„Kunststoff ist Teil der Lösung“

Aline Henke (50) steht seit 2010 als geschäftsführende Gesellschafterin an der Spitze der Hankensbütteler Kunststoffverarbeitung GmbH. Das 1973 von Dieter Henke gegründete Familienunternehmen produziert mit 88 Mitarbeitern Kunststoffteile im Spritzgussverfahren, vorwiegend für die Automobilindustrie. Wie es für ein Kind ist, wenn der elterliche Betrieb das Familienleben prägt, warum sie beruflich dort landete, wo sie nie hinwollte und vor welchen Herausforderungen die Branche steht, darüber spricht Henke anlässlich des 50-jährigen Firmenjubiläums im Interview.

Was beschäftigt Sie gerade konkret?
Ganz aktuell die neue Maschine, die wir gestern bekommen haben. Die wird jetzt gerade von den Technikern angeschlossen. Das ist jedes Mal ein bisschen so wie Baby pudern (lacht).
Aline Henke (50) steht seit 2010 als geschäftsführende Gesellschafterin an der Spitze der Hankensbütteler Kunststoffverarbeitung GmbH. © Stefanie Blind Photographie
Welche Rolle spielt denn der Maschinenpark im Produktionsprozess?
Unser Maschinenpark muss vor allem eines sein: grundsolide. Was wir als Kunst sehen, ist dann eher, wie wir die Prozesse einsteuern und mit der Technik so kombinieren, dass wir am Ende ein konstant gutes Produkt bekommen. Egal, ob in einer Auflage von 50 oder 50 Millionen Stück. Wir produzieren zum Beispiel Kabelkanäle oder Lagerelemente, also Teile, die sehr stabil sein müssen. Wichtiger als die Maschine an sich ist also das technische Knowhow und der Einsatz des richtigen Werkstoffs.

Die Spritzgusstechnik hat auch schon Ihr Vater eingesetzt, als er 1973 anfing.
Ja, er hat hier in einer ehemaligen Strickerei anfangen. Den Standort wählte er, weil es im damaligen Zonenrandgebiet Fördermittel gab. Er hatte als Maschinenbauingenieur schon vorher in der Branche gearbeitet. Als sein Arbeitgeber schließen musste, sagte er sich: Können kann ich Kunststoff – und hat sich selbständig gemacht.
Als Kind war die Firma für mich ein quengelndes Geschwisterkind.
War für Sie immer klar, dass Sie ins elterliche Unternehmen einsteigen würden?
Nein, absolut nicht. Meine Eltern haben nicht erwartet, dass ich irgendwann mal übernehme. Als Kind war die Firma für mich wie ein quengelndes Geschwisterkind, das immer mit am Esstisch sitzt. Das war für mich negativ besetzt, denn sie hat uns ja Familienzeit genommen. Ich habe erst eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht und danach Betriebswirtschaft studiert. Weil mein Vater aber gesundheitliche Probleme bekam, kam ich zurück, um ihn zu unterstützen.

Was haben Sie dann angepackt?
Zuerst ging es darum, den Betrieb verkaufen zu können. Berater hatten uns attestiert, dass er in allen Bereichen zu sehr auf meinen Vater als Person zugeschnitten war. Wir haben also die Braut aufgehübscht: Prozessbeschreibungen erstellt, Zertifizierungen erreicht, Verantwortlichkeiten neu sortiert und alles so aufgestellt, dass die Fachbereiche gestärkt wurden. Als das dann tatsächlich lief, war ich auch richtig drin (lacht). Und dann haben wir gesagt: Jetzt können wir es auch weitermachen.

Vater-Tochter, zwei Generationen, zwei unterschiedliche Typen: Wie haben Sie das erlebt?
Das war nicht rosarot, sondern auch anstrengend. Wir haben uns aneinander abgearbeitet. Mein Vater ist als Kriegskind ein Macher-Typ gewesen. Notfalls mit dem Kopf durch die Wand, die anderen durften dann die Trümmer wegräumen. Das funktioniert heute nicht mehr.
Ich sehe meine Aufgabe darin, hinter meinem Team zu stehen.
Wie würden Sie denn Ihren Führungsstil beschreiben?
Im Gegensatz zu meinem Vater, der immer stark vorweg gegangen ist, sehe ich meine Aufgabe darin, hinter meinem Team zu stehen. Um die richtigen Entscheidungen für das Unternehmen treffen zu können, sind umfassende Kenntnisse und Erfahrungen aus allen Fachbereichen notwendig – meines Erachtens kann das nur in einem guten Team erbracht werden. Obwohl sich mein Führungsstil sehr von dem meines Vaters unterschiedet, gibt es natürlich auch die Momente, in denen ich mich frage: Was hätte er jetzt wohl gemacht, oder wie hätte er jetzt entschieden?

Jetzt könnte vielleicht so ein Moment sein: Die Automobilbranche steckt in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Inwiefern betrifft das Ihr Unternehmen?
Auch in E-Autos wird es weiter technische Kunststoffteile geben, das ist klar. Im Automobilbau geht es immer noch um Gewichtsreduzierung, da ist Kunststoff nicht wegzudenken. Aber: Global Player entscheiden sich bei der Auftragsvergabe im Moment nicht für Deutschland, denn mit der derzeitigen Kostenstruktur sind wir zunehmend unattraktiv. Wir gehen ja nicht mit dem eigenen Sortiment im Musterkoffer von Tür zu Tür, sondern unsere Kunden teilen uns via B2B-Plattform mit, welche Art von Teilen sie für welchen Markt angeboten bekommen möchten. Unsere Angebote geben wir auf diesen Plattformen ein rum und dort bewegen wir uns in einem internationalen Wettbewerbsumfeld. Aspekte wie Co2-Fußabdruck und Nachhaltigkeit können derzeit nicht als Wettbewerbsvorteil geltend gemacht werden. Da kann man noch so nice sein, bei der Auftragsvergabe zählt nur der Euro. Eines der größten Probleme sind für energieintensive Unternehmen, wie unseres, die Energiekosten. Auch wenn es noch ungehobene Energie-Einsparpotenziale gibt, stehen sie nicht im Verhältnis zu den gestiegenen Kosten. Das betrachte ich mit großer Sorge.
Kunststoff bedeutet Leichtbau und das ist aus Zukunftstechnologien nicht wegzudenken.
Ist Kunststoff denn noch das Material der Zukunft?
Unbedingt. Kunststoff bedeutet Leichtbau und das ist aus Zukunftstechnologien nicht wegzudenken. Er hat auch grundsätzlich das Zeug dazu, nachhaltig zu sein. Wir müssen einen Bereich entwickeln, in dem wir gutes Recycling betreiben können. Diesen Werkstoff im Kreislauf zu halten, sollte ein Ziel sein. Dafür bräuchte es wahrscheinlich ein hohes Maß an Standardisierungen der Werkstoffe. Wie das gelingen kann, sehen wir beim PET.  Kunststoff darf nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Kunststoff ist Teil der Lösung – wenn wir richtig mit ihm umgehen. 

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in zehn Jahren?
Die nächsten Jahre werden turbulent und werden für uns alle mit Einschränkungen verbunden sein. Für uns heißt das: Wir werden unser Portfolio durchschauen und entscheiden, ob wir in zehn Jahren noch dasselbe produzieren wie heute. Da könnten sich neue Kundenkreise auftun: Es gibt ausländische Unternehmen, die wollen dezentralisieren. Sie sind noch nicht in Europa tätig, möchten für den europäischen Markt in Zukunft aber einen besseren CO2-Fußabdruck haben, um sich hier zu etablieren. Damit beschäftigen wir uns.

Was macht Ihnen Mut?
Der Rückhalt in der Belegschaft. Man kann sich als Vorturner schon mal überfordert fühlen, gerade in den vergangenen drei Jahren gab es genügend Anlass dazu. Aber ich durfte auch die Erfahrung machen, dass wir die Dinge gemeinsam angepackt und geregelt bekommen. Das macht Mut!  Ute Klingberg