"Mehr Mut zur Ausbildung"

Der Ausbildungsstart 2025 steht vor der Tür – doch vielen Betrieben fehlt der Nachwuchs. Sönke Feldhusen, Ausbildungsexperte unserer IHK Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW) und Sprecher Berufliche Bildung der IHK Niedersachsen (IHKN), erklärt, wie Unternehmen Jugendliche erreichen, welche Chancen die Ausbildung heute bietet – und warum sie dem Studium in nichts nachsteht.
Herr Feldhusen, wie steht es aktuell um den Ausbildungsmarkt in Niedersachsen – insbesondere im IHK-Bezirk Lüneburg-Wolfsburg?
In Niedersachsen ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zum Stand Ende Juni 2025 leicht gesunken – um rund 0,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Einen stärkeren Rückgang verzeichnet unser IHK-Bezirk Lüneburg-Wolfsburg mit einem Minus von 6,8 Prozent, insbesondere entstanden aus rückläufigen Vertragsabschlüssen im industriellen Bereich mit einem Schwerpunkt im Süden des IHK-Bezirks. Dies ist allerdings nur ein Zwischenstand, da viele Verträge noch nicht eingetragen sind. Geprägt ist die Lage durch zwei Entwicklungen: Einerseits befindet sich die regionale Wirtschaft in einer strukturellen Schwächephase mit hoher Unsicherheit und großen Transformationsnotwendigkeiten. Andererseits ist es weiterhin schwierig für viele Unternehmen, Ausbildungsplätze zu besetzen, da es an geeigneten Bewerbenden mangelt.
Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen für den Bewerbermangel?
Zum einen der demografische Wandel – es gibt einfach weniger Schulabgänger. Zum anderen tun sich viele junge Menschen nach wie vor mit dem Einstieg ins Berufsleben schwer. Auch wegen fehlender Orientierung schieben sie den Berufseinstieg auf, entscheiden sich für ein Freiwilligenjahr oder eine Auszeit, parken erst einmal in einem Minijob zwischen oder gehen teilweise auch ohne klare Vorstellungen in ein Studium oder eine weiterführende Schule. Und drittens wird die duale Ausbildung häufig noch nicht als gleichwertige Option zum Studium wahrgenommen. Dabei bietet sie exzellente Karrierechancen – besonders für diejenigen, die früh ins Berufsleben starten und sich praxisnah weiterentwickeln wollen.
Was brauchen junge Menschen heute, um sich für eine Ausbildung zu entscheiden?
Vor allem eine gute Berufsorientierung, die Ausbildung und Studium als gleichwertige Wege in den Beruf behandelt. Sie muss systematisch, praxisnah, ehrlich und frühzeitig erfolgen. Unser Ansatz als IHKLW ist, Jugendliche dort zu erreichen, wo sie sind – in der Schule, auf Social Media und auf Events. Dafür setzen wir auf direkte Begegnung, digitale Angebote und kreative Formate. Berufsorientierung funktioniert am besten, wenn junge Menschen ihre Stärken kennenlernen und erleben können, wie sie sie in Berufen einsetzen können.
Was raten Sie Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, Azubis zu finden?
Zeigen Sie sich – ehrlich, offen, modern. Bieten Sie Schnuppertage und Schulpraktika an. Viele Jugendliche wissen schlichtweg nicht, was sich hinter einem Beruf verbirgt und wie die Berufspraxis aussieht. Wer Azubis gewinnen will, muss in Dialog gehen. Nutzen Sie Social Media, machen Sie mit bei Formaten wie dem Zukunftstag oder Azubi-Speed-Datings. Ein Beispiel, das gut ankam: unser Azubi-Wheel-Dating mit der Lüneburg Marketing GmbH – Bewerbungsgespräche im Riesenrad, das bleibt in Erinnerung!
Welche Unterstützung bietet die IHKLW konkret?
Wir unterstützen auf vielen Ebenen – exemplarisch nenne ich vier: Erstens unser Zukunftstag digital, an dem sich in diesem Jahr über 3.000 junge Menschen über Berufe und Unternehmen informiert haben. Zweitens unsere Ausbildungskampagne, die monatlich bis zu 150.000 Menschen auf Instagram erreicht (). Drittens unser Ausbildungsbotschafter-Programm: Hier kommen Auszubildende in Schulklassen und berichten auf Augenhöhe von ihrem Berufsalltag. Aktuell sind 475 Botschafterinnen und Botschafter an 113 Schulen im Einsatz – das ist gelebte Berufsorientierung. Und viertens bieten wir über unsere Plattform einen guten Weg, Ausbildungsplätze und Praktika zu finden.
Stichwort: Digitalisierung und KI – wie verändert sich die Ausbildung?
Dramatisch – im positiven Sinne. Viele Berufsbilder wandeln sich durch Automatisierung, Datenanalyse, künstliche Intelligenz. Aber: Diese Entwicklung eröffnet enorme Chancen. Wir brauchen Menschen, die nicht nur Technik bedienen, sondern sie verstehen und weiterentwickeln. Die Ausbildung wird digitaler, modularer und spezialisierter. Deshalb ist es heute wichtiger denn je, dass Betriebe mitdenken: Wie bilde ich aus für Berufe, die einem immer schnelleren Wandel unterliegen?
Ein Beispiel dafür?
Der klassische Fachinformatiker hat heute viele Varianten: Cybersecurity, Datenanalyse, IT-Systemmanagement – Ausbildungsberufe werden differenzierter. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von digitalen Kompetenzen in allen Bereichen. Selbst im Einzelhandel oder in gewerblich-technischen Berufen gehört der Umgang mit digitalen Tools längst zum Alltag.
Wie sehen Sie den neuen Berufsorientierungserlass des Landes Niedersachsen?
Positiv – und überfällig. Wir fordern schon lange, dass Berufsorientierung an Gymnasien verbindlich wird. Denn: Auch Abiturientinnen und Abiturienten profitieren enorm von einer Ausbildung. Wer frühzeitig Einblicke in unterschiedliche Berufsfelder bekommt, trifft fundiertere Entscheidungen – und das senkt langfristig auch die Zahl der Studienabbrüche. Wichtig ist es, bessere Berufsorientierung nicht nur zu verordnen, sondern durch ausreichende personelle Ressourcen dafür auch zu ermöglichen.
Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre?
Dass die duale Ausbildung endlich die Anerkennung bekommt, die sie verdient – auf Augenhöhe mit dem Studium. Und dass wir weiter neue Wege gehen: digital, praxisnah, kreativ. Unternehmen, Schulen, Eltern und Kammern müssen an einem Strang ziehen. Dann gelingt es uns, wieder mehr junge Menschen für eine Ausbildung zu begeistern.
Zum Schluss: Ihre Botschaft an Schulabgängerinnen und Schulabgänger?
Eine Ausbildung ist der perfekte Start – egal, wohin ihr später wollt. Probiert euch aus, traut euch, stellt Fragen. Ihr müsst heute nicht wissen, wo ihr in zehn Jahren steht. Aber ihr könnt heute den ersten Schritt machen.
Sandra Bengsch