EU-Binnenmarkt als Chance

Als größter Binnenmarkt der Welt bietet der EU-Binnenmarktes ein großes Potenzial für Unternehmen und Verbraucher. Zwei Drittel des Warenhandels der EU gehen über den Binnenmarkt. Er sichert 56 Millionen Arbeitsplätze in Europa. Angesichts der weltweit angespannten geopolitischen Lage sehen sich auch die Unternehmen in unserer Region vielfältigen Unsicherheiten ausgesetzt. Einige dieser Unwägbarkeiten könnten durch einen reibungslos funktionierenden EU-Binnenmarkt abgefangen werden. Die IHKLW begrüßt deshalb, dass die Europäische Kommission am 21. Mai 2025 mit ihrer Binnenmarktstrategie Reformvorschläge vorgelegt hat, um einen „einfache, nahtlosen und starken Binnenmarkt“ zu schaffen. Positiv hervorzuheben ist, dass viele der in der DIHK-Binnenmarktumfrage 2024 von Unternehmen, IHKs und Auslandshandelskammern benannten Barrieren und Hindernisse von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen als Problemfelder in der Binnenmarktstrategie aufgegriffen wurden und im Rahmen des vorgestellten Arbeitsprogramms aus dem Weg geräumt werden sollen.
Komplizierte Regeln vereinfachen oder abschaffen
Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit werden von der EU-Kommission u.a. die uneinheitlichen Regeln hinsichtlich Entsorgung, Labelling und Verpackungen adressiert, die kleine und mittlere Unternehmen häufig überfordern. Als absurdes Praxisbeispiel hat Gerd Ludwig, IHKLW-Berater für Konjunktur, Steuern und internationale Wirtschaftspolitik ein mittelständisches Unternehmen vor Augen, das Blechputzmaschinen für den Bäckereibedarf herstellt. Innerhalb Europas braucht der Betrieb für den Transport der Maschinen - je nach Zielland - unterschiedliche Verpackungen. Jedes EU-Land habe eigene Regeln, Gebühren, Kennzeichnungspflichten. Besonders teuer sei Österreich.
Auch wenn die Firma nur eine Maschine dorthin exportiert, muss sie für die 8,15 Kilogramm Pappe und ein Kilogramm Kunststoff, eine jährliche Servicepauschale von 570 Euro sowie 50 Euro Kosten für einen Bevollmächtigten und eine Entsorgungspauschale von 150 Euro zahlen, insgesamt also 770 Euro für rund neun Kilogramm Verpackungsmaterial. In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Italien oder Frankreich, kommen noch zusätzliche Kennzeichnungspflichten hinzu.
Entsendung von Arbeitnehmern erleichtern
Ganz vorne bei den Problemen steht nach Erkenntnissen der IHKLW die Arbeitnehmerentsendung. Ungeeignete Regulierung geht hier mit zusätzlichen nationalen Hürden Hand in Hand. Das beginnt bei den Unterschieden zwischen den Meldeportalen und reicht über unabgestimmte digitale Verfahren bis hin zu Schwierigkeiten bei der Mindestlohnabrechnung mit ausländischen Partnerbetrieben. Dabei ist es gerade für kleine und mittlere Unternehmen wichtig, ihre Beschäftigten bei der Erbringung von Dienstleistungen auch kurzfristig vor Ort im Ausland einsetzen zu können. Durch unterschiedliche und unnötig komplexe nationale Umsetzung von EU-Recht in den einzelnen Mitgliedstaaten entstehen für Unternehmen hohe Kosten und rechtliche Unsicherheiten. Bei Fehlern drohen Sanktionen, teilweise geht es um Straftatbestände.
Abbau von Hemmnissen erforderlich
Der freie Handel von Waren, Dienstleistungen und Kapital ist das Herzstück der Europäischen Union. Doch auch nach über 30 Jahren seines Bestehens funktioniert er noch nicht so gut wie vermutet. Denn: Auch im europäischen Binnenmarkt gibt es noch zahlreiche Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen, die die einen effizienten Warenaustausch erschweren oder verhindern. Zu den zehn größten Handelshemmnissen – auch „Terrible Ten“ genannt – gehören fehlende gemeinsame Standards für Produkte und Dienstleistungen. Zu den wichtigsten angekündigten Maßnahmen der EU-Kommission gehört nach Einschätzung der IHKLW die Förderung des europäischen Dienstleistungsmarktes, welcher nicht nur aus Sicht der EU-Kommission noch weit hinter dem in ihm liegenden Potenzial zurückbleibt.
Die zehn größten Hindernisse des EU-Binnenmarktes:
• Komplizierte Unternehmensgründung und -führung
• Komplexe EU-Vorschriften
• Mangelnde Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten
• Eingeschränkte Anerkennung von Berufsqualifikationen
• Fehlende gemeinsame Standards für Produkte und Dienstleistungen
• Fragmentierte Vorschriften für Verpackungen
• Mangelnde Produktkonformität
• Restriktive und divergierende nationale Vorschriften für Dienstleistungen
• Aufwändige Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern in risikoarmen Sektoren
• Ungerechtfertigte territoriale Lieferbeschränkungen, die zu hohen Preisen für die Verbraucher führen

EU-Binnenmarkt als Chance gegen Trumps Zölle
Europa könnte gerade jetzt einen Binnenmarkt ohne Hemmnisse gut gebrauchen. Wahrscheinlich wäre er das beste Mittel gegen Donald Trumps Zölle. Das Beratungsunternehmen Deloitte geht davon aus, dass ein komplett freier Handel dazu führt, dass sich die Absätze der deutschen Industrie in viele wichtige Exportländer des EU-Binnenmarkts verdoppeln. Die EU selbst glaubt, dass eine 2,4-Prozent-Steigerung beim EU-Handel einen 20-prozentigen Exportrückgang in die USA ausgleichen könnte.
Jetzt ist die Zeit, Handelsbarrieren innerhalb Europas endlich vollständig abzubauen, um das Potenzial des Europäischen Binnenmarktes voll auszuschöpfen zu können. Es gibt noch Luft nach oben. Denn: Der Internationale Währungsfonds hat errechnet, dass Anforderungen, Normen und Berichtspflichten innerhalb der EU einem Binnenzoll bei Industriegütern von 44 Prozent gleichkommen. Bei Dienstleistungen sind es sogar 110 Prozent. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein mittelständischer Maschinenbauer, der seine Maschinen in der gesamten EU installiert, wartet und repariert, für die Entsendung seiner Mitarbeitenden jährlich rund 3.500 Entsendungserklärungen abgeben muss.