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Wie deutsche Unternehmen beim Wiederaufbau helfen können
Drei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Zukunft des Landes weiter ungewiss. Das ist auch am Zustand der Wirtschaft abzulesen: Die hat dem Ansturm zwar bisher besser als von vielen erwartet standgehalten, jedoch haben auch die Unternehmen mit den Folgen des Kriegs umzugehen. Der Zustand der ukrainischen Wirtschaft wird regelmäßig von verschiedenen Organisationen im Land erhoben – die Ergebnisse der Umfragen sind aber laut Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin teils widersprüchlich. Gemeinsamkeiten zeigen sich immerhin bei den Problemen: Demnach sind die drei größten Herausforderungen in der Ukraine der Fachkräftemangel (Frauen haben das Land verlassen, Männer kämpfen an der Front), eine unzureichende Nachfrage und hohe Preise für Rohstoffe und Energie.
„Das Bild ist sehr gemischt“, sagt auch der Geschäftsführer der Auslandshandelskammer (AHK) Ukraine, Reiner Perau, der zwischen Berlin und Kyjiw pendelt. „Vieles wird in Zukunft davon abhängen, ob die Ukraine Sicherheitsgarantien erhält, damit sich das Ganze nicht irgendwann wiederholt.“ Auch die eigenen Bemühungen der Ukraine, sich weiter zu reformieren – etwa bei der Korruptionsbekämpfung – und die Annäherung an die Europäische Union zu schaffen, spiele eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau. „Wir sehen, dass deutsche Unternehmen derzeit eher zögerlich sind, in der Ukraine zu investieren“, so Perau.
Das beobachtet auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Demnach haben deutsche Unternehmen zwar großes Interesse an der Ukraine, „agieren jedoch angesichts der unsicheren Sicherheitslage und unklarer kurz- bis mittelfristiger Entwicklungen eher vorsichtig“. Die Wirtschaft in der Ukraine wachse kontinuierlich, auch das Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Ukraine nehme zu: Mit mehr als 50 abgesicherten Projekten zählte die Ukraine 2024 zu den drei wichtigsten Partnern der deutschen Investitionsversicherung. Trotzdem ist das Volumen solcher Investitionsprojekte überschaubar, „groß angelegte Investitionen deutscher Unternehmen sind in den letzten zwölf Monaten ausgeblieben“, hieß es Ende vergangenen Jahres bei der DIHK. „Viele Unternehmen verwirklichen ihre Projekte aber trotz Investitionsgarantien letztendlich doch nicht“, berichtet AHK-Geschäftsführer Perau.
Unterstützende Instrumente wie Exportkreditversicherungen und das „“-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sollen deutschen Unternehmen helfen, Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Über letzteres Programm können deutsche und europäische Unternehmen beispielsweise Darlehen „für entwicklungswirksame Investitionsvorhaben“ in unterschiedlichen Ländern erhalten. 2023 hat der Bund sogenannte Investitionsgarantien in Höhe von 1,5 Milliarden Euro übernommen.
65 Prozent der Garantienehmer erhielten laut Bundeswirtschaftsministerium erstmals eine solche Investitionsgarantie, 70 Prozent der genehmigten Anträge wurden von kleinen und mittleren Unternehmen gestellt. Vor allem für sie ist die Absicherung durch solche Förderinstrumente oftmals eine wesentliche Voraussetzung für die Investitionsentscheidung. Über die Anträge entscheidet ein Ausschuss unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums.
AHK-Ukraine-Experte Perau weiß: „Diejenigen, die tatsächlich investieren, setzen oft entweder schon lange geplante Projekte um oder bauen eine von den Russen zerschossene Fabrik wieder auf.“ Ein weiteres Feld, auf dem sich deutsche Unternehmen engagieren, sei der Bereich Verteidigung: „Dort entstehen Werke, in denen Panzer repariert und Drohnen produziert werden.“
Laut DIHK könnte aber unter anderem auch der Energiesektor interessant für deutsche Unternehmen sein. Die Integration in das europäische Stromnetz und der Ausbau dezentraler Energieversorgung könnten „Potenziale für technologische Partnerschaften und Investitionen“ eröffnen. Auch im Bau ist viel zu tun, denn ein Großteil des Gebäudebestands wurde vor 1991 errichtet und hat einen hohen Sanierungsbedarf. Inwiefern sich die Investitionslaune deutscher Unternehmen weiter entwickeln wird, hängt laut Perau vor allem mit der Sicherheitssituation zusammen: „Die beste Investitionsgarantie wäre die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine“, ist er überzeugt.
2021, vor dem Krieg, lag die Ukraine noch auf Platz 40 der wichtigsten Handelspartner Niedersachsens. Laut niedersächsischem Wirtschaftsministerium belief sich der Warenwert der Ausfuhren aus Niedersachsen in die Ukraine damals auf 294 Millionen Euro. 2023 lag dieser Wert bereits bei einer halben Milliarde Euro. Für 2024 liegt laut einem Sprecher des Ministeriums noch keine abschließende Statistik vor. Jedoch wurden schon zwischen Januar und Oktober Waren aus Niedersachsen im Wert von mehr als einer Milliarde Euro in die Ukraine exportiert, insbesondere Luftfahrzeuge, Pkw und Lkw, landwirtschaftliche Maschinen, Saat und Pflanzgut sowie Sprengstoffe und ähnliches. Auch andersherum funktioniert der Handel: Im selben Zeitraum wurden 2024 Waren im Wert von 507 Millionen Euro aus der Ukraine nach Niedersachsen importiert, vor allem Ölfrüchte, Mais, Eisenerze und anderes.
Sicher ist: Auch wenn das Ende des Konflikts noch nicht abzusehen ist, wird der Grundstein für eine langfristige wirtschaftliche Entwicklung schon heute gelegt. Für Investitionen in der Ukraine müssen Risiken und Marktchancen gegeneinander abgewogen werden. Unternehmen aus Deutschland, die sich als Partner in einem wieder erstarkenden Land positionieren möchten, bietet sich die Gelegenheit, zur Stabilisierung der Region beizutragen.
Die von Wladimir Klitschko und seinen Hamburger Geschäftspartnerinnen Tatjana Kiel und Dörte Kruppa gegründete Hilfsorganisation organisiert neben akuten Sofortmaßnahmen langfristige Hilfsprojekte und arbeitet dafür mit ukrainischen NGOs und deutschen Spenderunternehmen sowie Stiftungen zusammen. Wer aktuell ohne großes eigenes finanzielles Risiko etwas zum Wiederaufbau beitragen möchte, kann dies zum Beispiel im Rahmen solcher Projekte tun.
Anne Klesse
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