Gelebter Ökolandbau

Damals, im Oktober 2000, erschien die Gründung des Unternehmens Bio Kartoffel Nord nahezu alternativlos. Die erste große deutsche Erzeugergemeinschaft Bio Land Nord war in die Insolvenz geschlittert und die Ernte bereits eingebracht. „Wer hätte diese vermarkten sollen? Wir waren sechs Landwirte, die sich zusammentaten, um diese Aufgabe zügig selbst zu übernehmen“, beschreibt Geschäftsführer Carsten Niemann die Anfänge seines Betriebs, der nun seinen 25. Geburtstag feiern kann.
Der Übergang habe zu jener Zeit tatsächlich „ohne allzu großes Geruckel“ funktioniert. „Wegen der Namensähnlichkeit sprechen viele damals wie heute schlicht von ,Bio Nord‘“, sagt der 65-Jährige, der selbst aus Marwede im Landkreis Celle stammt, wo seine Vorfahren „etliche 100 Jahre“ Landwirtschaft betrieben haben. Obwohl dies zu Beginn seines eigenen Berufslebens nicht mehr der Fall war, entschied sich Carsten Niemann erst zu einer landwirtschaftlichen Lehre, um später in Göttingen Landwirtschaft zu studieren. Wenn er sagt, dass er diesen Weg gewählt habe, weil er „keine Lust zu arbeiten“ gehabt habe, dann wird verständlich, dass die Landwirtschaft für ihn eine Berufung sein muss. „Sonst würde man ein Pensum von 70 bis 80 Stunden pro Woche auch nicht durchhalten.“
Um zu erklären, wie sehr dem Geschäftsführer das „Bio“ im Namen am Herzen liegt, muss man etwas ausholen. Als Carsten Niemann mit seinem Studium begann, habe man sich hierzulande noch in der „biologischen Diaspora“ befunden. „Es war die Zeit der sich konstituierenden Umweltbewegung, und wir waren durch den Einfluss des Atomwiderstands stark politisiert.“ Weil er nicht im bestehenden System habe weitermachen wollen, habe er bereits seinen ersten Pachtbetrieb auf Ökolandbau umgestellt. „Wir profitierten enorm vom Wissen der Altbauern. Es war eine echte Herausforderung, dieses Know-how aufzutun, zu kultivieren und weiterzuentwickeln“, sagt Carsten Niemann und meint damit etwa die Unkrautbekämpfung mit dem sogenannten Striegel, eine Art Bürste, die Unkraut herausreißt, aber die Kulturpflanze stehen lässt. „Manche Techniken haben in moderner Ausprägung längst Eingang in die konventionelle Landwirtschaft gefunden.“ Dass das Konzept, von dem man früh überzeugt war, aufgehen würde, habe man allerdings erst Jahrzehnte später erkennen können.
Niemanns eigener landwirtschaftlicher Betrieb im sachsen-anhaltinischen Salzwedel ist heute nur einer von 40 Kartoffel-Produzenten, die Bio Kartoffel Nord beliefern. Unternehmen wie der Bioland-Hof von Michael Dreyer im Wendland, den dieser schon in der siebten Generation bewirtschaftet. Oder die Biohof Marwede GbR, die bereits seit drei Jahrzehnten auf Bio umgestellt ist. Allesamt marktferne Speisekartoffelerzeuger, für die eine individuelle Direktvermarktung keinen Sinn macht. „Wir sind mittlerweile sehr verarbeitungslastig. Nur ein kleiner Prozentsatz der Kartoffeln wird klassisch in Beutel abgepackt.“ Ein weiterer Teil werde zu Chips und Pommes verarbeitet und der Rest – annähernd 70 Prozent – für die Herstellung von Püree und Stärke verwendet. Zurzeit sei man gerade dabei, eine eigene Flockenproduktionsanlage aufzubauen. Diese Kartoffelflocken eignen sich als veganes und glutenfreies Püree, aber auch zum Andicken von Suppen und Saucen sowie für die Ergänzung von Tiernahrung. Warum die Kartoffel immer weniger in ihrer naturgegebenen Form verkauft werde? „Das hat viel mit den wachsenden Anforderungen an die optische Qualität zu tun“, sagt Carsten Niemann. Mittlerweile werde etwa 40 Prozent der Ernte als „nicht geeignet“ für den Lebensmittelhandel angesehen.
Der passionierte Bio-Landwirt arbeitet nur noch selten in seinem eigentlichen Beruf. Die Hofstelle in Sachsen-Anhalt wird seit zwei Jahren von seiner Tochter geleitet. „Meine heutige Aufgabe ist es, den Absatz für unsere Lieferanten zu sichern und dafür zu sorgen, dass weitere Betriebe auf Bio umstellen können.“ Sein ursprünglicher Traum von „100 Prozent Ökolandbau“ habe sich nicht erfüllt – in Deutschland seien es gerade einmal zehn bis zwölf. „Wahrscheinlich muss die Erde richtig kochen, bis die Menschen erkennen, was der richtige Weg wäre“, sagt Carsten Niemann. Resignation ist trotzdem kein Gefühl, das er Überhand gewinnen lässt. Nicht, wenn er von Überproduktion und Kartoffeln, die in Bio-Gasanlagen landen, spricht. Und auch nicht dann, wenn er das „Riesenproblem“ erwähnt, junge Betriebsleiter zu finden. „Die Arbeitsmentalität hat sich auch in der Landwirtschaft extrem verändert.“
Was Carsten Niemann unermüdlich antreibt ist das Wissen, dass der Erzeugerzusammenschluss Bio Kartoffel Nord einen wertvollen Beitrag für die Umwelt leistet. „In den vergangenen Jahrzehnten ist deutlich geworden, dass Ökolandbau keine ,versponnene Idee‘ ist.“ Deshalb freut sich der Geschäftsführer auch über den „Bundespreis Ökologischer Landbau“, mit dem sein Unternehmen vor zwei Jahren ausgezeichnet wurde. „Ein Preis wie dieser ist gut für die Außenwirksamkeit“, sagt der Bio-Landwirt. Und man spürt, dass seine Mission, Menschen von der Sinnhaftigkeit des Ökolandbaus zu überzeugen, noch lange nicht beendet ist.
Alexandra Maschewski
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