„Vieles den Techies zu überlassen ist gefährlich“

Jaff ist Stipendiatin der „Women who Code“ und gründete das Start-up CoDesign Factory. Bei der GedankenGut-Reihe unserer IHKLW hat sie am 19. Mai im Kunstmuseum in Wolfsburg über „Programmieren: Die Sprache der Zukunft“ gesprochen. 
Warum ist Programmieren die Sprache der Zukunft und nicht die der Gegenwart?
Angelehnt an die „Fridays for Future“-Bewegung wird sich auch die Tech-Szene engagieren müssen, die Welt besser zu machen: Dazu gehört die Digitalisierung voranzutreiben, zukunftszugewandt zu denken und jetzt Veränderungen für die nächsten Jahre anzustoßen. Nachhaltigkeit muss weiter gefasst werden. Es reicht nicht Plastik zu vermeiden und vegan zu kochen. Auch die Digitalisierung muss ganzheitlich gedacht werden.
Porträt von Aya Jaff
Aya Jaff ist Stipendiatin der „Women who Code“ und gründete das Start-up CoDesign Factory. Mit 15 entwickelte sie ihre erste App. Programmieren war ein Mittel zum Zweck – und gleichzeitig die Sprache der Zukunft. © Aya Jaff
Wie ginge das zum Beispiel?
Wir „Techies“ können natürlich dafür sorgen, dass Speichermethoden für Texte und Fotos nachhaltig gestaltet werden, doch ich frage mich, inwiefern Technologie nicht nur ökologisch, sondern auch sozial nachhaltig gestaltet werden kann. Dafür müssen wir zum Beispiel unterschiedliche sozioökonomische Gruppen mitdenken. Künstliche Intelligenz spielt sowohl heute als auch in der Zukunft eine große Rolle – sie muss so programmiert werden, dass sie frei von Rassismus ist. Doch wer programmiert ist nicht automatisch in der Lage, alle Aspekte mitzudenken. Wir brauchen „Tech for Future“, einen Zusammenschluss von technologieaffinen Menschen, die all das diskutieren und in das gesellschaftliche Bewusstsein rücken. Bisher wird vieles einfach den „Techies“ überlassen, das ist gefährlich.
Vermutlich passiert aber genau das, weil die Mehrheit keine Lust oder Ahnung hat, sich mit Codes hinter den Anwendungen zu beschäftigen?
Das beobachte ich immer wieder. Jedes Mal, wenn ich erzählt habe, dass ich Programmiererin bin, waren alle schwer beeindruckt und dachten, ich wäre ein Genie. Dieser übertriebene Respekt, der Programmierinnen und Programmierern entgegengebracht wird, ist ein Problem. Derzeit haben sie viel zu viel Macht. Der Code, der geschrieben wird, wird von potenziell Millionen von Menschen genutzt, aber von niemandem ethisch hinterfragt. Dabei sollte am Anfang immer die Frage stehen: Auf welcher Wertebasis soll der Algorithmus funktionieren? Dafür bräuchte es vielleicht sogar Ethik-Kommissionen in Un­ternehmen.
Die Gefahr von Missbrauch scheint bei dem Thema derzeit hoch. Wie können Unternehmen das verhindern?
Bereits bei der Gründung muss die Technologie mitgedacht werden. Aktuell sehe ich die problematischsten Auswirkungen beim Thema Diskriminierung. Dass beispielsweise Frauen in der Hard- und Software-Entwicklung noch immer kaum mitgedacht werden, ist auch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Es gibt zwar Menstruationskalender-Apps, jedoch ist beispielsweise die Größe der Mobiltelefone nicht an die Handgrößen von Frauen angepasst. Die Sprachsteuerung „Siri“ funktionierte sehr lange nicht für Frauenstimmen, weil die Funktion einfach nicht von Frauen getestet wurde. Das Problem ist: Selbst wenn Männer in Unternehmen versuchen würden, sich in Frauen hineinzuversetzen, sind sie nun einmal keine Frauen. Unternehmen müssen also Frauen einstellen, wenn sie die Hälfte der Menschheit als Kundinnen nicht vernachlässigen wollen.
Diversere Teams sind das eine, was hilft Unternehmen noch, sich zukunftsfähig aufzustellen?
Es sind radikale Veränderungen nötig. Im Bereich der Technologie ist die Datenspeicherung ein großes Problem, wenn es um Zukunftsfähigkeit geht. Die Frage ist: Wie können wir etwas über sehr lange Zeiträume speichern, ohne dass Daten verloren gehen, ohne dass die Träger nicht mehr ausgelesen werden können und ohne den riesigen Aufwand der Kühlung – denn derzeit müssen Server gekühlt werden, um zu funktionieren. Das verbraucht sehr viel Strom. Eine Lösung könnte zum Beispiel sein, Daten mit Hilfe von DNA zu speichern. Forschungsprojekte dazu zeigen: Der Blick in andere Wissenschaftsbereiche lohnt und muss gefördert werden. Unternehmen, die das erkannt haben, arbeiten mit sehr divers und interdisziplinär besetzten Teams.
In Deutschland scheint diese Erkenntnis noch nicht sehr verbreitet zu sein?
Leider überhaupt nicht.
Auch die Internetnutzung ist in Bezug auf eine nachhaltige Zukunft ein Problem, denn das Surfen im Netz verbraucht Unmengen von CO2
Alle Kommunikationstechnologien zusammen machen etwa zwei Prozent der CO2-Emmissionen insgesamt aus – also genau denselben Betrag wie der Flugverkehr. Aber im Gegensatz zur Flugdebatte wird das Thema Internet als CO2-Treiber bisher null diskutiert. Warum nicht?
Wie lässt sich denn in der Internetnutzung effektiv CO2 einsparen?
Verzicht ist meiner Ansicht nach nicht nur hier der falsche Ansatz. Regulierungen beim Fliegen schließen vor allem diejenigen aus, die nicht reich genug sind, sich das weiter leisten zu können. Bei der Internetnutzung geht es darum, eher die Speichertechnologien zu verändern als das Nutzungsverhalten.
Wie kann die Tech-Szene bei dem Wandel hin zur Nachhaltigkeit helfen?
Ich selbst habe mir mit 15 das Programmieren selbst beigebracht, zunächst eine App entwickelt, später ein Börsenplanspiel und schließlich habe ich ein Start-up gegründet. Meine Ideen konnte ich nur deshalb umsetzen, weil ich finanzielle Sicherheit hatte. Viele haben dieses Privileg aber nicht und das kann ein Hinderungsgrund für Fortschritt sein. In Deutschland bräuchte es eine bessere Förderungskultur, auch mit Stipendien, die dafür sorgt, dass jede und jeder eine Chance hat und nicht nur die, die durch ihren sozialen Status Zugang zu wichtigen Leuten oder den finanziellen Mitteln haben. Die Tech-Szene ist da auch nicht besser als andere, auch bei uns herrscht großes Konkurrenzdenken. Aber als Zusammenschluss á la „Tech for Future“ könnte man sicherlich einiges bewirken. Anne Klesse