müssen deren Geschäftsleiter unverzüglich Insolvenzantrag über das Vermögen der Gesellschaft stellen. Man spricht hier von der Insolvenzantragspflicht.

1. Krisenfrüherkennung, Krisenmanagement

Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung verlangt von den Geschäftsleitern einer haftungsbeschränkten Gesellschaft, dass sie ein System zur Krisenfrüherkennung im Unternehmen einrichten. Wie genau ein solches Krisenfrüherkennungssystem ausgestaltet sein muss, schreibt der Gesetzgeber nicht vor. Die konkrete Ausgestaltung hängt von Größe, Branche, Struktur und Rechtsform des jeweiligen Unternehmens ab. Dessen ungeachtet sind aber auch KMU uneingeschränkt verpflichtet, ein Krisenfrüherkennungssystem einzurichten.
Herzstück eines solchen Krisenfrüherkennungssystems sollte eine auf einem Unternehmenskonzept beruhende, rollierende und integrierte Unternehmensplanung, bestehend aus einer Plan-GuV, einer Plan-Bilanz und einer Liquiditätsplanung für 18 bis 24 Monate sein. Rollierend bedeutet, dass die Unternehmensplanung regelmäßig aktualisiert wird. Integriert bedeutet, dass die Plan-GuV, die Plan-Bilanz und die Liquiditätsplanung aufeinander aufbauen und ineinander einwirken. Zudem sollte eine regelmäßige Überwachung und Bewertung der für das Unternehmen wesentlichen Kennzahlen sowie der wesentlichen unternehmensinternen und unternehmensexternen Risiken erfolgen. Zu den wesentlichen Kennzahlen und Risiken sollte ein entsprechendes Risikobewusstsein im Unternehmen gefördert und damit verbunden ein entsprechendes Berichtswesen eingerichtet werden. Beispiele und Arbeitshilfen für geeignete Maßnahmen zur Krisenfrüherkennung finden sich etwa unter
Die Geschäftsleiter müssen ausreichende Ressourcen vorhalten, um die Pflicht zur Krisenfrüherkennung zu erfüllen und die Verantwortlichen müssen entsprechend ausgebildet sein. Beides sollte dokumentiert werden, um die Geschäftsleiter im Ernstfall entlasten zu können.
Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement betrifft bestandsgefährdende Entwicklungen. Hierunter versteht man Entwicklungen, die eine wesentlich nachteilige Auswirkung auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft haben können und daher bei ungehindertem Fortgang die Gefahr einer Insolvenz der Gesellschaft (hierzu nachstehend unter 2.) mit sich bringen. Werden solche Entwicklungen erkannt, ist ein Sanierungskonzept erforderlich, um die Bestandsgefährdung zu beseitigen. Es ist die Grundlage für jede weitere Entscheidung innerhalb des Unternehmens und muss nachvollziehbare Antworten auf folgende Fragen geben:
  • Was sind die Ursachen der Krise
  • Wie soll das Unternehmen zukünftig aufgestellt sein
  • Welche leistungswirtschaftlichen oder finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen sind erforderlich, um die Bestandsgefährdung und ihre Ursachen zu beseitigen?
  • Welche finanziellen Mittel sind zur Maßnahmenumsetzung erforderlich und wie werden sie finanziert?
  • Welche weiteren Beiträge von Stakeholdern (z.B. Gesellschafter, Gläubiger, Geschäftspartner, staatliche Stellen, Mitarbeiter) sind zur Sanierung erforderlich und ist mit ihnen zu rechnen?
  • Ist die Gesellschaft voraussichtlich in der Lage, die Bestandsgefährdung zu beseitigen?
Geschäftsleiter müssen ihren Überwachungsorganen unverzüglich Bericht erstatten über
  • erkannte bestandsgefährdende Risiken und
  • die zu ergreifenden Gegenmaßnahmen sowie den jeweiligen Umsetzungsstand.
Sofern das Gesetz, der Gesellschaftsvertrag, Gesellschaftervereinbarungen oder die Geschäftsordnung dies vorsehen, sind die Überwachungsorgane auch in die Umsetzung der Maßnahmen einzubeziehen.
Verletzen Geschäftsleiter schuldhaft ihre Pflicht zur Krisenfrüherkennung oder zum Krisenmanagement, sind sie der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, dieser sämtliche hieraus entstehenden Nachteile zu ersetzen. Unter Umständen kann die unterlassene Einrichtung eines Risikofrüherkennungssystems zudem Auswirkungen auf den Versicherungsschutz einer D&O-Versicherung haben.

2. Insolvenzantragspflicht


Ist eine haftungsbeschränkte Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschulet, müssen deren Geschäftsleiter unverzüglich Insolvenzantrag über deren Vermögen stellen. Man spricht hier von der Insolvenzantragspflicht.

a) Zahlungsunfähigkeit

liegt grundsätzlich dann vor, wenn eine Gesellschaft nicht mehr alle ihre fälligen Zahlungsverpflichtungen erfüllen kann. Es gibt hier gewisse zeitliche und betragsmäßige Toleranzgrenzen, auf die an dieser Stelle allerdings nicht vertiefend eingegangen werden soll. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit muss ein Insolvenzantrag spätestens 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gestellt werden. Diese Frist ist allerdings eine Höchstfrist und darf nur dann ausgenutzt werden, wenn erfolgversprechende Sanierungsaussichten bestehen. Sind die Sanierungsbemühungen von vornherein aussichtslos, muss der Insolvenzantrag sofort gestellt werden.

b) Überschuldung

liegt grundsätzlich dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nach Auflösung stiller Reserven nicht mehr deckt (sogenannte rechnerische Überschuldung). Dabei ist grundsätzlich ein sogenanntes Liquidationsszenario zugrunde zu legen, das heißt, es ist zu fragen, welche Erlöse aus dem Verkauf der Aktiva erzielt werden könnten und welche aktuellen sowie zukünftigen Verbindlichkeiten zu erfüllen wären, wenn man die Gesellschaft liquidiert (einschließlich etwaiger Steuern aus der Hebung stiller Reserven beim Verkauf von Aktiva, einschließlich etwaiger Personal-, Miet- und Leasingkosten, die bis zum Abschluss der Liquidation noch anfallen).
Die Betrachtung eines solchen Liquidationsszenarios führt in den meisten Fällen zu einer rechnerischen Überschuldung der Gesellschaft. Deshalb ist der Ausnahmetatbestand der sogenannten positiven Fortbestehensprognose in der Praxis sehr wichtig. Eine Insolvenzantragspflicht besteht nämlich trotz vorhandener rechnerischer Überschuldung dann nicht, wenn die haftungsbeschränkte Gesellschaft für mindestens 12 Monate in der Lage sein wird, ihre fälligen und zukünftig fällig werdenden Verbindlichkeiten bei Fälligkeit pünktlich zu bezahlen, also für diesen Prognosezeitraum durchfinanziert ist. Dahinter steckt der Gedanke, dass es regelmäßig nicht im Interesse der Gläubiger liegt, ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft zu eröffnen, wenn alle Gläubiger trotz rechnerischer Überschuldung bei Fälligkeit voraussichtlich ihr Geld erhalten werden. Da es sich bei der positiven Fortbestehensprognose nach der gesetzlichen Regelung um einen Ausnahmetatbestand handelt, sind im Ernstfall die Geschäftsleiter darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass die Gesellschaft über eine positive Fortbestehensprognose verfügt.
Die positive Fortbestehensprognose ist wiederum aus einer rollierenden, integrierten Unternehmensplanung herzuleiten, die unter anderem eine Liquiditätsplanung umfasst, aus der sich die erforderlichen Zahlungsmittel zur Bezahlung der jeweils fälligen und fällig werdenden Verbindlichkeiten ergeben. Ergibt sich aus der Planung eine Liquiditätslücke innerhalb des 12 monatigen Prognosezeitraums, die nicht mehr geschlossen werden kann und ist die Gesellschaft rechnerisch überschuldet, ist die Geschäftsführung bereits zum Betrachtungsstichtag verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Hierfür hat sie dann bis zum 31.12.2023 maximal 8 Wochen Zeit, ab dem 31.12.2023 nur noch maximal 6 Wochen. Diese Frist ist allerdings eine Höchstfrist und darf nur dann ausgenutzt werden, wenn erfolgversprechende Sanierungsaussichten bestehen. Sind die Sanierungsbemühungen von vornherein aussichtslos, muss der Insolvenzantrag wiederum sofort gestellt werden.

c) Risiken bei verspäteter Insolvenzantragstellung

Stellen Geschäftsleiter verspätet Insolvenzantrag, drohen neben der Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung erhebliche Haftungsrisiken. Im Verhältnis zur Gesellschaft sind die Geschäftsleiter im Grundsatz verpflichtet, sämtliche Zahlungen zu erstatten, die noch von der Gesellschaft geleistet oder auf im Soll geführte Konten der Gesellschaft eingezogen werden. Gläubigern haften sie auf Ersatz der Schäden, die infolge einer verspäteten Insolvenzantragstellung entstehen. Weiter droht eine persönliche Haftung für nicht mehr abgeführte Steuern und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung.

3. Unternehmenssanierung

Einer sanierungsbedürftigen Gesellschaft stehen im Grundsatz drei unterschiedliche Wege der Unternehmenssanierung zur Verfügung:
  • In Betracht kommt einmal die sogenannte „freie“ oder „außergerichtliche“ Sanierung außerhalb eines bestimmten rechtsförmlichen Verfahrens.
  • Denkbar ist ferner die Sanierung nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG).
  • Schließlich kann eine Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der InsO erfolgen.
Welcher Sanierungsweg der Beste ist, muss jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Krisenursachen, der zur Beseitigung der Unternehmenskrise erforderlichen Sanierungsmaßnahmen und der hierfür erforderlichen Stakeholdermehrheiten beurteilt werden.
Besteht eine Insolvenzantragspflicht und kann der Insolvenzgrund nicht binnen der maßgeblichen Fristen beseitigt werden, muss Insolvenzantrag gestellt werden und kommt eine Sanierung nur im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Betracht.

Quelle: Dr. Arne Löser, Geschäftsführender Partner bei Martini, Mogg, Vogt