Hier geht die Post ab

Dirk Schreier kennt das schon. Wenn er Außenstehenden von seinem Beruf erzählt, erntet er meist überraschte Reaktionen: „Rohrpost? Das gibt es noch?“, höre er sehr oft, und das wundert ihn nicht: „Wir sind eben eine absolute Nischenbranche.“ Nicht mehr als zehn Unternehmen gebe es in Deutschland, die sich auf Planung und Bau von Rohrpostanlagen spezialisiert haben, schätzt der 36-Jährige. Obwohl selbst im Digitalzeitalter aufgewachsen, hat den Geschäftsführer der Schreier Rohrpost-Technik seit 20 Jahren die Begeisterung für ein Transportsystem aus dem 19. Jahrhundert fest im Griff: „Ich finde die Technik einfach faszinierend und ein bisschen witzig dazu. Auch Klempner verlegen ja Rohre, aber wir bauen komplexe Anlagen mit Weichen, ohne 90 Grad-Winkel und häufig mit mehreren Kilometern Länge. Und das Spannende dabei ist: Keine Anlage gleicht der anderen.“
Die ersten Rohrpostanlagen dienten einst zur Übermittlung von Nachrichten aus den Telegrafenämtern, wofür ganze Städte mit kilometerlangen Anlagen ausgerüstet wurden. Das ist Vergangenheit. Doch die Idee, zylindrische Büchsen per Luftdruck durch ein Rohrsystem zu befördern, hat überlebt. Schreier erklärt es so: „Eine Rohrpostanlage ist nichts anderes als eine Förderanlage, die Dinge transportiert. Unsere Anlagen sind Teil der Automatisierungstechnik. Wir sind Prozessoptimierer und Beschleuniger.“
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Dirk und Frank Schreier (v.l.) ergänzen feiern im September das 25-jährige Bestehen von Schreier Rohrposttechnik. © tonwert21
Ihre Stärken kann die Rohrpost vor allem dort entfalten, wo viele Teile innerhalb größerer Gebäudekomplexe transportiert werden müssen. Etwa in Kliniken oder Laboren, die einen großen Teil von Schreiers Kundschaft ausmachen. „Welcher Bote rennt schon mit einem Tempo von zwei bis sechs Metern pro Sekunde rund um die Uhr von A nach B?“, fragt Schreier eher rhetorisch. In einer Großspedition erreichen Frachtpapiere so auf direktem Weg die LKW-Flotte. Im Lebensmittellabor landen eingereichte Proben sofort am richtigen Laborplatz. „Die Büchsen werden sogar automatisch entladen, geöffnet und zurückgeschickt.“ Und längst wird die Reise durch den Luftkanal über PC oder Server gesteuert, die Büchsen flitzen dazu in Echtzeitvisualisierung über den Bildschirm. Während in der Frühzeit der Technik noch eine Glocke ertönte, wird die Ankunft heute per Mail oder SMS angezeigt.
Gerade baut Schreier in Ostwestfalen auf einem Klinikgelände eine Komplettanlage, die Fachabteilungen, Labore und Operationssäle über mehrere Kilometer verbindet.  Gewebe-, Zell- oder Blutproben werden per Rohrpost nicht nur schnell und sicher transportiert. „Es geht ja auch darum, die Nutzer zu entlasten“, sagt Schreier. „Pflegekräfte und anderes Fachpersonal gewinnt Zeit, sich um die Menschen kümmern.“
Schreier Rohrpost-Technik ist seit 25 Jahren – das Jubiläum ist am 1. September  – ein kleines Familienunternehmen mit einer Handvoll Angestellten. „Und das wollen wir auch bleiben, wenn wir auch gerne noch einige Monteure einstellen würden“, sagt der Inhaber. Sein Großvater Frank Schreier hatte in der DDR als Fernmeldetechniker Telefonleitungen verlegt, floh 1984 aus Dresden in den Westen und bewarb sich erfolgreich auf eine Stellenanzeige einer Hamburger Rohrpost-Firma. Vom Angestellten wechselte er nach zwölf Jahren in die Selbständigkeit. Dass Großvater und Enkel mal ein perfektes Team bilden würden, war nicht unbedingt vorhersehbar. „Handwerklich war ich eigentlich null begabt“, sagt Schreier und lacht. Doch mangels Ideen schnupperte er nach der Schulzeit mal im Betrieb des Großvaters, entdeckte den Reiz an den ausgeklügelten Rohrsystemen und absolvierte eine Ausbildung zum Mechatroniker.
Seit zehn Jahren trägt der Enkel nun schon die Hauptverantwortung als Projektmanager, Anfang 2022 wurde der Generationswechsel auch offiziell mit der Übergabe vollzogen. Trotzdem bleibt Senior Frank Schreier (75), mittlerweile Angestellter seines Enkels, eine wichtige Stütze. „Es hat immer gut funktioniert zwischen uns“, sagt der Junior. „Ich bin mehr der Technikmensch, schätze aber auch die große Erfahrung meines Großvaters.“ Und wohin geht die Post für das Familienunternehmen? „Gerne so weiter“, sagt Schreier. „Die Firma ist solide und gesund. Und die Rohrpost wird es auch in 100 Jahren noch geben.“ Ute Klingberg