Mehrwert für alle

Herr Behmann, Sie sind Bänker und betreiben verschiedene Coffee-Shops in Celle. Wie wurden Sie Berater für die Beschäftigung von Schwerbehinderten?
Es ist an die zehn Jahre her, da kam ein junges Mädchen in meinen Shop. Sie hatte gehört, dass ich jemanden zur Snackvorbereitung suchte. Sie sagte, sie sei Autistin, und ich dachte: Wo ist das Problem? Es kamen dann noch einige andere Themen bei ihr dazu. Aber sie war 1000-prozentig zuverlässig. Und ich lernte dazu: Welche Bedingungen es gibt, Schwerbehinderte zu beschäftigen, und welche Vorteile. Je mehr ich wusste, desto häufiger wurde ich von anderen um Rat gefragt.
Wissen denn die Unternehmen selbst nichts über die Förderungen?
Damit kennt sich keiner aus. Auch die Schwerbehinderten selbst wissen in der Regel nicht, welche finanziellen Vorteile die Betriebe durch sie haben. Oft teilen sie ihre Schwerbehinderung noch nicht einmal mit. Das gilt besonders für frühere Krebserkrankungen oder erlebtes Burnout sowie Diagnosen wie Bandscheibenprobleme, Diabetes, Asthma.
Woran liegt das?
Es herrscht noch immer eine gewisse Stigmatisierung: Schwerbehinderte sind ewig krank, leisten nichts, sind unkündbar. Das muss ein Ende haben. Wir müssen Vorurteile ausräumen und Erkenntnisse schaffen, welchen Mehrwert die Beschäftigung für alle hat.
Wie kann das gelingen?
Die Menschen müssen zum Arbeitsplatz passen. Ein Autist als Buchhalter ist kein Problem, ein Rollstuhlfahrer als Bote oder eine Asthmatikerin in einer Wäscherei schon. Wenn es aber passt, ist ein Mensch mit Schwerbehinderung eine vollwertige Arbeitskraft, die wirtschaftlich mit bis zu 70 Prozent der Lohnkosten gefördert wird.
Welche Möglichkeiten gibt es für Unternehmen, Zuschüsse zu bekommen?
Etliche. Es sind zu viele, um sie kurz  anzureißen. Genau deswegen bieten wir gemeinsam die Informationsveranstaltung im Februar an.
Wie viele Töpfe sind es denn?
172.
Das ist ein Witz?
Stimmt. Es sind 3.800.
Ist die Fülle der verschiedenen Fördermöglichkeiten der Grund, warum sich Unternehmen so wenig damit auskennen?
Auf jeden Fall. In jedem Bundesland, jeder Kommune sind es andere. Viele können nicht parallel abgerufen werden, sodass es Sinn macht, sie nacheinander in Anspruch zu nehmen. Das Ganze ist sehr komplex. Aber die Töpfe sind randvoll, der politische Wille ist klar.
Wie behalten Sie in Ihrer Beratung den Überblick?
Unsere Programmierer haben eine Software entwickelt, die wir nicht nur mit allen Neuerungen füttern, sondern die auch die komplexen Sachverhalte übersichtlich strukturiert. So wissen wir stets, für welchen Arbeitsplatz welche Art von Förderung möglich ist. Manchmal sind es sechs bis sieben Töpfe, aus denen wir schöpfen können – für dieselbe Person. Förderungen im Lohnkostenbereich zwischen 40.000 Euro und 80.000 Euro je nach Bundesland sind keine Seltenheit. Allein 2023 haben wir mit Hilfe der Fördertöpfe mehr als 250 Menschen in Lohn und Brot gebracht.
Und wenn ein Betrieb keine Schwerbehinderten beschäftigt?
Dann kommt die sogenannte Ausgleichsabgabe (siehe Kasten) zum Zuge. Und die ist in diesem Jahr empfindlich gestiegen: von früher maximal 360 Euro auf jetzt 720 Euro. Pro Stelle pro Monat!
Welchen Mehrwert gibt es über die finanziellen Anreize hinaus?
Beschäftigte mit Schwerbehinderung identifizieren sich in der Regel stärker als andere mit dem Unternehmen, sind sehr loyal. Die Fluktuation ist sehr gering, und nach allem, was wir erleben, ist der Krankenstand bei ihnen am niedrigsten. Und die gute Erkenntnis, dass vermeintliche Schwächen auch Stärken sein können. 
Carolin George

So hoch ist die Ausgleichsabgabe seit 1. Januar 2024
» 20 bis 39 Angestellte:  210 Euro, wenn gar keine Schwerbehinderten beschäftigt werden. 140 Euro bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigung von weniger als einem schwerbehinderten Menschen, etwa bei Teilzeit.
» 40 bis 59 Angestellte:  410 Euro, wenn gar keine Schwerbehinderten beschäftigt werden. 245 Euro bei weniger als einem Schwerbehinderten. 140 Euro bei weniger als zwei Schwerbehinderten.
» 60 und mehr Angestellte:  720 Euro, wenn gar keine Schwerbehinderten beschäftigt werden. 360 Euro bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von mehr als null und weniger als zwei Prozent. 245 Euro bei einer Quote von zwei bis drei Prozent. 140 Euro bei drei Prozent, aber weniger als der geltenden Pflichtzahl.
Weniger zahlen muss, wer Aufträge an anerkannte Werkstätten für Menschen mit Behinderung vergibt.
IHK Lüneburg-Wolfsburg
Am Sande 1 | 21335 Lüneburg
Tel. 04131 742-0 
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