"Einstellung, Wille und Freundlichkeit begeistern"

Zuerst war es oft Zufall, dass Mitarbeitende aus sogenannten Drittstaaten – also Nicht-EU-Ländern – im Camp Reinsehlen Hotel in Schneverdingen eine berufliche Heimat fanden. Frauen aus Brasilien und von den Philippinen, aus familiären Gründen nach Deutschland gekommen, arbeiteten im Housekeeping, eine Studentin aus Thailand absolvierte ein Pflichtpraktikum. Der junge Mann, geflüchtet aus dem Sudan, der in der Küche seine Ausbildung abschloss und seither in dem Naturhotel in der Lüneburger Heide angestellt ist. Eine Auszubildende aus Vietnam empfahl einen weiteren Auszubildenden, ein tunesischer Auszubildender warb in seiner Heimat für den Ausbildungsbetrieb, so berichtet es Geschäftsführer Helko Riedinger. „So entstehen auch Kontakte innerhalb der verschiedenen Communities und auf Empfehlungen.“ Gezielt habe er sich etwa seit 2020 mit der Thematik beschäftigt.
Porträt Helko Riedinger
Helko Riedinger, Geschäftsführer des Camp Reinsehlen Hotels, hat über die Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur, der GIZ und dem Welcome Center Heidekreis viele Kontakte geknüpft, die bei der internationalen Suche nach Azubis helfen. © Andreas Tamme
Laut dem aktuellen der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) kann trotz wirtschaftlicher Stagnation jeder zweite Betrieb  offene Stellen zumindest teilweise nicht  besetzen. Insbesondere in wichtigen Zukunftsbranchen sei die Personalnot groß. Insgesamt blieben rund 1,8 Millionen Stellen unbesetzt, mehr als 90 Milliarden Euro an Wertschöpfung gingen demnach allein 2023 rechnerisch verloren. Gerade Hotellerie und Gastronomie seien als personalintensive Branchen „auf motivierte Arbeits- und Fachkräfte angewiesen“, heißt es beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. „Aufgrund des demografischen Wandels wird diese Aufgabe allerdings zu einer immer größeren Herausforderung.“
Die duale Berufsausbildung sei der wichtigste Weg zur Gewinnung zukünftiger Fachkräfte, die aber ohne gleichzeitige gezielte Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland nicht ausreiche. Und so bewertet der Dehoga die Gesetzesänderungen im vergangenen Jahr als wichtigen und überfälligen Schritt. Entscheidend sei die „schnelle und unbürokratische Umsetzung in Ausländerbehörden, Visastellen und bei der Bundesagentur für Arbeit“.
Schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten
Zum Hintergrund: 2020 trat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft.  Im Juli 2023 wurde das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung im Bundesrat beschlossen. Ausländische Fachkräfte aus Drittstaaten sollen künftig schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können. Die verschiedenen Änderungen und neuen Aufenthaltstitel treten nun schrittweise in Kraft.
Seit November 2023 gibt es bereits bessere Möglichkeiten für Hochschul­ab­sol­vent*innen, unter anderem wurden die Gehaltsgrenzen abgesenkt und die Einreise erleichtert. Die meisten für das Gastgewerbe wichtigen Änderungen werden ab März wirksam. Dann können hier beispielsweise in nicht-reglementierten Berufen auch Personen mit langer beruflicher Erfahrung arbeiten. Der Nachweis eines mindestens zweijährigen Berufs- oder Hochschulabschlusses plus zwei Jahre Berufserfahrung reichen, eine formale Anerkennung des Abschlusses in Deutschland ist nicht mehr nötig. Bei einer Einreise zur Teilnahme an Qualifi­zierungsmaßnahmen gibt es die Möglichkeit einer längeren, nun 24-monatigen, weiter verlängerbaren Aufenthaltserlaubnis. Die Altersgrenze für Bewerber*innen wird ab März von 25 auf 35 angehoben, das Sprachniveau abgesenkt. Zudem wird unter anderem die Möglichkeit der kurzzeitigen Beschäftigung von Drittstaatenangehörigen eingeführt, unabhängig von ihrer Qualifikation. Das alles soll auch den Arbeitgebenden mehr Möglichkeiten und Flexibilität geben.
Was die Neuerungen in der Praxis tatsächlich bringen werden, könne wohl frühestens in einem Jahr bilanziert werden, schätzt IHKLW-Expertin Heidrun von Wieding, Teamleiterin „Fachkräfte entwickeln“. Damit die Erleichterungen für die Arbeitsaufnahme tatsächlich fruchteten, müssten die Prozesse im Land „schneller und einfacher werden“, sagt von Wieding. „Die Erteilung von Arbeitserlaubnissen oder die Einschätzung von Referenzberufen darf nicht an fehlenden Personalkapazitäten oder komplizierten Verfahren scheitern.“ Auch müsse sich erst zeigen, „in welchem Maße die Aner­kennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen in Anspruch genommen wird“. Unternehmen rät sie, die internationalen Arbeitskräfte von Anfang an gut einzubinden und ihnen Anschlussverträge in Aussicht zu stellen. Denn: „Niemandem ist damit geholfen, wenn die Fachkräfte sich hier nicht wohlfühlen und nach kurzer Zeit wieder gehen.“ Unsere IHKLW hat dazu ein neues Beratungsangebot rund um die Rekrutierung und Beschäftigung internationaler Fachkräfte geschaffen.
Angebot an Sprachkursen  bislang zu gering
Hotelier Riedinger hat bereits vor Inkrafttreten der aktuellen Änderungen unterschiedliche Erfahrungen mit der internationalen Suche nach Auszubildenden gesammelt. Als er beispielsweise davon erfuhr, dass einige Vermittlungsagenturen zum Teil hohe Gebühren von den jungen Menschen oder deren Familien verlangen, habe er diesen Weg wieder verworfen. Das sei nicht mit den Werten und der Philosophie seines Hotels vereinbar. Über ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt und von der Bundesagentur für Arbeit gefördert wurde, und durch die Zusammenarbeit mit regionalen Initiativen wie dem Welcome Center Heidekreis hätten er und seine Kolleg*innen viel gelernt und „neue wertvolle Kontakte knüpfen können“.
Die Erfahrungen mit den Beschäftigten aus Drittstaaten selbst seien im Hotel „überwiegend positiv“. Riedinger: „Es ist vor allem die Einstellung, der Wille und auch die Freundlichkeit, mit der mich die meisten dieser jungen Menschen immer wieder begeistern. Wenn man sich in die Lage dieser jungen Leute versetzt – sie kommen in ein neues Land, mit neuer Sprache, neuer Kultur, sind auf sich alleine gestellt und so weiter –, dann versteht man erst, was sie eigentlich leisten.“
Doch vor allem der bürokratische Aufwand sei immer hoch gewesen. Um eine gelingende Integration und Einarbeitung zu ermöglichen, sei eine zusätzliche Stelle geschaffen worden. „Wir haben Wohnungen angemietet, kümmern uns um viele organisatorische Dinge, organisieren sowohl die Einreise vor Beginn wie auch Sprachkurse nach der Ankunft.“
Das Angebot an Sprachkursen sei viel zu gering und zudem im Schichtbetrieb des Gastgewerbes nur sehr schwer umsetzbar. „Oft sind die Kurse nicht ausreichend spezifisch oder nicht praxisrelevant genug“, so Riedinger. Der Betrieb sei „im regen Austausch mit den Anbietern und den Schulen und alle sind sehr bemüht, das Angebot entsprechend zu verbessern“. Er hofft nun auf einfachere Rahmenbedingungen. Denn eine weitere Hürde war bisher die Visa-Beschaffung. So habe sich der Betrieb schon vor etwa einem halben Jahr mit einem philippinischen Zimmermädchen, das aktuell in der Türkei arbeitet, auf eine Anstellung geeinigt. Aber: „Bis heute warten wir auf einen Teil der benötigten Papiere.“ Riedinger weiß: „Zum Teil sind die Kapazitäten bei den beteiligten Akteuren wie Botschaften, Ausländerbehörden, Sprachkursanbietern, Schulen und so weiter begrenzt.“ Inwiefern also die gesetzlichen Änderungen in der Praxis tatsächlich zeitnah umgesetzt werden können, bleibe abzuwarten.
Anne Klesse