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Mit Mut und modischem Gespür
Schaufenster sind Aushängeschilder. Selbstverständlich weiß Bianca Köhler das und lässt darum die lange Glasfront, die sich über gleich zwei Seiten des Modehauses Bartels erstreckt, von einer professionellen Dekorateurin in kurzer Folge neugestalten. Noch nie aber hat sich die Inhaberin des Schneverdinger Traditionshauses über die vielen Meter Fenster so sehr gefreut wie im Corona-Lockdown. „Wir mussten das Geschäft schließen. Also haben wir den Schaufensterbummel neu erfunden“, sagt die Modehändlerin. Sie kleidete die Schaufensterpuppen mit aktueller Ware ein, pappte Nummern darauf und nahm telefonisch Bestellungen entgegen. „Die Tüte mit dem gewünschten Oberteil von Figur 7 habe ich dann vor der Ladentür abgestellt, wo die Kundin sie in Empfang nehmen konnte. Das hat so gut funktioniert, dass wir an manchen Tagen mehr Umsatz gemacht haben als bei geöffneter Tür.“
Das spezielle Bummel-Konzept funktioniert womöglich nur in einem kleinen Ort. Und sicherlich auch nur, wenn man seine Kundschaft gut kennt. Beides trifft beim Modehaus Bartels zu, das Bianca Köhler 2019 von Roland und Ute Schmid übernommen hat. Deren Großvater Heinrich Bartels hatte 1925 am Standort in der Bergstraße den „Manufakturbetrieb“ gegründet, der sich über die Jahrzehnte zum Textilhaus für Kleidung, Wäsche und Gardinen und schließlich zum Modehaus für Damen und Herren wandelte. Bianca Köhler hatte hier bereits elf Jahre im Verkauf gearbeitet, bevor ihr die Inhaber die Übernahme anboten. „Es war tatsächlich immer mein Traum, mich selbständig zu machen“, sagt die 46-Jährige und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „Allerdings hatte ich dabei mehr an ein kleines Geschäft gedacht.“
Jetzt hat sie nicht nur rund 300 Quadratmeter Ladenfläche, sondern auch sieben Angestellte und dazu eine hundertjährige Tradition im Rücken. Aber die gelernte Einzelhandelskauffrau kann so schnell nichts schrecken – das zeigt nicht nur ihr spezielles Corona-Konzept. „Sorgen habe ich mir nie gemacht“, sagt sie. „Ich habe mir immer gesagt: Das mache ich, das wird gut, das kann nur gut werden. Ich bin einfach ein positiver Typ.“ Aber auch eine Frau, die genau weiß, worauf sie sich einlässt: „Es war ein großer Vorteil, dass ich das Geschäft und vor allem die Kundenwünsche gut kannte. Deshalb habe ich auch nicht viel verändert. Schließlich haben wir 80 Prozent Stammkunden, und die wollen wir behalten.“ Weil sie aber auch neue und gerne auch jüngere Kundinnen und Kunden gewinnen will, probiert sie behutsam Neues aus. Das kann eine neue Kleidermarke sein oder die Ecke mit Gewürzmischungen einer Hamburger Manufaktur – ein beliebtes Mitbringsel, zu dem Urlauber beim Bummel durch das Heidestädtchen gern greifen. Die modisch-sportive Damen- und Herrenkollektion meist deutscher Hersteller wird ergänzt durch passende Accessoires und eine Wäscheabteilung.
Bei der Auswahl des Sortiments achtet Bianca Köhler auf modische Trends genauso wie auf hochwertige Qualität und gute Passformen. „Das Wichtigste aber ist eine gute und einfühlsame Beratung“, sagt sie, „das gibt es ja heute fast nicht mehr.“ Ob es die Tipps des Personals, der leckere Cappuccino dazu oder der schnelle Schneiderservice sind – es gibt viele Gründe für Menschen aus der weiteren Region oder auch aus Hamburg, sich auf den Weg nach Schneverdingen zu machen. „Wir bekommen viele positive Rückmeldungen, weil wir uns Zeit nehmen, ehrlich beraten und bei uns einfach eine sehr entspannte und harmonische Atmosphäre herrscht.“ Warum das so gut klappt? „Vielleicht, weil wir fast alle Winterkinder sind“, sagt Bianca Köhler und lacht. „Aber im Ernst: Wir ergänzen uns einfach sehr gut.“
Auch in Schneverdingen hat der Einzelhandel zu kämpfen. Von negativer Stimmung ist bei der Mode-Händlerin dennoch kaum etwas zu spüren. „Ich denke natürlich darüber nach, ob unsere Lieferanten die schwierige wirtschaftliche Situation überstehen. Aber den Schritt in die Selbständigkeit habe ich nie bereut, und es macht mir nach wie vor irre viel Spaß.“ So viel, dass Bianca Köhler im vergangenen Jahr ein zweites Geschäft in ihrem Heimatort eröffnet hat: Mit „Bianca am Markt“, einem kleinen Jeansladen, spreche sie jüngere Menschen an, könne so auch vermehrt Kunden in das Hauptgeschäft lenken – und nebenbei etwas gegen den Leerstand im Ortskern tun, erläutert sie. Ein perfekter Mix auch aus einem anderen Grund: „Jetzt können wir gleichzeitig einjähriges und hundertjähriges Jubiläum feiern.“
Ute Klingberg
Ute Klingberg
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Sandra Bengsch