Unternehmensservice - Ausgabe 03-04/2022

Flut macht erfinderisch: Unternehmer organisieren sich

Nach der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli war für Dirk Gemein klar: Ich will helfen. Die Idee klang zunächst einfach: Spendengelder sammeln und an die von der Flut betroffenen Bürgerinnen und Bürger weitergeben. Doch die Spendensummen stiegen und stiegen, die Anfragen wurden von Tag zu Tag mehr. „Am Ende war es für eine Person einfach nicht mehr zu stemmen“, erklärt der Bad Bodendorfer. Im Gespräch mit anderen Unternehmer*innen der Region entstand die Idee, Kräfte zu bündeln und sich als gemeinnütziger Verein zusammenzuschließen. Der Spenden-Shuttle war geboren.
Dirk Gemein hält symbolisch 4 Gutscheine (2 mal 2.500 Euro und 2 mal 1.500 Euro) in der Hand
Egal ob 500 oder 5.000 Euro: Die Spendengelder werden persönlich überreicht. © Dirk Gemein
Die Initiatoren des Spenden-Shuttles sind neben Dirk Gemein die durch das Helfer-Shuttle bekannt gewordenen Unternehmer Marc Ulrich und Thomas Pütz sowie Guido Henseler (Vorsitzender), S. Anna Henseler-Pivelja und Ewa Drexel. Auch wenn sie sich Vorstand nennen – die Unternehmer*innen setzen auf flache Hierarchien. „Würde man alles schriftlich abstimmen, um Erlaubnis bitten und 1.000 Schritte in einer Abstimmungskette einhalten, würde uns das zu langsam, bürokratisch und ineffizient machen. Eigenschaften, die gerade in einer Krisensituation wie im Ahrtal keiner gebrauchen kann“, erklärt Dirk Gemein.
Grundsätzlich führe man den Spenden-Shuttle wie eine Firma: „Zu Beginn jeder Woche haben wir ein einstündiges Online-Meeting. Da kommt alles auf den Tisch: Was die Woche ansteht, welche Projekte geplant sind, wo man Unterstützung braucht“. Neben den sechs Vorstandsmitgliedern haben sich weitere Menschen gefunden, die ehrenamtlich mitwirken, Spendengelder übergeben oder Dinge im Backoffice koordinieren. Büroräume? Gibt es nicht.
Der Spenden-Shuttle ist ein modernes Startup: ortsungebunden, digital, zeitlich flexibel. „Wir arbeiten mit shared documents und WhatsApp-Gruppen. So weiß jeder, was gerade wo läuft und wichtig ist“. Einige Personen wohnen nicht einmal im Ahrtal, sondern waren dort als Helfer*innen unterwegs oder haben das Ahrtal durch Urlaube, Camping- und Motorradausflüge – vor dem 14. Juli – lieben gelernt.

Vielfältige Hilfsbereitschaft

Die Spenden- und Hilfsbereitschaft im Ahrtal ist auch rund acht Monate nach der Flut groß. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Spenden. Rolf Löhmar, Löhmar Elektro GmbH aus Urmitz, half und stellte seine Hallen für flutgeschädigte Betriebe zur Verfügung. Die Firma Dural aus Ruppach-Goldhausen hat mit Partnern wie der Spedition Schröder aus Ebernhahn rund 16.400 Laufmeter Fliesenprofile, Abdichtbahnen und 126 Tonnen Fliesen von porcelaingres kostenfrei in die Flutregion transportiert. Über das Baustoffzelt Kaiser in Walporzheim werden die Produkte direkt weiter verteilt. Der Spenden-Shuttle hat zuletzt einen 800 qm großen Indoor-Spielplatz in Ahrweiler errichtet.
Wir wollen mit solchen Leuchtturmprojekten ein sichtbares Zeichen setzen. Deshalb setzen wir Projekte um, für die Kommunen aktuell noch keine Kapazitäten haben, weil diese noch mit der Wiederherrichtung der Infrastruktur beschäftigt sind,

erklärt Dirk Gemein.

Der für alle kostenlose Indoor-Spielplatz wie auch das Gemeinschaftszelt in Altenahr sollen Orte der Begegnung sein, denn auch diese hat die Ahr in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli zerstört. „Wie will man etwas erreichen, den Wiederaufbau gestalten, wenn man sich nicht versammeln kann, um etwas zu besprechen?“ Konnte man sich im Sommer bei gutem Wetter noch draußen treffen, so ist im Winter auch diese  Möglichkeit versiegt.

Familie im Fokus

Die ursprüngliche Idee von Dirk Gemein – Spenden sammeln und verteilen – ist und bleibt Kernaufgabe des Spenden-Shuttles. „Menschen, die ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben, ja sogar ihre Häuser abreißen  mussten, liegen uns vor allem am Herzen. Insbesondere für Familien und Kinder nutzen wir Spendengelder, um Ausflüge zu organisieren.“
Dirk Gemein sitzt in einem Sessel, welcher auf einer Straße steht, die vom Wasser überflutet war
Seit der Flutnacht am 14. Juli ist Dirk Gemein im Ahrtal im Einsatz © Dirk Gemein
Die Helfer vom Spenden-Shuttle sind immer auf der Suche nach Kooperationspartnern und konnten schon den DFB oder Herzenswünsche e. V. gewinnen. Bei allen Aktivitäten spürt man Unternehmergeist. Die Freiheit, selbstständige Entscheidungen zu treffen und diese zu verantworten, kennen die Organisatoren, denn sie sind allesamt Unternehmer*innen: Von der selbstständigen Yoga-Lehrerin über den Chef einer Event- und Marketingagentur bis hin zum Glücks- und Achtsamkeitscoach. Das betriebswirtschaftliche Verständnis, der Sinn für Strategie und Businesskonzepte, lassen sie in die Organisation des Spenden-Shuttles einfließen.
Dirk Gemein, Marc Ulrich und Co. – sie sind verwurzelt im Ahrtal. Als Unternehmer*innen haben sie deshalb auch die Unternehmen der Region im Blick. „Bei unseren Projekten achten wir darauf, dass wir die lokale Wirtschaft miteinbeziehen und das Geld so im Ahrtal-Kreislauf bleibt – etwa beim Einkauf, bei der Beauftragung von Caterern oder Dienstleistern wie zuletzt bei unserem Projekt Indoor-Spielplatz“.
Ihrer hauptberuflichen Tätigkeit gehen die „Spenden-Shuttler“ natürlich weiterhin nach. „Gerade am Anfang – nach der eh schon bitteren Corona-Zeit – war die Zeitaufteilung 90 Prozent Spenden, 10 Prozent für das eigene Unternehmen“, blickt Dirk Gemein zurück. Mittlerweile habe es sich etwas normalisiert. „Nun gehen meine Achtsamkeitskurse wieder los, etwas Normalität kehrt ein. Aber der Wiederaufbau des Ahrtals, die Projekte für Familien und Kinder, die Übergabe von Finanzspenden, bleiben auch in Zukunft eine Herzensangelegenheit.“
Weitere Informationen auf spenden-shuttle.de.