Aus- und Weiterbildung - Ausgabe 07-08/2022

Bis es funkelt: Mit Geschick und Geduld zum richtigen Schliff

Es ist ein Beruf mit vielen Facetten: Wenn Rohsteine in glanzvolle Schmucksteine verwandelt werden, sind Fingerspitzengefühl, ein gutes Auge und räumliches Vorstellungsvermögen gefragt. Oft vergehen zahlreiche Arbeitsstunden, bevor Smaragde, Rubine, Saphire, Amethyste, Türkise oder Opale zum Funkeln und Leuchten gebracht werden. Nach dem Prüfen und Beurteilen werden die rauen Rohedelsteine gespalten und gesägt und so in die passende Größe gebracht, in Form geschliffen und beim Polieren zum Schluss auf Hochglanz gebracht.
Das Berufsbild der Edelsteinschleiferinnen und Edelsteinschleifer ist vielseitig, doch lange Zeit gab es nur wenige junge Menschen, die diesen handwerklichen und kreativen Beruf erlernen wollten. Das hat sich inzwischen geändert, Edelsteinschleifer sind gefragt und die Übernahmeaussichten für Auszubildende in diesem Beruf sehr gut.

Lange Tradition

In Deutschland liegt das Zentrum für die Bearbeitung von Edelsteinen in Idar-Oberstein. Die Steinschleiferei hat in der Schmuckstadt eine lange Tradition, bereits seit 500 Jahren lebt die Region von Edelsteinen. Nachdem die Minen rund um Idar-Oberstein im 19. Jahrhundert erschöpft waren, brachten Auswanderer aus dem Hunsrück die ersten Edelsteine aus Brasilien an die Nahe. Seither werden hier Importe aus aller Welt geschliffen. „Hochwertige Unikate, die man bisher oft in Asien schleifen ließ, werden zunehmend wieder in Deutschland bearbeitet“, weiß Günter Hahn. Er ist ehrenamtlicher Prüfer und heute bei der praktischen Zwischenprüfung der Edelsteinschleifer in der BBS Idar-Oberstein. Die Auszubildenden müssen zwei Werkstücke fertigen: einen Glattschliff, dessen Unterseite flach und die Oberseite nach außen gewölbt ist, im Fachjargon Cabochon genannt, sowie einen Navetteschliff, eine längliche, in zwei Spitzen auslaufende Form mit Facetten. Dafür haben sie insgesamt sieben Stunden Zeit.
Herbert Stephan demonstriert, wie das Kittholz in der Lochplatte fixiert wird
Günter Hahn demonstriert, wie das Kittholz in der Lochplatte fixiert wird: Der richtige Winkel ist beim Facettieren entscheidend. © Katja Nolles-Lorscheider
Die Arbeit erfordert viel Sorgfalt: Der Rohstein wird mit Kitt mittig auf das Kittholz befestigt. Ist der Kitt ausgehärtet, kann der Stein geschliffen werden. „Als Prüfungsstein ist Bergkristall optimal, er ist wie Glas, man sieht jede Unebenheit und auch, was in früheren Arbeitsschritten übergangen wurde,“ sagt Prüfer Günter Hahn. In der dualen Ausbildung sieht er einen großen Vorteil: „Edelsteine haben alle ihre Besonderheiten: manche vertragen Hitze, andere springen, wenn sie erhitzt werden. Da viele Betriebe sehr spezialisiert sind, lernen die Auszubildenden in der Berufsschule die verschiedenen Materialien und Eigenschaften kennen und bearbeiten hier verschiedenste Schmucksteine.“

Vom Roh- zum Schmuckstein

Einschlüsse oder Risse in den Steinen haben Einfluss auf die spätere Gestaltung. Geschick, Geduld und ein geschultes Auge, um Unebenheiten oder Einschlüsse zu erkennen und beim Schliff zu berücksichtigen, sind Voraussetzung für Edelsteinschleifer, sagt auch Prüfungsausschussvorsitzender Jürgen Christmann. Deshalb sei beim Schleifen auch Konzentration gefragt, einmal zu fest gedrückt und der Stein zerspringt.
Beim Ebouchieren bekommt der Stein die Grundform. Für die Zwischenprüfung ist der Stein bereits fertig ebouchiert, bei der Abschlussprüfung müssen die Auszubildenden auch das können. Während die angehenden Edelsteinschleifer ihre akribische Aufgabe fortsetzen, demonstriert Herbert Stephan die traditionelle Arbeitstechnik frei Hand. Diese erfordert viel Erfahrung und handwerkliches Können: Das Kittholz wird in einer Lochplatte fixiert und der Stein mit dem so vorgegebenen Winkel auf die Schleifplatte gedrückt. Heutzutage können Neigungswinkel digital eingestellt werden und computergesteuerte Maschinen unterstützen die Arbeit. Dennoch bleibt das Facettieren Übungssache, erklärt der erfahrene Schleifer. Am Ende – nach vielen Arbeitsschritten und geduldigem Bearbeiten – kommt ein funkelndes Schmuckstück hervor: „Etwas so Schönes, Einzigartiges in der Hand zu halten, das macht den Reiz dieses ungewöhnlichen Ausbildungsberufes aus“, davon ist Günter Hahn überzeugt.

Ausbildung Edelsteinschleifer*in

Die duale Ausbildung dauert drei Jahre. Auszubildende können unter vier Schwerpunkten wählen: Edelsteingravieren, Edelsteinschleifen, Industriediamantschleifen oder Schmuckdiamantschleifen. Denn Edelsteine werden nicht nur zu Schmucksteinen verarbeitet, sondern auch zu Gebrauchssteinen für technische Geräte. Beim Schwerpunkt Industriediamantschleifen werden zum Beispiel Rohdiamanten zu Präzisionsbauteilen für Schneidwerkzeuge, Werkzeugmaschinen oder elektronische Geräte geschliffen. Bis 2018 gab es noch drei Ausbildungsberufe: Edelsteinschleifer, Edelsteingraveur und Diamantschleifer. Doch weil sich die Ausbildungsinhalte sehr ähnelten und sich Lasertechnik, Arbeitsprozesse und Bearbeitungstechniken weiterentwickelt haben, wurden sie zu einer Ausbildung zusammengefasst.