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„Niedersachsen muss schneller werden“
Herr Kirschenmann, im kommenden Jahr werden Sie turnusgemäß Präsident der IHK Niedersachsen (IHKN). Welche Themen wollen Sie für die niedersächsische Wirtschaft bewegen?
Mein Motto für die IHKN-Präsidentschaft lautet „Niedersachsen muss schneller werden“. Wir brauchen mehr Tempo bei der Infrastruktur und der Digitalisierung – vom Gigabitausbau über das 5G-Mobilfunknetz bis hin zur digitalen Ausstattung von Schulen. Und natürlich gibt es auch beim Aufbau digitaler Kompetenzen in Unternehmen noch Luft nach oben. Ebenfalls weit oben auf die Agenda gehört die Digitalisierung und Beschleunigung von Verwaltungsleistungen. Das enorme Entlastungs- und Modernisierungspotenzial, das digitale Angebote und Lösungen für Gesetzgebung und Verwaltung eröffnet, wird bislang nicht ausreichend genutzt.
Was also ist zu tun?
Es gilt, die Blockaden, die unsere Wirtschaft immer wieder behindern und viel Zeit kosten, zu identifizieren und abzubauen. Als IHKLW-Präsident möchte ich mittelfristig einen interdisziplinären ThinkTank einrichten, der das Problem von vielen Seiten betrachtet. Und auf Landesebene gibt es bereits einen Anfang: So hat die Landesregierung vor einem Jahr bei der IHK Niedersachsen eine Clearingstelle angesiedelt, die uns jetzt die Möglichkeit gibt, Gesetzesentwürfe auf ihre Auswirkungen auf den Mittelstand hin zu prüfen und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Allerdings bezieht sich das nur auf neue Gesetzesvorhaben. Das hilft auf jeden Fall mögliche weitere Belastungen abzuwenden. Es muss auch darum gehen, wie sich die Regeln in der Praxis tatsächlich darstellen, wenn sie schematisch angewendet werden. Oft kommt dann etwas raus, was keiner mehr versteht.
Nochmal zur Digitalisierung: Welche Projekte sehen Sie in Niedersachsen als vorrangig an?
Die Corona-Pandemie hat den Transformationsdruck für die Betriebe erheblich verstärkt. Niedersachsens Unternehmen benötigen einen Digitalisierungs-Schub! Die Voraussetzung dafür ist eine moderne digitale Infrastruktur. Gigabitanbindungen sind eine elementare Voraussetzung für langfristige Wettbewerbsfähigkeit. Zwar fördern Bund und Land den Breitbandausbau seit Jahren massiv, doch die Kommunen müssen neben der erforderlichen personellen Ausstattung immer auch einen erheblichen Eigenanteil tragen. Wir fordern das Land Niedersachsen auf, bei der „Graue Flecken“-Förderung deutlich mehr eigenes Geld in die Hand zu nehmen und damit einen höheren Förderanteil als die bisherigen 25 Prozent zu übernehmen. Mit Blick auf konkrete Unterstützungsangebote für Unternehmen kann ich sagen, dass die IHK Niedersachsen bereits aktuell mit dem neuen Mittelstand-Digital Zentrum Hannover kooperiert. Als federführende IHK für das Thema Digitalisierung koordiniert unsere IHKLW Unternehmensbesuche, Roadshows und Schulungen in ganz Niedersachsen. Ich freue mich über diese Kooperation und darauf, dass wir den Unternehmen auch im kommenden Jahr bedarfsgerechte, zukunftsweisende Angebote machen können.
Sie engagieren sich im Mittelstandsausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Was bewegt Sie mit Blick auf die Bundespolitik?
Die Wirtschaft braucht jetzt einen spürbaren Investitions- und Wachstumsschub. Wir sehen im Moment, dass die Lage schwieriger wird und die Erholung nach Corona durch Lieferkettenprobleme, Energie- und Rohstoffpreise und die wirtschaftlichen Belastungen der Dekarbonisierung ausgebremst wird. Die neue Bundesregierung sollte deshalb alles daran setzen, Unternehmen zu entlasten und Beschäftigung zu sichern. Das wäre ein günstiges Klima für private und öffentliche Investitionen. Wir müssen auch zügiger entscheiden können. Deutschland darf zwar weiterhin besonders gründlich sein – aber nicht langsamer und auch nicht teurer als der Rest der Welt. Die Unternehmen sehen sich allzu oft durch komplexe Regulierungen, langwierige Verfahren und praxisferne Vorgaben ausgebremst. Ich möchte an dieser Stelle eindringlich davor warnen, jetzt Investitionen und Wachstum durch eine falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik abzuwürgen. Was für Niedersachsen gilt, gilt auch bundesweit: Wir müssen jetzt mehr Tempo machen. Wenn es um das Thema Geschwindigkeit geht, muss ich zum Beispiel nur auf die A 26 oder die A 39 schauen. Wenn wir immer so viel Zeit verlieren, setzen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel. Leistungsfähige Verkehrswege sind elementar für einen attraktiven Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir erwarten auch in den nächsten Jahren bedarfs-gerechte Investitionen in unsere Bundesfernstraßen und eine spürbare Planungsbeschleunigung für Neu- und Ausbauprojekte.
Ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist auch das Thema Fachkräftesicherung. Wie unterstützen die IHKs in Niedersachsen?
Wer seine Belegschaft zukunftsfest aufstellen will, sollte selbst ausbilden und schon früh den Kontakt zu potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern suchen. Die niedersächsischen IHKs unterstützen dabei mit einer Reihe von Angeboten an der Schnittstelle von Schule und Wirtschaft. Das reicht von Projekten zur Berufsorientierung über Azubi-Speeddatings bis zur digitalen Ausbildungskampagne Moin Future, die jungen Menschen die Chancen und Möglichkeiten einer dualen Ausbildung bei regionalen Unternehmen nahebringt. Selbstverständlich nutzen wir auch unsere Drähte in die Landespolitik, um für attraktive Rahmenbedingungen im Bereich der Ausbildung zu sorgen. Auch das Thema der Berufsschulen liegt uns sehr am Herzen. Hier gibt es großen Nachholbedarf bei der Digitalisierung aber auch bei der Ausstattung einiger Schulen insgesamt. Auf europäischer Ebene beneidet man uns immer noch wegen unseres dualen Berufsbildungssystems. Während wir jedoch stagnieren, holen andere europäische Länder stark auf. Wenn wir die berufliche Bildung stärken, stärken wir die Zukunftschancen junger Menschen und die Fachkräftesicherung für Unternehmen. Der Fachkräftemangel war schon vor der Corona-Krise ein gravierendes Problem für die niedersächsische Wirtschaft, durch die Pandemie hat es sich für Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe, den Einzelhandel und das Veranstaltungsgewerbe deutlich verschärft. Gerade in den besonders betroffenen Branchen wird es immer wichtiger, neue Zielgruppen zu adressieren. Dazu zählen Menschen mit Migrationshintergrund und ausländische Fachkräfte, die es zu rekrutieren, zu qualifizieren und zu binden gilt. Die IHKs können mit Instrumenten wie Teilqualifikationen oder Verlängerung von Ausbildungen durch Teilzeitgestaltung mit begleitendem Sprach- und Förderunterricht gemeinsam mit Unternehmen und Partnern wie der Arbeitsagentur Lösungen schaffen. Und last but not least bieten wir ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm, das Seminare und Lehrgänge für Azubis, Fach- und Führungskräfte umfasst.
Interview: Sandra Bengsch
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