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Lebendige Konzepte im ländlichen Raum
Innenstädte brauchen Handel. Sieht man sich im IHK-Bezirk um, stößt man auf viele kreative Ideen, mit denen Einzelhandelsbetriebe auf sich aufmerksam machen und zugleich ihr Quartier bereichern. Wir stellen vier Concept-Stores vor, die nicht nur Verkaufsstätten sind, sondern auch Begegnungsorte.
Autor: Lothar Schmitz
Vintage Kontor in Kirchen
20 Jahre lang leitete Johanna Bolz in Düsseldorf eine Eventagentur. Bis März 2020. „Corona hat uns komplett den Stecker gezogen“, erzählt sie. Um etwas zu tun zu haben, habe sie einen Onlineshop für Vintage-Gegenstände entwickelt: kleine Möbel, Lampen, Spiegel. Die Geschäfte liefen gut an, und bald benötigte sie mehr Platz. Mit ihrem Mann begab sie sich in dessen Heimat auf die Suche nach einem Lager. In Kirchen an der Sieg stießen sie auf einen leerstehenden Supermarkt. „Sofort war mir klar: Das ist es“, sagt die Unternehmerin, „aber nicht nur als Lager, sondern auch als Laden!“
“Die Presse hat schon den Begriff ‘Salonkultur’ geprägt, das trifft es ganz gut”, so Johanna Bolz, Vintage Kontor.
Schon zwei Monate später hatte sich der ehemalige Supermarkt in einen Concept-Store mit Industrie-Charme verwandelt. Auf einer Fläche von 500 Quadratmetern finden Vintage-Fans seitdem so ziemlich alles, was ihr Herz höher schlagen lässt. Nierentische aus den Fünfzigern, eine Sitzgarnitur für die Terrasse aus den frühen Siebzigern. Lampen und Spiegel, Sessel und Schreibtische, Schubladenschränke und Geschirr, Metallkisten und Keramik.
„Alles Originale“, darauf legt Bolz großen Wert. Kein „Vintage-Look“, sondern wirklich Vintage. Also 30 bis 100 Jahre alt. Alles darüber bezeichne man als antik. Ein weiteres Standbein: hochwertige Farben und Tapeten eines englischen Herstellers. Man braucht lange, um das gesamte Warenangebot zu erfassen, aber es gibt auch ein paar echte Hingucker. Ein Chevrolet aus dem Jahre 1947 zum Beispiel, von Johanna Bolz‘ Mann restauriert. Die große Schrankwand aus den Fünfzigern. Oder das sechs mal drei Meter große Wandgemälde hinter der Verkaufstheke. „Das haben Freunde für uns gemalt“, erzählt Bolz, „ein Stück Siegerländer Wald.“
Damit ist das „Concept“ des Concept-Stores aber noch nicht hinlänglich beschrieben. Das Vintage Kontor ist nämlich auch Kulturort und Treffpunkt. Ein bis zwei Mal pro Monat lädt Bolz zu Konzerten mit Künstlerinnen und Künstlern aus der Region ein; Platz ist für bis zu 80 Personen. Die sogenannten „Wohnzimmerkonzerte“ sind gut besucht, auch von weiter her. Damit bereichern sie nicht nur das kulturelle Angebot in der Region, sondern lenken auch viel Aufmerksamkeit auf den Store. Samstags gibt es zudem Kaffee umsonst – man soll miteinander ins Gespräch kommen. „Die Presse hat schon den Begriff ‚Salonkultur‘ geprägt“, freut sie sich, „das trifft es ganz gut.“
„First Friday“ belebt Andernach
Von der Sieg an den Rhein. Auf den ersten Blick haben das „Herrenzimmer“ in Andernach und das Vintage Kontor in Kirchen wenig miteinander gemeinsam. Männermode hier, Vintage-Möbel dort. Und doch gibt es wichtige Parallelen. Denn auch Tobias Dickmeiß, der in Andernach seit 2014 das Hotel „Stilvoll“ betreibt und 2020 mit dem Modegeschäft nachlegte, versteht sein „Herrenzimmer“ als „Ort, an dem man zusammenkommt.“ An dem man hochwertige, ausgewählte Bekleidung, Accessoires, Wein oder Bücher findet – und zugleich ausdrücklich ermuntert wird, sich Zeit zu nehmen, einen Espresso zu trinken, ungezwungen mit anderen ins Gespräch zu kommen. Auch sein „Herrenzimmer“ ist Concept-Store im doppelten Sinn: Es gibt ein individuelles Konzept, was die Mode betrifft, das gesamte Angebot ist mit Bedacht ausgewählt und hebt sich ab. Und Dickmeiß will nicht nur Einzelhändler sein, sondern auch zu mehr Gemeinschaft beitragen.
Tobias Dickmeiß, Herrenzimmer.
„Mir ist der Zusammenhalt hier in der Innenstadt sehr wichtig“, betont der Handelsfachwirt, „zwischen den Einzelhandelsbetrieben, aber auch zwischen den Menschen.“ Deshalb wird Dickmeiß auch immer wieder zum Eventmanager, wie er selbst sagt. Zum Beispiel mit dem „First Friday“, bei dem alle wichtigen Geschäfte in der Andernacher Innenstadt mitmachen. Geboten werden „Late Night Shopping“ bis 22 Uhr, kulturelle und kulinarische Angebote – und jedes Mal ein Motto, an dem die Betriebe dann ihre Deko ausrichten. „Der Einzelhandel hier in Andernach funktioniert und dazu haben Gemeinschaftsaktionen wie der ‚First Friday‘ viel beigetragen“, betont Dickmeiß. „Die Menschen sind angenehm überrascht, denn sie sehen: Es muss nicht immer die Großstadt den Takt vorgeben, auch kleinere Städte können ungewöhnliche Konzepte entwickeln!“
„Secco-Samstag“ in Simmern
Eine „ausgefallene, hochwertige Auswahl, ungewöhnlich für die Region“, das ist auch Sarah Günnewigs Anspruch. Sie setzt mit ihrem Concept-Store „Mein Sahnestück“ im Zentrum von Simmern einen besonderen Akzent auf Damenbekleidung. Aber nicht nur. Die Kundinnen finden bei ihr auch Porzellan und Interieur, Schmuck und Papeterie, Delikatessen und Weine. Und bekommen einen Cappuccino, wenn sie möchten. Auch hier gilt: Natürlich möchte Günnewig Ware verkaufen. Doch der Aufenthalt bei ihr soll zugleich ein Erlebnis sein, etwas Besonderes, für das man sich Zeit nimmt.
“Eine ausgefallene, hochwertige Auswahl, ungewöhnlich für die Region”, so Sarah Günnewig, Mein Sahnestück
Deshalb war sie froh, als sie ihren Store im März am jetzigen Standort neu eröffnen konnte – aber mit fast der dreifachen Fläche im Vergleich zu dem kleinen Laden, in dem sie 2020 begonnen hatte. „Alles ist jetzt viel großzügiger“, erzählt sie, „vor allem ist jetzt auch Platz für eine Couchecke und meine Kaffee- und Weinbar.“ Die erweiterte Fläche nutzt sie nämlich auch für Veranstaltungen, etwa Modeschauen. Und: den „Secco-Samstag“.
Samstags lädt sie auf ein Glas Secco ein, dann kommen Kundinnen und bringen nicht nur Zeit, sondern häufig auch ihren Partner mit, treffen sich, tauschen sich aus. Manchmal ist die Fläche trotzdem zu klein. Einmal im Jahr veranstaltet Günnewig nämlich eine große „Fashion Show“. Eine Abendveranstaltung mit Essen und Trinken, DJ oder Livemusik und regionalen Ausstellern. Dazu kooperiert sie mit dem Hotel moxy. „Dieses Jahr waren es 250 Besucher, ausverkauftes Haus also“, erzählt sie, „das macht mich sehr stolz.“
Wohlfühlambiente in Idar-Oberstein
Schicke Dekoration, gutes Essen, es sich zu Hause schön machen – „das fand ich schon immer toll“, erzählt Sandra Ziegel. Doch sich damit selbstständig machen? Ihr Mann, ebenfalls selbstständig, und ihre Freundinnen bestärkten sie: „Jetzt oder nie!“ Und so startete die 49-Jährige 2021 in Idar-Oberstein/Nahbollenbach ihren Concept-Store „Frau Quitte“.
“Ich verkaufe nur das, was mir selbst gefällt oder schmeckt”, so Sandra Ziegel, Frau Quitte
Ihr Angebot: Wohnaccessoires, Kleinmöbel, Lampen und Geschirr, aber auch Feinkost, Wein und Kosmetika. Ihr Konzept: „Ich verkaufe nur das, was mir selbst gefällt oder schmeckt“, betont sie. Ausgewählte Objekte, wie man sie sonst nur in der Großstadt bekomme. Von Herstellern, von deren Qualität sie absolut überzeugt sei. Zum Glück gibt es in ihrem Dorf einige Geschäfte der Nahversorgung. Trotzdem hält sich die Laufkundschaft in Grenzen. Deshalb setzte sie von Anfang an auf Mundpropaganda – und auf die Sozialen Medien. „Instagram und Facebook sind meine wichtigsten Kanäle“, sagt Ziegel.
Punkten kann sie neben ihrem Angebot mit Parkplätzen fast vor der Tür. Mit Präsentkörben, Hochzeits- und Firmengeschenken, die sie auf Kundenwunsch zusammenstellt. Mit selbst entwickelten Events wie einer „Sommernacht“ und einem kleinen Weihnachtsmarkt, bei denen sie neue Ware präsentiert, zugleich kocht und Weine anbietet und Spenden für örtliche soziale Einrichtungen sammelt. Und mit „Wohlfühlambiente“, wie sie erzählt. „Die Menschen sollen kommen und entspannen, einen Kaffee oder einen Wein trinken, miteinander ins Gespräch kommen.“ Das stärke auch das Miteinander im Ort. Das Konzept geht auf. Nach drei Jahren, sagt „Frau Quitte“ – wie jemand sie mal wegen ihrer leckeren selbst gemachten Quittenmarmelade genannt hat –, trägt sich das Geschäft.
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Sven Klein
Handel (Geschäftsbereich Unternehmensservice)