Tante Emma heißt jetzt Tante Enso

In manchen ländlichen Regionen gibt es kaum noch Geschäfte. Mit jeder Bäckerei, jedem Lebensmittelladen geht für die Bevölkerung auch ein Stück Lebensqualität, denn nicht alle haben die Möglichkeit, kilometerweit zum Einkaufen zu fahren. Der Bremer Myenso-Gründer und CMO Thorsten Bausch über ein Geschäftsmodell, das den Online-Handel mit dem klassischen stationären Angebot verbindet – und von dem alle etwas haben.
Laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) können viele Einrichtungen und Dienstleistungen in ländlichen Regionen wegen rückläufiger Bevölkerungszahlen nicht mehr rentabel angeboten werden. Das betrifft auch den Einzelhandel. „Vielerorts ist ein fußläufig erreichbares Angebot mit Gütern des täglichen Bedarfs nicht mehr gewährleistet, was insbesondere für die nicht-automobile Bevölkerung, die zumeist auf die Unterstützung von Familie und Nachbarn angewiesen ist, ein Problem darstellt“, heißt es dort. Eine Lücke, in das Ihre Geschäftsidee stößt: Myenso ist Online-Supermarkt, aber auch stationärer Handel –ausschließlich in kleinen Gemeinden auf dem Land. Was ist das besondere an Ihren „Tante Enso“-Läden?
Unsere Ursprungsidee war ein reiner Online-Supermarkt. 2017 kamen Vertreter aus dem 3.000-Einwohner-Ort Blender im Landkreis Verden auf uns zu, in dem es zu dem Zeitpunkt keinerlei stationäre Einkaufsmöglichkeiten mehr gab. Eine Bürgerbefragung hatte ergeben, dass sich die Menschen einen Supermarkt zurück wünschten. Anfangs dachten wir, wir könnten dieses Bedürfnis mit unserem Online Supermarkt regeln. Doch das lief nicht so richtig gut.
Die Menschen wollten einen klassischen stationären Markt?
Wir haben noch einmal nachgefragt und es hat sich herausgestellt, dass der Bedarf für einen stationären Laden tatsächlich hoch war. Die Menschen waren ja noch da – aber seit über zehn Jahren gab es keinen Supermarkt mehr. Sie mussten immer recht weite Fahrten auf sich nehmen, um in einem der großen 800-Quadratmeter-Filialen einkaufen zu gehen. So geht es vielen, die nicht in Großstädten leben. Wir wissen: Entfernungen über fünf Kilometer werden als unbequem empfunden. Doch solche großen Läden lohnen sich in kleinen Orten nicht. Wir sind der Meinung: Wenn die Menschen und ihr Bedarf noch da sind, der Supermarkt aber nicht, dann muss sich das Konzept Supermarkt neu erfinden. So ist die Idee eines modernen Supermarkts entstanden, der aber auf der Idee von „Tante Emma“ basiert.
Ihre Idee wurde von Anfang an gut angenommen. Sie eröffnen bundesweit neue Märkte, in Niedersachsen zuletzt in Breddorf (Landkreis Rotenburg) und Axstedt (Landkreis Osterholz). Bis Ende des Jahres wollen Sie in ganz Deutschland 80 solcher Supermärkte betreiben, 20 davon in Niedersachsen.
Die hohe Nachfrage hat uns aus den Socken gehauen. Nach unserer Schätzung gibt es rund 3000 Orte in Deutschland, die keine Nahversorgung haben. Wir haben immer um die 900 Bewerbungen von Orten bei uns auf dem Tisch: Da kommen zum Teil kleine Filmchen oder Fotokollagen. Wir prüfen den Bedarf einer sogenannten Haushaltsvollversorgung und erstellen eine Standortanalyse. Voraussetzung ist, dass sich mindestens im Umkreis von fünf bis sechs Kilometern kein anderer Haushaltsvollversorger befindet und im Ort zwischen 1.000 bis 3.000 Menschen leben. Im Tante-Enso-Markt kann man rund um die Uhr einkaufen – zu den gewohnten Öffnungszeiten mit Personal und außerhalb dieser mit einer Tante Enso-Karte.
Mit der Karte können die Kund*innen dann selbst die Tür öffnen und sich registrieren. Inwiefern unterscheidet sich Tante Enso noch von anderen kleinen Supermärkten?
Wir bieten stationär eine Auswahl aus rund 3.000 Artikeln. Dazu gibt es den Online-Supermarkt mit weiteren 15.000 Artikeln, die bestellt, direkt nach Hause oder zu Tante Enso geliefert und dort abgeholt werden können. Bei Lieferung zu Tante Enso entstehen weder Versandkosten noch der sonst übliche Verpackungsmüll. Wir benötigen nicht so riesigen Flächen wie andere Supermärkte, da wir weder große angeschlossene Lager noch besonders viele Mitarbeitende vor Ort benötigen. Administration und Logistik werden zentral von uns aus Bremen gesteuert, vor Ort muss vor allem das Sortiment gepflegt werden. Insgesamt arbeiten bei uns rund 200 Leute, mit jedem Markt kommen vier bis fünf Beschäftigte dazu. Wir entwickeln uns ziemlich dynamisch.
Vor einer neuen Standorteröffnung sichern Sie sich unter anderem damit ab, dass die Leute vor Ort Teilhaber*innen der myenso Genossenschaft werden können, die zusammen mit der enso eCommerce GmbH hinter Tante Enso steht.
Die GmbH ist der Maschinenraum des enso-Ökosystems und die eG unsere Holding, wenn man so will. Der Maschinenraum übernimmt Organisation, Einkäufe, Logistik usw. und stellt die IT. In der Holding sind die Menschen, die enso immer mehr gestalten und mitbesitzen. Mit der Genossenschaft machen wir unsere Kunden zu Partnern in der gemeinsamen Sache, mindestens 300 Leute müssen im Vorfeld mindestens je einen Anteil an der eG erwerben. Je mehr sich beteiligen, desto größer wird die Verbundenheit zu Tante Enso sein. Unsere mittlerweile 25.000 Genossinnen und Genossen bekommen vergünstigte Preise, für größere Einkäufe Gutscheine und sie sind mit fünf Prozent Rendite am Erfolg beteiligt.
Und das Sortiment ist bundesweit gleich, oder passen Sie das regional an?
Im Kern führen wir klassische Supermarkt-Artikel. Diese ergänzen wir jeweils mit 15 bis 20 Prozent regional erzeugten Produkten wie Obst und Gemüse, Fleisch und Wurstwaren, Molkereiprodukten und Backwaren. Weitere 15 bis 20 Prozent unseres Sortiments sind Manufakturprodukte und Erzeugnisse von Startups, die wir unter dem Dach unserer eigenen Marke „foodpioniere“ im Regal als Alternative zu den bekannten, häufig industriell gefertigten Produkten anbieten. Aktuell machen unsere Tante Ensos rund 500.000 Euro Umsatz pro Jahr. Dies wollen wir durch permanente Optimierung und Sortiments-, Angebots-, Service- und Gebietserweiterung auf rund eine Million Euro Jahresumsatz pro Tante Enso steigern. Anne Klesse