Das treibt die Rohstoffpreise

Ob Edelmetalle oder Holz: Viele Rohstoffe sind aktuell nur zu Rekordpreisen zu haben. Die Hintergründe erklärt Dr. Claudia Wellenreuther im Interview.
Frau Dr. Wellenreuther, welche Ursachen hat die aktuelle Lieferknappheit bei Rohmaterialien?
Die Lieferknappheiten und die starken Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten sind überwiegend eine Folge der globalen Corona-Pandemie. Die rasche Erholung der Weltwirtschaft und insbesondere der starke Aufwärtstrend der chinesischen Wirtschaft sorgen aktuell für eine hohe Nachfrage nach Industrierohstoffen. Die Nachfrage wird zusätzlich durch umfangreiche Konjunkturprogramme zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie unterstützt. Hinzu kommt, dass das Angebot durch Produktions- und Lieferkettenunterbrechungen aufgrund der weltweiten Shutdowns nach wie vor geschwächt ist.
Welche Rohstoffe sind besonders vom Preisanstieg betroffen?
Die Preise für Industrierohstoffe. Allein im Mai stieg der HWWI-Teilindex für Industrierohstoffe im Durchschnitt um mehr als 14 Prozent gegenüber dem Vormonat – und übertraf damit sein Zehnjahreshoch. Der aktuelle globale Wirtschaftsaufschwung, insbesondere in China,  dem weltweit größten Verbraucher von Industriemetallen, treibt derzeit vor allem die Nachfrage nach Industriemetallen. Starke Preissteigerungen waren in den letzten Monaten zum Beispiel auf den Märkten für Eisenerz, Zinn, Nickel, Blei und Kupfer zu beobachten. Die Elektrifizierung der Wirtschaft im Zuge der angestrebten Dekarbonisierung, die teilweise durch die aktuellen Konjunkturpakete verstärkt wird, befeuert die Nachfrage nach Industriemetallen wie Kupfer, Kobalt und Nickel. Auch die Schnittholzpreise verzeichnen seit Monaten einen stark positiven Trend und erreichten im Mai Rekordhöhen.
Wie entwickeln sich die Rohstoffpreise während der Covid-19-Pandemie im Vergleich zu vergangenen Weltwirtschaftskrisen?
Im Gegensatz zur Finanzkrise 2008/2009 lösten die Lockdown-Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie unterschiedliche Preisreaktionen auf den Rohstoffmärkten aus. Während die Energierohstoffe im Frühjahr 2020 stark einbrachen, verzeichneten die Industrierohstoffpreise lediglich einen mäßigen Rückgang. Die sehr starken Preiseinbrüche auf den Rohölmärkten im Frühjahr 2020 sind durch die Corona-bedingte gesunkene Nachfrage bei gleichzeitiger Ausweitung des Angebots zu erklären. Hintergrund ist unter anderem der Preiskrieg zwischen den Produzentenländern Saudi-Arabien und Russland. Auf den Märkten für Industrierohstoffe zeigte sich ein etwas anderes Bild: Der weltweite Lockdown reduzierte sowohl das Angebot als auch die Nachfrage nach Industriemetallen. Dadurch sanken die Preise auf den Industrierohstoffmärkten im Frühjahr 2020 nur gering. Durch die schnelle Erholung der chinesischen Wirtschaft, stiegen die Nachfrage und damit auch die Preise schnell wieder an. Diese Unterschiede in den Preisreaktionen der einzelnen Rohstoffsegmente konnten im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 nicht beobachtet werden. Damals verzeichneten neben den Energierohstoffen auch die Industrierohstoffe einen starken Preiseinbruch, da die Rezession sich auf die Nachfrage nach und nicht auf das Angebot an Rohstoffen auswirkte. Darüber hinaus war die Wirkung des Schocks auf den Märkten nach der Finanzkrise nachhaltiger. Die Preise der beiden Rohstoffgruppen wiesen eine längere Erholungsphase auf, als dies jetzt der Fall ist.
Was kann Deutschland beziehungsweise die EU tun, um zukünftig Rohstoffknappheiten und Lieferengpässen stärker entgegenzuwirken?
Da Deutschland stark von außereuropäischen Rohstoffimporten, insbesondere von Metallimporten, abhängig ist, ist es wichtig, dass der freie internationale Handel geschützt und beispielsweise durch Handelsabkommen weiter gestärkt wird. Exportbeschränkungen sollten klar vermieden werden, da diese das Risiko bergen, zu weiteren Handelsbeschränkungen auf der Gegenseite zu führen. Der Ausbau des Recyclings im Sinne einer Circular Economy und der Ausbau der Rohstoffgewinnung in Europa sind zusätzliche Möglichkeiten, zukünftigen Lieferengpässen entgegenzuwirken. Der Schutz des freien Handels sollte in der europäischen Rohstoffstrategie jedoch an erster Stelle stehen.
Jan-Philipp Pechinger
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