Ein Labor nur für die Azubis

„Als wir merkten, dass das funktioniert, was wir gebaut haben: Das war ein schönes Gefühl.“ Lennart Lochte ist 17 Jahre alt und lernt Elektroniker für Geräte und Systeme bei der Sieb & Meyer AG in Lüneburg. Gemeinsam mit dem Azubi-Team hat der 17-Jährige einen Widerstandssimulator im firmeneigenen Ausbildungslabor entwickelt. Dieses macht die Lehre nicht nur besonders praxisnah, sondern bot auch Grund für einen ganz besonderen Besuch: Staatssekretär Marco Hartrich aus dem niedersächssichen Kultusministerium ließ sich von den jungen Leuten zeigen, was und wie sie hier lernen. Anlass war die Woche der beruflichen Bildung.
Den Widerstandssimulator haben die Auszubildenden im Zuge eines Projekts entwickelt. „Wir mussten erst einmal recherchieren, wie man so etwas baut“, erklärte Lennart Lochte dem Gast. „Außerdem sollte er gut aussehen, daher haben wir uns für einen Farbcode entschieden. In der Zeit des Projekts haben wir viel mehr gelernt als wir vorher dachten.“
Das liege auch daran, dass ihr Ausbilder ihnen erlaubt zu scheitern, ergänzte Falk Kranholdt (17). „Das ist ja das Spannende an der Elektrotechnik: den Ehrgeiz zu entwickeln, es hinzubekommen, auch wenn es zunächst nicht klappt.“ Interesse an dem Beruf hat der 17-Jährige gefunden, als Sieb & Meyer an einem Berufsorientierungstag in seiner Schule Lötübungen angeboten hatte. „Das fand ich spannend und habe mich anschließend für eine Ausbildung beworben.“
Ein „Musterbeispiel dafür, wie es sein sollte“, kommentierte Staatssekretär Marco Hartrich die Erzählungen der Auszubildenden. „Wirklich beeindruckend.“ Er lobte außerdem, dass Sieb & Meyer auch junge Leute aus anderen Unternehmen in das eigene Labor einlädt, damit sie sich dort auf ihre praktischen Prüfungen vorbereiten können.
Der Entwickler und Hersteller von Steuerungstechnik und Antriebselektronik war das einzige Unternehmen in unserem IHKLW-Bezirk, das der Staatssekretär anlässlich der Woche der beruflichen Bildung besuchte. Mit der Aktion will das Kultusministerium den Fokus auf die Bedeutung der Berufsausbildung und die berufliche Orientierung an Schulen lenken. Vor allem an Gymnasien gebe es in diesem Bereich Nachholbedarf, sagte Hartrich. „Es muss deutlicher werden: Das Abitur kann nicht nur der Weg zu einem Studium sein.“ Vor allem Gymnasien und Ausbildungsbetriebe sollten verstärkt zusammenarbeiten, um auch zukünftige Abiturient*innen über die vielfältigen Möglichkeiten einer Berufsausbildung zu informieren und – das gelte noch immer – auch bei Schülerinnen für technische Berufe zu werben.
Dass dies noch nicht zur Regel gehört, kann Paula Wehrspann bestätigen. „Uns Mädchen wurde auf dem Gymnasium empfohlen, in den sozialen Bereich zu gehen“, erzählt die 22-Jährige. Heute steht sie kurz vor ihrem Abschluss zur Elektronikerin für Geräte und Systeme.
An ihren Lehrjahren gefiel der jungen Frau besonders gut, dass sie in alle Abteilungen des Unternehmens einen Einblick erhielt – auch in jene, die mit ihrem Ausbildungsberuf zunächst nichts zu tun haben.
Der Geschäftsführung des Familienbetriebs, seit 2009 IHKLW-Innovationsbotschafter, ist diese Vielfalt ein besonderes Anliegen. „Wir lassen unsere Auszubildenden auch in Bereiche hineinschnuppern, die nicht auf dem Ausbildungsplan stehen“, sagt der Vorstandsvorsitzende Markus Meyer. „Oder sie dürfen länger dort bleiben, wo sie es besonders spannend finden. Das tun wir, um die jungen Menschen in ihren Talenten zu fördern und nach Abschluss ihrer Ausbildung bei uns zu halten.“
Laurens van der Hoeven hat bei Sieb & Meyer Elektroniker gelernt und wird nächstes Jahr zum Nachfolger des langjährigen Ausbildungsleiters Carsten Witte-Redin. „Sieb & Meyer zeichnet sich durch das Vertrauen in die Mitarbeitenden aus“, sagt der 29-Jährige. „Wir blicken auf den Menschen und darauf, wo er oder sie hinwill. Und dann wagen wir Schritte.“ So können ausgelernte Elektroniker bei Sieb & Meyer auch in Bereiche wechseln, die anderswo nur mit Studium zu erreichen sind. „Auf diese Weise halten wir unsere Fachkräfte.“
Dass diese Strategie aufgeht, beweisen die Zahlen. „Das Thema Fluktuation ist bei uns keine Herausforderung“, sagt Personalerin Louise Lau. „Wer zu uns kommt, bleibt bei uns.“ Herausfordernd sei vielmehr, dass in den nächsten zehn Jahren bis zu 100 der derzeit rund 300 Mitarbeitenden in Rente gehen werden.
Wie viele Wege eine berufliche Ausbildung öffnet, darauf weist auch der stellvertretende IHKLW-Hauptgeschäftsführer Sönke Feldhusen immer wieder hin. „Ausbildung und Studium sollten als gleichwertig betrachtet werden“, sagt Feldhusen, gleichzeitig Sprecher für Berufliche Bildung der IHK Niedersachsen. „Mit Blick auf das Lebenszeiteinkommen, mögliche Entwicklung und auch die perspektivische Übernahme von Führungsverantwortung steht eine Ausbildung einem universitären Abschluss nicht nach. Das sollte auch in der Berufsorientierung deutlich werden, besonders an Gymnasien.“
Digitalisierung, KI und Aspekte der Nachhaltigkeit finden in der betrieblichen Ausbildung laut Feldhusen zudem früher und praxisbezogener Eingang als in Schulen oder auch Universitäten. „Die Anforderungen steigen, aber auch die Karrieremöglichkeiten.“ Das Problem dabei: „Jugendliche wissen oft gar nicht um die vielfältigen Möglichkeiten einer Ausbildung und welche Perspektiven sie ihnen bieten kann.“ Um junge Menschen dabei zu unterstützen, eine Berufswahl aufgrund fundierter Erfahrungen und Informationen zu treffen, bietet unsere IHKLW zahlreiche Projekte, an denen sich auch Unternehmen beteiligen können. Ein Überblick ist zu finden unter www.ihk.de/ihklw/berufsorientierung. Aktuelle Ausbildungsplätze bündelt die Website www.meine-ausbildung-in-niedersachsen.de. Carolin George