Chancen und Perspektiven der Tiefengeothermie

Niedersachsen hat sich ein ambitioniertes Ziel gesteckt: Als Land der erneuerbaren Energien will es fünf Jahre früher klimaneutral werden als der Bund. Im Kampf gegen die Klimakrise soll bis 2040 Treibhausgasneutralität erreicht werden. Schlüsseltechnologie inmitten der Diskussion um geeignete Maßnahmen könnte neben Windkraft und Photovoltaik die Tiefengeothermie sein. Heißes, mehr als 400 Meter tief im Gestein gespeichertes Wasser, das hochgepumpt wird, um ihm die Wärme zu entziehen, und kalt wieder runtergepumpt wird, ist eine nachhaltige und zuverlässige Energiequelle – theoretisch. Denn obwohl tiefe und mitteltiefe Geothermie in anderen Regionen Deutschlands wie im Raum München bereits erfolgreich für die Fernwärmenetze genutzt wird, ist das Potenzial im Norden noch weitgehend unerschlossen. Warum?
Teile der Stadt Munster sollten mit dem ersten Tiefengeothermie-Projekt in Niedersachsen mit Wärme versorgt werden, auch in Bad Bevensen sollte eine Anlage realisiert werden. Vor zwei Jahren gab es dafür eine Förderung von mehr als sieben Millionen Euro vom Land verbunden mit der Hoffnung, dass die Projekte Vorbild für die geothermische Nachnutzung der in Niedersachsen zahlreich vorhandenen Öl- und Gasbohrungen werden könnten, heißt es beim Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz. Anfang dieses Jahres stoppte jedoch der Stadtrat in Bad Bevensen das Vorhaben aufgrund von finanziellen Bedenken.
„Im Nordwesten Deutschlands wird zwar schon lange – teils länger als ein Jahrzehnt – an Tiefengeothermie-Projekten gearbeitet, aber trotzdem befinden sich alle noch in einer relativ frühen Phase“, so der Co-Geschäftsführer des ECOLOG-Instituts für sozial-ökologische Forschung und Bildung, Lars Holstenkamp. „Das Hauptproblem ist, dass Tiefengeothermie im Wärmesektor – trotz Umdenken seit dem Krieg in der Ukraine – nicht gegen billiges Erdgas konkurrieren konnte. Seit dem Krieg in der Ukraine findet ein Umdenken statt.“
Fernwärme macht nur 14 Prozent beim Heizen aus
Aktuell wird in Deutschland zu fast 50 Prozent mit Gas geheizt, in 25 Prozent aller Wohnungen mit Heizöl und nur zu rund 14 Prozent mit Fernwärme, zeigen Zahlen des Netzwerks GeoEnergy Celle e.V. Mehr als drei Viertel der Öl- und Gasheizungen ist demnach allerdings schon mindestens 17 Jahre alt. Großer Nachteil der Tiefengeothermie sind die sehr hohen finanziellen Risiken, die kaum ein Unternehmen eingehen kann oder will. Deshalb und auch aufgrund der geologischen Gegebenheiten sieht Holstenkamp für Norddeutschland eher bei der mitteltiefen Geothermie im Bereich von etwa 1.500 bis 2.000 Meter Tiefe Potenzial. Dafür seien nicht so große und feste Bohranlagen nötig wie für Bohrungen in 3.000 Meter Tiefe, die kaum verfügbar und dazu noch schwer zu transportieren seien. Auch erhöhen sich die Kosten für die Bohrung ab etwa 1.500 Metern überproportional, jeden Meter tiefer wird es teurer.
Laut zuständigem waren in Niedersachsen vergangenes Jahr 19 Erlaubnisse zu einer solchen Aufsuchung von Erdwärme aus Tiefen von mehr als 400 Metern vergeben, darunter eine für wissenschaftliche Zwecke. Gleichzeitig fanden dem letzten Bericht nach keine Tiefengeothermie-Bohrungen statt. Auch die Zahlen des zeigen rund 25 niedersächsische Anlagen in Planung und zwei im Bau, im Betrieb ist aber kein einziges Projekt. Dabei gibt es im Norddeutschen Becken, das sich von Süd-Niedersachsen bis zur Nord- und Ostsee zieht, laut einem Strategiepapier von und Helmholtz-Gemeinschaft in 4.000 bis 5.000 Meter Tiefe Temperaturen zwischen 130 und 160 Grad. Doch was am Ende gefunden wird, weiß man erst hinterher.
Wird beispielsweise nur 60 Grad Celsius heißes Wasser gefunden wie etwa im mecklenburg-vorpommerschen Schwerin, müssen teils mehrere Wärmepumpen hintereinander dazugeschaltet werden, um die Wärme überhaupt nutzen und über die Netze – die es bundesweit noch nicht flächendeckend gibt – verteilen zu können. „Auf lange Frist rechnet sich das trotzdem“, sagt Holstenkamp, „aber letztendlich muss Strom eingesetzt werden, um Wärme zu erzeugen. Wir wissen nicht, was Strom in Zukunft kosten wird. Und um Klimaneutralität zu erreichen, muss der Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden.“
Wärme kann kaum transportiert werden
Auch könne Wärme nicht ohne Verluste weit transportiert werden. „Je höher ein Wärmenetz gefahren wird, desto ungünstiger ist es, da die Differenz zwischen der Temperatur des Wassers aus dem Untergrund und der im Netz überbrückt werden muss“, so Experte Holstenkamp. Ein weiteres Problem sei die Projektdauer: „Von den ersten Untersuchungen, Genehmigungen und Probebohrungen bis hin zur finalen Bohrung und der Inbetriebnahme können locker fünf Jahre vergehen.“ Der Fachkräftemangel tut sein Übriges – zumal, wenn politisch keine Planungssicherheit herrscht. Die Ampel-Regierung hatte am Geothermie-Beschleunigungsgesetz und an Risikoabsicherungsmöglichkeiten gearbeitet. Nun hofft die Branche, dass die neue Regierung das Thema weiterverfolgen wird.
Laut Holstenkamp ist Tiefengeothermie derzeit vor allem für Kommunen mit hohem Wärmebedarf interessant: „In Großstädten oder Regionen mit Industrie, die gleichbleibend viel Wärme nutzen, denn Tiefengeothermie ist nicht geeignet, kurzfristige Spitzen abzudecken.“ Nur für große Anlagen lohne überhaupt die Investition. „Da muss also einiges passen, damit diese Energiequelle auch wirtschaftlich Sinn macht.“
Thor Növig, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks GeoEnergy Celle e.V., klingt wenig optimistisch: „Das Thema Tiefengeothermie ist weiterhin leider sehr ernüchternd. Angekündigte millionenschwere Förderprogramme des Landes zur Umsetzung der mitteltiefen und tiefen Geothermie sind bisher nicht erfolgt. Im Gegenteil: Wir erleben, wie milliardenschwere Investitionen in Wasserstoff fließen. Eine Technologie, die wir in Deutschland im Grunde genommen nur nutzen können, wenn wir überschüssigen Strom haben – den aber gibt es nicht.“ Dabei habe GeoEnergy ein 15.000 Quadratmeter großes Gebiet im Heidekreis ermittelt, in dem es in unter 1.500 Meter Tiefe die für Tiefengeothermie nötigen durchlässigen Gesteinsformationen gibt. „Dieses Feld könnte man mit relativ wenig Aufwand und Risiko erschließen und eine Kleinstadt wie Visselhövede, am Westrand der Lüneburger Heide, versorgen. Leider scheitern wir bisher am Risikokapital und an der Finanzierung“, berichtet Növig.
Die Möglichkeiten im Norddeutschen Becken hält er für groß. 65 Prozent des deutschlandweiten Potenzials der Tiefengeothermie befinde sich in Norddeutschland – nutzbar für Fernwärme und auch Strom. Die Oberkreide-Schichten Niedersachsens seien vor allem für die mitteltiefe Geothermie interessant. Voraussetzungen für die Nutzung seien aber neben der Risikominderung bei den Bohrungen eine Senkung der Kosten, beispielsweise durch Bündelung von Bohraktivitäten sowie der Zugang zum Wärmemarkt, der bei den vergleichsweise niedrigen Wasser­tem­pe­ra­turen mittels Großwärmepumpen angegangen werden müsste. Auch Holstenkamp ist sicher: „Der Markt muss sich jetzt weiterentwickeln, dann hat Tiefengeothermie eine gute Chance.“ Anne Klesse
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