Wandern bringt neue Impulse

Zwischen Homeoffice und digitalen Meetings kann ein Wandercoaching in der Natur für neuen Teamspirit sorgen. Warum das so ist und wie digitale Führung gelingt, erklärt Business-Coach Annette Minhoff-Lang im Interview.
Frau Minhoff-Lang, Sie verbinden Coaching mit Wanderungen in der Natur – warum?
In der Natur kommt nicht nur der Körper in Bewegung – sondern auch die Gedanken. Beim Wandern läuft man sich auch seine Seele frei. Das führt zu neuen Blickwinkeln, die wiederum frische Ideen nach sich ziehen. Auch Dinge, die die Seele belasten, werden zutage gefördert.
In ihren Führungskräfte-Coachings geht es unter anderem darum, dass die Teilnehmenden erkennen, was es bedeutet, eine Führungskraft zu sein. Auf welche Erkenntnisse zielen Sie dabei?
Gute Führungskräfte müssen empathisch sein, organisieren, kommunizieren, delegieren, anweisen und anleiten können. Auch ein gewisses unternehmerisches Denken gehört dazu. Oft aber werden Mitarbeiter zu Führungskräften befördert, obwohl ihnen diese Kompetenzen nicht bewusst sind oder gar noch fehlen. Die Reflexion darüber, wo ich stehe und was es braucht, um dahin zu kommen, geht im täglichen Tun oft unter. Beim Wandercoaching kommt hinzu, dass die Natur einen vollkommen anderen Rahmen setzt, als es die Führungskräfte in ihrem Alltag erleben. Das macht es einfacher zuzugeben, dass es vielleicht an der ein oder anderen Stelle noch hakt. Im Grunde ist das die wichtigste Erkenntnis, denn nur wer Schwächen zugeben kann, hat die Chance, daran zu arbeiten.
Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass viele Teams aktuell überwiegend digital zusammenarbeiten. Mit welchen Folgen?
Die Pandemie hat Unternehmen und die Mitarbeitenden von jetzt auf gleich in die digitale Teamarbeit gezwungen. Das hat viele überfordert. Teams, die vorher schon gut funktioniert haben, konnten sich meist schnell auf diese neue Form der Zusammenarbeit einstellen. Weil ohnehin klar war, wer welche Aufgaben hat. Aber vor allem Teams, bei denen es vorher aber schon hakte, waren maßlos überfordert.
Warum?
Weil Positionen und Aufgaben nicht klar definiert waren. Weil jeder plötzlich auf sich gestellt war. Wenn Teams als Gruppe zusammenarbeiten ist es oft so, dass sie schwächere Teammitglieder mittragen. Wenn diese Teammitglieder aber plötzlich allein zu Hause vor ihrem Computer sitzen, führt das schnell zu einer Überforderung, weil ihnen Aufgaben nicht klar sind, sie sich schlecht organisieren können und vielleicht auch falsche Prioritäten setzen.
Wie wirkt die digitale Zusammenarbeit auf das Teamgefühl?
Weil die sozialen Face-to-Face-Kontakte und das Zwischenmenschliche in der Zusammenarbeit plötzlich fehlten, hat das bei vielen ein Gefühl der Einsamkeit hervorgerufen. Anderen fiel es schwer, sich selbst zu motivieren und zu organisieren. Das fängt schon mit der Frage an, ob sie sich morgens zurechtmachen oder die Jogginghose anziehen, weil sie eh allein vor dem Computer sitzen.  
Inwiefern sind Führungskräfte vor dem Hintergrund zunehmender digitaler Zusammenarbeit gefragt?
Wer ein Team digital führt, muss sehr genau darauf achten, Aufgaben klar zu formulieren und konkret zu verteilen. Und sie sollten sich die Anweisungen möglichst auch bestätigen lassen, damit klar ist, dass der Mitarbeiter es so verstanden hat, wie sie es meinen. Für die Führungskräfte bedeutet das, dass sie selbst mehr Struktur brauchen, damit sie diese Struktur weitergeben können. Und digitale Führung bedeutet mehr Kommunikation. Dieses Mehr ist wichtig, um das Team zusammenzuhalten. Ganz wichtig ist aber auch, dass Fehler erlaubt sein müssen und dass Führungskräfte ihre Mitarbeitenden menschlich abholen und loben. Wertschätzung ist auch dann nötig, wenn mal was schief gelaufen ist, weil ein Mitarbeiter parallel vielleicht noch drei Kinder im Homeschooling betreut hat. Hier kommt wieder die Empathie ins Spiel. Führungskräfte, die sich in die Situation ihrer Mitarbeitenden einfühlen, können ehrliche Wertschätzung und Anerkennung vermitteln.
Und damit motivieren sie ihre Mitarbeitenden?
Ja, sehr sogar. Lob und Anerkennung sind die größten Motivationsfaktoren überhaupt. Das kennen wir alle: Wenn wir gelobt werden, freut man sich so darüber, dass man noch ein bisschen mehr macht. Weil die Leistung anerkannt wird und dieses Gefühl der Wertschätzung und Zugehörigkeit einfach großartig ist. Und das treibt uns zu Höchstleistungen an.
Es gibt aber auch innere Antreiber.
Ja genau. Es gibt fünf sogenannte innere Antreiber: Sei schnell, sei stark, sei lieb, sei fleißig und mach es allen recht. Das hängt ganz eng mit unserer Erziehung zusammen. Alle fünf Antreiber wirken in uns, aber einige sind besonders ausgeprägt. Bei mir ist das: sei schnell. Ich möchte meine Aufgaben immer schnell erledigen. Das ist auf der einen Seite natürlich gut, auf der anderen Seite fällt es mir aber schwer, auch mal Ruhe auszuhalten oder zu akzeptieren, wenn andere langsamer arbeiten. Aber daran kann ich arbeiten.
In Ihren Wander-Coachings machen sich ganze Teams gemeinsam auf den Weg. Kommen Sie auch gemeinsam an einem Ziel an?
Also es ist noch nie passiert, dass eine Gruppe in einer solchen Disharmonie war, dass Teilnehmenden zwischendurch abgebrochen haben. Insofern, ja, örtlich kommen wir an einem Ziel an. Die individuellen Ziele sind durchaus unterschiedlich, deshalb sprechen wir vorab über Wünsche und Herausforderungen und jeder kann sich einbringen. Unterwegs integriere ich Teamspiele.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich stelle dem Team Aufgaben – beispielsweise aus ein paar Fässern, Bretter und Seilen ein Floß zu bauen. Während dieser Übungen wird ganz schnell klar, wer welche Position im Team einnimmt, wie das Team strukturiert ist und ob zum Beispiel jemand außen vor bleibt. Ziel ist es, das das Team als Team funktioniert und das gelingt fast immer. Es muss aber nicht immer eine große Aufgabe erledigt werden. Gerade vor dem Hintergrund der Isolation durch Corona und Homeoffice, ist es eine tolle motivierende Erfahrung, wenn Teams sich gemeinsam auf den Weg machen, zwölf Kilometer wandern, sich dabei unterhalten – und die menschliche Nähe dabei genießen.
Sie haben mehr als 25 Jahre Erfahrung im Einzelhandel, einer Branche, die aktuell besonders unter den Folgen der Pandemie leidet. Was raten Sie Betroffenen, um neue Zuversicht und Kraft zu schöpfen?
Auf jeden Fall sich mit anderen auszutauschen, damit sie nicht das Gefühl haben, allein in dieser Situation zu sein. Aus einem solchen Austausch kann wieder ganz viel erwachsen. Ein Beispiel ist die Aktion „Gelbe Leitern“ in Lüneburg, die als Zeichen von Solidarität vielen neuen Mut und Zuversicht gegeben hat. Solche Aktionen sind große Stützen, die gerade kleinen Unternehmern helfen, das zu überstehen. Denn ohne Zweifel: Es waren extreme Monate für viele Unternehmer und Unternehmerinnen, die auch von der Sorge um Mitarbeitende geprägt waren. Wie kann ich meine Leute halten, ohne selbst dabei vor die Hunde zu gehen? Viele sind so gefangen von ihren Ängsten und in ihrem Tun, dass sie wie ein Hamster im Laufrad versuchen, den Motor wieder in Gang zu bringen. Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, sich Auszeiten zu nehmen, um den Kopf wieder frei zu kriegen und neue Kraft zu schöpfen. Das bringt oft auch neue Ideen mit sich.
Man sagt, in jeder Krise steckt eine Chance. Wie sehen Sie das?
Ganz klar sehe ich in der Krise die Chance. Im Einzelhandel beispielsweise hat die Coronakrise dazu geführt, sich endlich mehr dem Thema Digitalisierung zu widmen. Der Einzelhandel tut sich von jeher schwer mit Veränderungen, manchmal kommt mir die Branche vor wie ein Riesendampfer, der sich eben nicht so leicht manövrieren lässt. Das gilt auch beim Thema Digitalisierung. Genauso sind zurückgehende Kundenfrequenzen und Personalmangel seit Jahren bekannt – jetzt ist die Chance, dafür Ideen und Lösungen zu entwickeln. Denn, auch das muss man klar sagen: Wer es jetzt nicht tut, bleibt auf der Strecke. Der stationäre Handel muss den Kunden Erlebnisse bieten, soziale Kontakte bieten und in dadurch an sich binden. Denn die Beziehungsebenende ist die wichtigste Ebenen im Verkauf. Und diese Ebene haben Kunden nicht, wenn sie im Internet bestellen.
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