3 min
Lesezeit
Berufsbildung in Zeiten von Fachkräftemangel
Um junge Menschen für eine Ausbildung zu begeistern, sollten Unternehmen schon früh Karrierewege aufzeigen. Neben Ausbildungsmarketing könnte aber auch die Politik unterstützen – zum Beispiel mit einem bundesweiten Azubi-Ticket. Das sagt Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn.
Im Übergang Schule-Ausbildung spielen die Betriebe eine wichtige Rolle, denn sie bestimmen über die Auswahlverfahren und -kriterien bei der Einstellung von Auszubildenden. Welche blinden Flecken gibt es in diesem Prozess, die vielleicht mit dazu beitragen, dass die Gewinnung neuer Auszubildender so schwerfällt?
Es sind weniger die blinden Flecken bei der Auswahl, sondern die Herausforderung, überhaupt ausbildungsinteressierte Jugendliche zu finden. Vor allem kleine und kleinste Unternehmen, die ja fast die Hälfte der Ausbildungsaktivität leisten, gehen zunehmend leer aus. Und das, obwohl die Betriebe immer großzügiger hinsichtlich der Anforderungen an die Schulleistungen der Bewerberinnen und Bewerber werden. Auch Abläufe, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, werden flexibilisiert. Blinde Flecken finden sich eher im Bereich des Ausbildungsmarketings, also in Bezug auf die Frage, auf welchen Wegen und mit welchen Strategien versucht wird, Jugendliche für die Ausbildung zu gewinnen. Hier gewinnt die Präsenz von Betrieben in den sozialen Medien einen immer höheren Stellenwert. Gerade hier bräuchten viele dieser Betriebe Unterstützung.
Ausländische Fachkräfte haben es nicht leicht, auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sei es durch Nicht-Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oder durch andere Problematiken. Wie sollten wir diesem Dilemma begegnen?
In der Tat sind ausländische Fachkräfte häufig nicht qualifikationsadäquat beschäftigt. Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen trägt maßgeblich dazu bei, dies zu ändern. Allein im Jahr 2021 wurden knapp 5.500 Anerkennungsverfahren zu Qualifikationen aus rund 120 Ländern für Berufe in Zuständigkeit der Industrie- und Handelskammern beschieden – eine enorme Leistung. Das Anerkennungsverfahren bringt Klarheit für Fachkraft und Betrieb. Wurde für einen konkreten Abschluss bereits eine volle oder teilweise Gleichwertigkeit festgestellt, könnte die öffentliche Bereitstellung dieser Information die qualifikationsadäquate Beschäftigung für weitere Fachkräfte beschleunigen und vereinfachen.
Der Trend zur Akademisierung nimmt nicht ab: Wie können Ausbildungsbetriebe deutlich machen, dass die duale Berufsausbildung mindestens genauso, wenn nicht attraktiver ist als ein Studium?
Die Veränderung des Bildungstrends kann nur langfristig und mit der Umsetzung einschlägiger Maßnahmen gelingen. Hier sind nicht nur die Ausbildungsbetriebe gefragt, die vor allem mit Übernahmeangeboten und speziellen Karrierewegen in Führungspositionen hinein werben können, sondern zuvorderst die Politik. Als besonders sinnvoll erachte ich die Verrechtlichung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) als Bekenntnis der Politik zur Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Andere pragmatische Ansatzpunkte wären die Schaffung eines bundesweiten Azubi-Tickets und die Bereitstellung von angemessenen und bezahlbaren Unterkunftsmöglichkeiten zur Mobilitätssteigerung.
Wie müssen wir uns mit der Anpassung der Auszubildendengehälter befassen? Helfen da schon Benefits für Auszubildende?
Die tariflichen Ausbildungsvergütungen in Deutschland sind 2022 im Vergleich zum Vorjahr im bundesweiten Durchschnitt um 4,2 Prozent gestiegen. Die Auszubildenden in tarifgebundenen Betrieben erhielten im Durchschnitt über alle Ausbildungsjahre 1.028 Euro brutto im Monat. Hier wird also schon jede Menge getan. Benefits reichen jedoch wegen hoher Inflation und großen Unterschieden zwischen den Vergütungen in den Berufen trotz der gestiegenen Ausbildungsvergütungen 2022 bei weitem nicht aus, um die Attraktivität dualer Ausbildung zu erhöhen. Berufswahl ist maßgeblich geleitet durch das Bedürfnis nach sozialer Wertschätzung. Berufe, bei denen Jugendliche mit negativen Rückmeldungen von Eltern oder Freunden rechnen, schließen sie meist von vornherein aus – auch, wenn die Tätigkeiten im Beruf eigentlich zu ihren Interessen und Fähigkeiten passen. Das gilt auch für Rahmenbedingungen im Beruf, die nicht zu den Vorstellungen der Jugendlichen passen. Daher müssen wir vor allem die soziale Anerkennung und die Rahmenbedingungen verbessern, um mehr junge Menschen für eine Berufsausbildung begeistern zu können. red
Kontakt
Sandra Bengsch