Mehrwerte durch unternehmerische Selbstverantwortung

Diversitäts-Aktivistin Rike van Kleef über Female Empowerment, zufriedene Beschäftigte und unternehmerische Selbstverantwortung – und warum bestimmte Veränderungen Lösungen gegen den Fachkräftemangel bereit halten.
Was genau verstehen Sie unter „Unternehmerischer Selbstverantwortung“?
Unternehmer*innen tragen Verantwortung für ihr wirtschaftliches Handeln. Ein Teil dessen, was Unternehmer*innen leisten müssen, ist politisch in Mindeststandards definiert, beispielsweise im Bereich Arbeitsschutz. Andere Verantwortungsbereiche, über die wir gesellschaftlich diskutieren, sind noch nicht in Gesetzen festgehalten. Hier kommt die Selbstverantwortung ins Spiel: In all den Fällen, in denen Unternehmer*innen aus eigener Motivation über die Mindeststandards hinausgehen – insbesondere hinsichtlich Arbeitsbedingungen, ökonomischer, ökologischer, aber auch sozialer Nachhaltigkeit –, spreche ich von unternehmerischer Selbstverantwortung.
Wenn Unternehmer*innen aus eigener Motivation über die Mindeststandards hinausgehen, spreche ich von unternehmerischer Selbstverantwortung.
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Rike van Kleef arbeitet als Moderatorin und Speakerin sowie als Tour- und Stagemanagerin bei Audiolith-Booking. Die 28-Jährige ist Mitgründerin und Co-Vorständin der feministischen Initiative fæmm in der deutschen Musikbranche. Seit November 2022 engagiert sie sich außerdem im Rat der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft. © Conrad Wegener
In Bezug beispielsweise auf die Frauenquote hat eine solche Eigenverantwortlichkeit in der Vergangenheit nicht funktioniert. Nun befinden sich viele Unternehmen nach der Pandemie, mit einem Krieg in unmittelbarer Nachbarschaft, der zunehmend spürbaren demografischen Veränderung und dem Fachkräftemangel aktuell in einer angespannten Situation. Wie sieht zeitgemäße Unternehmensführung in diesem Spannungsfeld aus?
Ich glaube, Unternehmen werden einen Mehrwert davon haben, wenn sie sich mit dem Thema unternehmerische Selbstverantwortung beschäftigen. Dass das bisher nicht so gut funktioniert hat, könnte daran liegen, dass die Debatte rund um Gleichberechtigung und Diversität so aufgeladen ist. Die gesetzlichen Vorgaben, die bisher aus der Politik kamen, sind offensichtlich nicht ausreichend. Scheinbar waren die Incentives nicht groß genug. Den Unternehmern – in der Regel sind es Männer – fehlt offenbar das Bewusstsein dafür, dass Diversität und Gleichstellung notwendig und wichtig sind. Das ist ja immer das Problem: Wenn sich Macht in einer Position akkumuliert, die weit weg ist von den Lebensrealitäten anderer Arbeitnehmer*innen oder von der Gesellschaft, dann fehlt das Bewusstsein dafür, warum diese gesellschaftlichen Prozesse notwendig sind.
Um etwas zu verändern brauchen wir alle Menschen an Bord.
Dabei wird sich gesamtgesellschaftlich vermutlich erst etwas ändern, wenn über die eigene Bubble hinaus gedacht und gehandelt wird.
Absolut. Um etwas zu verändern brauchen wir alle Menschen an Bord. Im Übrigen bin ich davon überzeugt, dass auch Männer davon profitieren, wenn sie auf eine gleichberechtigtere diversere Welt hinsteuern. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich für „Female Empowerment“ vor allem Frauen interessieren. Männer fühlen sich von dem Thema überhaupt nicht angesprochen. Dabei müssen genau sie erreicht werden, wenn wir wollen, dass Unternehmensleitungen aktiv Frauen befördern. Denn in der Regel sitzen – noch immer – Männer in den verantwortlichen Positionen.
Inwiefern lohnt sich unternehmerische Selbstverantwortung für sie, auch finanziell?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiter*innen, die sich mit ihrem Unternehmen und dessen Unternehmenswerten identifizieren, ihre Arbeit sinnstiftend finden und sich wohl und sicher und respektiert und gesehen fühlen, eher bleiben. Eine eindeutige Positionierung des Unternehmens führt zu einer geringeren Fluktuation. Zufriedene Mitarbeiter*innen arbeiten in der Regel effizienter und sind eine ganz tolle Werbung für das Unternehmen, auch hinsichtlich der Anwerbung neuer Mitarbeiter*innen. Das ist also eine zentrale Qualität in Zeiten des Fachkräftemangels. Gute Arbeitsbedingungen und ein wertschätzendes Unternehmensumfeld sind wichtiger denn je. Ganz gezielt sollten auch Personengruppen eingebunden werden, die vielleicht bisher noch nicht so stark angesprochen wurden. Dies eröffnet einen neuen Pool an potenziellen Mitarbeiter*innen sowie neue Perspektiven: Dabei geht es nicht nur um Frauen, sondern beispielsweise auch um People of Colour, Menschen mit Behinderung oder aus einer anderen Altersgruppe.
Gesellschaftlich wird es zunehmend wichtiger, sich als Unternehmen zu positionieren.
Und in Bezug auf das Geschäftsmodell?
Neben der Wirkung nach innen gibt es ja immer auch die Wirkung nach außen. Gesellschaftlich wird es zunehmend wichtiger, sich als Unternehmen zu positionieren – beispielsweise in Bezug auf die Klimakrise, aber auch, inwiefern Personen unterschiedlicher Identitäten in Führungspositionen eingebunden werden. Potenzielle Partner*innen, Kund*innen und Investor*innen fordern so eine Positionierung sukzessive immer mehr ein. Da können unternehmerische Selbstverantwortung und nachhaltiges Handeln, also der Ruf des Unternehmens, Selling Points sein. Und: Grundsätzlich ist agieren immer günstiger als reagieren. Im Nachhinein auf einen Shitstorm reagieren zu müssen, ist meist sehr viel teurer und sehr viel schwieriger, als Veränderungen im eigenen Tempo im Unternehmen selbst zu implementieren.
Startups können von Beginn an die Kernpunkte ihrer eigenen Unternehmenskultur definieren. Wie sollten über Jahrzehnte und durch unterschiedliche Generationen und Umfelder geprägte Unternehmen Änderungen ihrer mitunter verkrusteten Strukturen angehen?
Natürlich ist es für junge Unternehmen mit jüngeren, agilen Beschäftigten einfacher, da viele Themen für die junge Generation bereits selbstverständlich sind. Wenn das Bewusstsein dafür fehlt, sind Veränderungen natürlich viel schwieriger. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass auch Kleine und Mittlere Unternehmen ganz stark davon profitieren. Nur so bleiben sie zukunftsfähig. Zum Teil muss da sicherlich erst einmal Grundlagenarbeit geleistet werden. Die Beteiligten müssen dort abgeholt werden, wo sie stehen. Das Wichtigste ist, das Bewusstsein zu schärfen, zu sensibilisieren und zu vermitteln. Die Unternehmensleitung muss mit positivem Beispiel vorangehen, Aufklärungsarbeit implementieren und ein gutes Change Management anstoßen. Da ist Geduld gefragt. Anne Klesse
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