Vom Krämerladen zum Kaufhaus

Das Dokument ist so alt, dass es vor Zerfall geschützt werden muss. Deshalb liegt der Kaufmannsbrief aus Ziegenleder, mit dem Jacob Meyer einst die Erlaubnis erteilt wurde, in Schwarmstedt einen Krämerladen zu eröffnen, auch sicher im Tresor. „Da ist er vor Tageslicht geschützt“, sagt Wilhelm Heine, „im Geschäft hängt nur eine Kopie.“ Wer genau hinschaut, erkennt auf der reich verzierten Urkunde das Datum ihrer Ausstellung: 8. Februar 1722. Kein Irrtum: Seit 300 Jahren ist das Kaufhaus Heine ein Hort der Beständigkeit in der Gemeinde Schwarmstedt im südlichen Heidekreis.
Wer mit dem Inhaber über das Jubiläum spricht, spürt schnell, dass es nicht die stolzen 300 Jahre sind, die den Kaufmann aktuell beschäftigen. Eher die x-te neue Coronaverordnung und die Unmöglichkeit zu planen. Nach zwei Jahren Pandemie ist die Lage bei Heine nicht anders als bei vielen Einzelhändlern: Irgendwie hat man sich durchlaviert. Die Aussichten? „Es wird immer schwieriger“, sagt Heine. „Wir sind froh, dass unsere Stammkunden uns die Treue halten. Aber der Onlinehandel macht uns immer mehr zu schaffen.“
Urahn Jacob Meyer konnte vor 300 Jahren nicht ahnen, dass er mit seinem Krämerladen den Grundstein für eine Familiendynastie legen würde. Wie man erfolgreich Handel betreibt, wusste der junge Kaufmann jedenfalls. Mit dem Standort in einer Scheune an der Durchgangsstraße von Celle nach Nienburg bewies er ein gutes Händchen, sodass er 20 Jahre später auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein stattliches Fachwerkhaus mit Ladengeschäft errichten konnte. Verkauft wurden neben Gewürzen aus aller Welt vor allem Töpfe, Eisenwaren und Porzellan. In fünfter Generation wechselte 1909 der Name nach der Heirat von Alma Meyer mit Wilhelm Heine. Der führte das Unternehmen erfolgreich ins 20. Jahrhundert, erweiterte die Verkaufsfläche, ließ Schaufenster in die Straßenfront setzen und nahm Herde und Öfen ins Sortiment auf. Sohn und Enkel trugen nicht nur denselben Namen, sondern entwickelten auch das Geschäftskonzept weiter. Nach Umbau und Erweiterung präsentierte sich Heine ab 1961 als modernes Kaufhaus mit Lebensmittel- und Feinkostabteilung, Haushaltswaren, Werkzeug sowie Babyartikeln und Spielzeug.
Auf die Frage, wann er in das elterliche Geschäft eingestiegen ist, antwortet der heutige Inhaber mit einem Augenzwinkern: „Sobald ich laufen konnte. Ich war hier schon immer zu Hause, es gab ja damals keinen Kindergarten.“ Dass der dritte Wilhelm Heine, 1959 geboren, das Geschäft weiterführen würde, war daher auch nie wirklich eine Frage – zumal Mutter Ruth Heine nach dem frühen Tod ihres Mannes Unterstützung brauchte. Nach einer kaufmännischen Lehre im Großhandel stieg Heine dann offiziell 1980 ins Geschäft ein. Neben Ruth Heine, die noch bis zum 78. Lebensjahr unermüdlich hinter der Ladentheke stand, kümmerten sich Ehefrau Anke Heine und zwei Angestellte um die Wünsche der Kunden. Die hatten sich verlagert: Lebensmittel erhielt man nun im Supermarkt. Heine gab die Abteilung auf, bot als neuen Service einen Schlüsseldienst an, der bis heute ein wichtiges Standbein ist: „Wir fertigen nicht nur Einzelschlüssel, sondern planen komplette Schließanlagen für Häuser und Industriebetriebe.“
Sortiment und Kompetenz sind heute klar eingeteilt: Wilhelm Heine ist der Experte für Schlüssel, Eisenwaren und Werkzeuge. Anke Heine ist Ansprechpartnerin, wenn es um Haushaltswaren und Spielzeug geht. „Wir sind ein Fachgeschäft auf dem Lande, das seinen Kunden eine vernünftige Beratung bietet“, sagt der Inhaber. Der individuelle Kundenwunsch stehe an erster Stelle: „Wer drei Haken und drei Schrauben braucht, der kriegt auch drei Haken und drei Schrauben und muss keine große Packung kaufen. Das war immer so und hat immer gut funktioniert.“ Allerdings werde die Beratungskompetenz immer weniger geschätzt, sagt Heine. Für ein Geschäft wie seines sieht er langfristig daher auch keine Perspektive mehr. Da es einen vierten Wilhelm Heine ohnehin nicht gibt, wird das älteste Kaufhaus weit und breit wohl in einigen Jahren für immer schließen. „Das sehe ich ganz nüchtern“, sagt der 62-Jährige. „Es ist doch schön, dass wir 300 Jahre geschafft haben.“
Vorerst ist das Aus jedoch kein Thema. Das Ehepaar Heine wird weiter verlässlich für ihre Kunden in Schwarmstedt und Umgebung da sein. Sich ärgern über Menschen, die sich beraten lassen, dann aber doch im Internet kaufen. Und sich freuen über diejenigen, die lokal einkaufen. Denn eines hat sich für den Kaufmann in all den Jahren nicht geändert: „Glückliche Kunden sind das Schönste an meinem Beruf.“
Ute Klingberg
IHK Lüneburg-Wolfsburg
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