Unternehmensservice - Ausgabe 05-06/2022

Krieg in der Ukraine: Stimmen aus der Region

Unsere regionale Wirtschaft ist vom Krieg direkt oder indirekt betroffen: über ihre Mitarbeitenden aus und in der Ukraine, Lieferanten, Preissteigerungen oder Zulieferengpässe. Unsere Betriebe leisten Hilfe, stellen sich dieser schwierigen Situation und befürworten trotz allem die Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Die Sanktionen sollten den Aggressor härter treffen als die Betriebe selbst. Trotzdem: Sie kosten Wohlstand, Wertschöpfung, Beschäftigung. Betroffene Mittelständler berichten über die Auswirkungen.
Seit 2013 hat sich die Bevitas GmbH aus Bretzenheim im Landkreis Bad Kreuznach in Osteuropa als wichtiger Händler und Dienstleister im Bereich Stabilisierung und Filtration von Lebensmitteln und Getränken etabliert. Namhafte Hersteller vertrauen auf das Händlernetzwerk, das sich von Belarus bis Kirgistan erstreckt. Die Geschäfte mit Russland entsprechen ca. 65 Prozent des Jahresumsatzes.
Alfons Witte
Alfons Witte, Bevitas GmbH
„Einerseits gibt es die moralische und ethische Verpflichtung, einem Volk, das durch einen sinnlosen Angriffskrieg unermessliches Leid ertragen muss, beizustehen. Die hierzu erlassenen Sanktionen der westlichen Bündnispartner im Finanz- und Wirtschaftsbereich werden von uns strengstens kontrolliert und ohne Einschränkung unterstützt. Andererseits haben wir mit zusätzlichen Sanktionen einiger Vorlieferanten zu kämpfen, die dazu geführt haben, dass das Geschäftsvolumen mit Russland für die Dauer von fast vier Wochen zum Erliegen kam“, erklärt Alfons Witte, geschäftsführender Gesellschafter. Die Bevitas GmbH beschäftigt sich ausschließlich mit Anwendungsberatung und Handel von Waren für die Lebensmittel und Getränkeindustrie. Keines der von ihnen vertriebenen Produkte taucht in einer Sanktionsliste auf, sämtliche Kunden und Kontakte werden bei jeder Erfassung durch eine Spezialsoftware, die tagesaktuell auf alle nationalen, europäischen und US-Sanktionslisten zugreift, überprüft und jedes Ergebnis entsprechend dokumentiert. Mittlerweile konnte der Hauptlieferant dazu bewegt werden, die nicht sanktionierten Waren für den Vertrieb nach Russland freizugeben.
„Zum Glück“, sagt Witte. „Bei uns geht es zwar „nur“ um sechs Arbeitnehmer, aber eben auch um ein aktives Händlernetz in zehn osteuropäischen Ländern, die von uns betreut werden. Natürlich wünschen wir uns nichts sehnlicher als eine Beendigung jeglicher Kriegshandlungen in der Ukraine. Gleichzeitig gilt es aber auch, alle Aktivitäten und Sanktionen so zu wählen, dass es die, die sanktioniert werden, mehr trifft als die, die die Sanktionen veranlassen.“

Geschäftsbeziehungen dauerhaft gestört

Auch Alfred Rochlus, Geschäftsführender Gesellschafter ASSYX GmbH & Co. KG aus Andernach, machen die Auswirkungen der Sanktionen auf die sorgfältig aufgebauten Geschäftsbeziehungen zu schaffen:
„Für den Aufbau und die Führung einer Geschäftsbeziehung braucht es ein Mindestmaß an Verlässlichkeit und auch Vertrauen in den Geschäftspartner. Dies muss insbesondere im Außenhandel durch entsprechende wirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen abgesichert sein. Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine hat Russland dies zerstört. Das Geschäftemachen mit Russland und in Russland ist nach meiner Auffassung für lange Zeit unmöglich. Es wird erst wieder möglich sein, wenn sich das russische Militär aus der Ukraine zurückzieht und Verantwortung für all die Zerstörung und Kriegsverbrechen übernimmt. Die westlichen Sanktionen tragen bereits jetzt zu einer deutlichen Schwächung der russischen Wirtschaft bei.“ Alfred Rochlus stellt sich auf weitere Verschärfungen ein, mit einem Einlenken des russischen Präsidenten rechnet er nicht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass nach einer teilweisen oder ganzen Besetzung der Ukraine in Verbindung mit sinnloser Tötung von Zivilisten und Zerstörung der Infrastruktur durch Russland eine Wiederaufnahme von Geschäftsbeziehungen möglich ist“, erklärt Rochlus.
Fabian Baldus
Fabian Baldus, Baldus Medizintechnik GmbH
„Es wäre töricht, zu glauben, wir könnten in einigen Monaten wieder Handel mit Russland treiben“, dieser Auffassung ist auch Fabian Baldus, Geschäftsführer von Baldus Medizintechnik GmbH in Bendorf. Seit Monaten ist das Unternehmen mit einem russischen Medizintechnik-Händler im Gespräch, um an der gemeinsamen Zertifizierung von Medizinprodukten zu arbeiten. An dem Morgen der russischen Invasion, war für Fabian Baldus klar, dass sie die Bemühungen, eine russische Kooperation zu schließen, sofort einstellen müssen: „Der Aufbau einer russischen Handelsvertretung ist erst wieder möglich, wenn Russland über eine neue und demokratisch gewählte Regierung verfügt.
Durch den Überfall und die Gräueltaten in der Ukraine sowie den jahrelangen Täuschungen des Kremls verfügt Russland über keinerlei Basis, auf der man Handel betreiben könnte. Russland wird meiner Ansicht nach für mindestens eine Generation vom Westen isoliert sein.“

Wirtschaft hilft

Die Hilfsbereitschaft der Unternehmen in der Region ist groß. Viele stellen Unterkünfte, Transporte und andere Hilfsmittel zur Verfügung. So auch Stefanie Schmitz vom Landidyll Hotel-Restaurant „Zur Marienburg“ in Pünderich: „Wir haben in der letzten Woche vier geflüchtete Frauen und ihre Familien aufgenommen. Dass die Frauen so schnell wie möglich arbeiten möchten, ist natürlich für uns ein schöner „Nebeneffekt“. Nachdem wir seit Jahren immer wieder auf der Suche nach Fach- und Hilfskräften sind, ist es für uns ein Segen, dass Olena, Toma, Tetjana und Marina den Weg zu uns gefunden haben und uns bald in verschiedenen Abteilungen des Hotels unterstützen. Natürlich ist uns bewusst, dass sie wieder zurück in die Ukraine gehen, sobald der Krieg vorbei ist. Der ein oder andere wird jedoch in Deutschland eine neue Heimat finden.“

Zeitlicher Überblick der Ereignisse

allgemeine Entwicklung
IHK-Bezug
21.02.
Putin erkennt die selbst
ernannten Volksrepubliken
Luhansk und Donezk als
unabhängige Staaten an.
22.02.
Nord Stream 2 wird auf
unbestimmte Zeit auf Eis gelegt
Pressemitteilung:
„Besorgte Blicke nach
Russland und Ukraine –
Folgen ungewiss“
24.02.
KRIEGSBEGINN
Putin lässt die Ukraine aus
mehreren Richtungen
angreifen. Selenskyj ruft
den Kriegszustand aus.
Krisenhotline IHK eingerichtet
Newsletter Spezial Russland:
Was Unternehmen jetzt beachten
sollten
24.02.
Verschärfung der
EU-Sanktionen
Pressemitteilung:
„Statements zur aktuellen
Lage Ukraine und
Russland“
26.02.
2. EU-Sanktionspaket
Die Vereinigten Staaten, Frankreich,
Kanada, Italien, das Vereinigte Königreich,
die EU-Kommission und
Deutschland beschließen weitere
harte Finanzsanktionen.
09.03.
Zahlreiche Firmen ziehen
sich aus ihrem Russland-
Geschäft zurück, darunter:
Coca Cola, Pepsi,
Starbucks, McDonalds und
Universal Music.
17.03.
Der ukrainische Präsident
Selenskyj hat Deutschland
per Videoschalte im Deutschen
Bundestag aufgefordert,
den Krieg in seinem
Land zu beenden.
Gemeinsames Angebot
der IHK-Arbeitsgemeinschaft
Rheinland-Pfalz
auf der Homepage
#WirtschaftHilft
18.03.
Seminar der IHK-Arbeitsgemeinschaft
Rheinland-
Pfalz zum Thema
„Sanktionen“
28.04.
Weiteres Seminar der
IHK-Arbeitsgemeinschaft
Rheinland-Pfalz zum
Thema „Sanktionen“

IHK-Portal schafft Übersicht
Die Industrie- und Handelskammern in Rheinland-Pfalz haben das Portal
www.ihk-rlp.de/wirtschafthilft
geschaffen, um Geflüchteten sowie Unternehmen die notwendigen Informationen an die Hand zu geben. Dabei geht es darum, wie die Wirtschaft bereits hilft und weiter helfen kann – und ebenso um Unterstützung für die Unternehmen angesichts von Sanktionen, Lieferengpässen und steigenden Energiepreisen. Das reicht von Webinaren für Betriebe mit Geschäftsbeziehungen zu Russland über Hilfsangebote von rheinland-pfälzischen Betrieben bis hin zu CoworkingSpaces und Erstinformationen für Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Rheinland-Pfalz arbeiten möchten.