Warum Technologie allein nicht die Lösung ist

Welche Fehler Unternehmen bei der Beschäftigung mit digitalen Neuerungen wie Künstlicher Intelligenz (KI) machen und wie es besser geht, erklärt Prof. Dr. Sascha Friesike im Interview.
Laut einer aktuellen Studie des Digitalverbands Bitkom setzt jedes fünfte Unternehmen in Deutschland bereits KI ein, vier von zehn Deutschen haben ChatGPT & Co. zumindest schon einmal ausprobiert. Ist die deutsche Wirtschaft also doch schon viel digitalisierter und technologieoffener als oft kritisiert wird?
Diese Zahlen klingen auf den ersten Blick vielversprechend. ChatGPT oder ähnliches mal ausprobiert zu haben, sagt jedoch wenig über die Tiefe des Verständnisses oder den nachhaltigen Einsatz dieser Technologien aus. Ähnlich verhält es sich in Unternehmen: Nur weil KI eingesetzt wird, bedeutet das nicht, dass diese Technologien effektiv integriert sind oder tatsächlich menschliche Probleme adressieren. Zu oft erleben wir leider, dass zu einem aktuellen Thema innovative Prototypen gebaut werden, die schön anzusehen sind, aber nicht wirklich breit zum Einsatz kommen. Die eigentliche Frage sollte also sein, wie sinnvoll dieser Einsatz gestaltet wird. Das lässt sich bloß nicht so einfach abfragen.
Herr Prof. Friesike, wie sinnvoll wird KI Ihrer Einschätzung nach derzeit in Unternehmen eingesetzt?
Das ist total unterschiedlich. Ich erlebe viel Experimentelles, aber natürlich auch Leute, die da fachlich tief drin sind. Und dann sehe ich auch immer wieder Anwendungen, die aussehen, als seien sie in den 90er-Jahren gestaltet worden, aber jetzt als neues KI-Tool vorgestellt werden.
Zwölf Prozent der Unternehmen sehen laut Bitkom KI allerdings als Risiko, acht Prozent glauben sogar, dass KI überhaupt keinen Einfluss auf ihr Unternehmen haben wird. Würden Sie sagen, das ist naiv?
Das ist bemerkenswert und zeigt eine gewisse Kurzsichtigkeit dem Potenzial gegenüber. Es ist wichtig, zu verstehen, dass KI nicht zwangsläufig menschliche Tätigkeiten ersetzt, sondern sich viel eher Tätigkeiten verändern. Dabei sollte der Einsatz von KI immer mit Bedacht und unter Berücksichtigung menschlicher Faktoren erfolgen. Technologie allein kann keine Probleme lösen, wenn sie nicht in einen Kontext eingebettet ist, der die tatsächlichen Bedürfnisse und Herausforderungen adressiert. Insofern ist es vielleicht weniger eine Frage der Naivität als vielmehr der Bereitschaft, sich sowohl kritisch als auch konstruktiv mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Unternehmen sollten offen für die Chancen sein, die KI bietet, ohne dabei blauäugig Risiken und ethische Implikationen außer Acht zu lassen.
Tatsächlich werden immer stärker die Chancen von KI gesehen: Mehr als drei Viertel der deutschen Unternehmen sehen KI als Chance, vor einem Jahr waren es noch zwei Drittel. In den kommenden Jahren wollen drei Viertel der Unternehmen in KI investieren…
KI kann kreative Prozesse unterstützen, etwa bei der Ideengenerierung, indem sie etwa große Datenmengen analysiert und unerwartete Zusammenhänge aufdeckt. Sie kann bei der Auswahl von Ideen helfen, indem sie Prognosen erstellt und potenzielle Erfolgsaussichten bewertet.
Werden also künftig mehr Tätigkeiten und Arbeitsprozesse durch KI unterstützt werden?
Das ist zu erwarten. Und es betrifft nicht nur repetitive Aufgaben, sondern auch Bereiche wie Forschung und Entwick­lung, Marketing oder strategische Planung. Die Unterstützung von Aufgaben durch KI macht dort Sinn, wo sie einen jeweiligen Mehrwert bietet – sei es durch Effizienzsteigerung, neue Einblicke oder Entlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich dann um andere Themen kümmern können.
Ist die Angst vor Jobverlust durch KI trotzdem berechtigt?
Typischerweise geht es weniger darum, menschliche Expertise zu ersetzen, sondern diese zu unterstützen. Die größten Vorteile für den Einsatz dieser Technologie sind dort, wo bereits eine ausgeprägte Expertise sitzt. Wer schon gut ist, wird sozusagen unterstützt.
Beim Thema generative KI wie ChatGPT – also KI-Anwendungen, die neue Inhalte erstellen – sieht es anders aus: Jedes zweite Unternehmen findet demnach, dass sie wenig Nutzen bringt. Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst hingegen ist überzeugt, dass es auch bei der generativen KI längst nicht mehr um das „Ob“, sondern „nur noch um das Wie, Wann und Wo“ gehe…
Es geht vor allem um das „Wie“. Weil die Art und Weise, wie wir generative KI in unsere Arbeit integrieren, den Unterschied zwischen nachhaltigem Erfolg und kurzlebigem Hype ausmacht. Viele Unternehmen sind versucht, auf den KI-Zug aufzuspringen, weil die Technologie in aller Munde ist und vielversprechend klingt. Das birgt die Gefahr, dass man technologische Luftschlösser baut, die mehr Probleme machen als lösen. Generative KI muss so implementiert werden, dass sie echte menschliche Bedürfnisse adressiert und die Lösung von Problemen unterstützt, die für das Unternehmen tatsächlich relevant sind.
Was heißt das konkret?
Ich kann tolle KI-Tools bauen, die schick aussehen, deren Anwendungszweck aber total banal ist. Und das passiert auch oft, wenn Mitarbeitende unzureichend einbezogen werden und man nicht schaut, ob die Technologie sie auch wirklich zu irgendetwas befähigt.
In Studien, etwa von der Unesco, kam heraus, dass zum Beispiel Chatmodelle Rassismus, Homophobie und Ge­schlech­ter-Stereotypen repro­du­zie­ren…
Wir müssen uns mit den ethischen und sozialen Implikationen auseinandersetzen. Wie stellen wir sicher, dass die von der KI generierten Inhalte verantwortungsvoll und ohne Vorurteile sind? Wie beeinflusst der Einsatz von KI die Arbeitskultur und die Zufriedenheit der Mitarbeiter? Es geht nicht darum, Technologie um ihrer selbst willen einzuführen oder auf jeden neuen Trend aufzuspringen. Diese Art von Technikhörigkeit kann sogar kontraproduktiv sein, wenn sie die grundlegenden Bedürfnisse und Herausforderungen eines Unternehmens nicht berücksichtigt. Das sorgt für Verdruss und zunehmende Kritik gegenüber jeder neuen technischen Entwicklung. Die Mitarbeitenden werden dann regelrecht technikmüde, weil ihnen alle paar Jahre Abhilfe versprochen wird, die dann doch nicht so richtig kommt. Eine unüberlegte Einführung von KI-Systemen kann zu einer Vielzahl von Problemen führen. Technologie sollte immer als Mittel zum Zweck betrachtet werden, nicht als Selbstzweck.
Welche Fehler bei der Einführung digitaler Neuerungen sind noch typisch – und wie kann man es besser machen?
Unternehmen machen bei digitalen Neuerungen oft ähnliche Fehler wie bei ihren Innovationsbemühungen. Einer der häufigsten Fehler ist die Fokussierung auf die Technologie selbst, ohne die zugrunde liegenden menschlichen oder organisatorischen Probleme ausreichend analysiert zu haben. Dieses Phänomen wird oft als „Technological Fix“ bezeichnet – die Annahme, dass Technologie allein komplexe Herausforderungen lösen kann, ohne dass Veränderungen in Prozessen, Kultur oder Denkweisen wirklich notwendig sind. Ein weiterer Fehler ist das Fehlen klarer Ziele. Viele Unternehmen investieren in neue Technologien, weil sie als zukunftsweisend gelten, ohne genau zu definieren, wohin man damit will. Ohne klare Zielsetzungen bleibt der Einsatz von KI oder anderen digitalen Tools eine spannende Spielwiese, wirkt aber nicht in die Breite einer Organisation. Und: Veränderungen werden implementiert, ohne Bedenken ernst zu nehmen. Dadurch entsteht eine Kluft zwischen Management und Mitarbeitern, die den Erfolg digitaler Initiativen ersticken kann.
Anne Klesse