„Machen Sie Herz und Verstand zu einem Superteam!“

Albert Schweitzer soll sinngemäß gesagt haben: „Wenn Sie Ihre Arbeit lieben, werden Sie auch erfolgreich sein.“ Doch trotz Erfolgs kann ein Job, ein Unternehmen mit der Zeit langweilen, nur noch wenig Neues bringen und unzufrieden machen: Wie wird ein „Hard Business“ (wieder) zu einem „Heart Business“?
Das Wichtigste ist: Hören Sie auf Ihre Herz-Stimme! Sie ist unser Bauchgefühl, unsere Intuition. Ich nenne sie das zweite Gehirn, denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Herz eine eigene Sprache spricht. Es ist wichtig, diese Sprache nicht zu verlernen. Wenn ich ein Unternehmen leite oder einer Tätigkeit nachgehe, und jeden Tag dabei Bauchgrummeln habe, höre ich offenbar nicht auf meine Herz-Stimme. Denn die sagt mir mit den unguten Gefühlen, dass etwas nicht stimmig ist. Wenn ich diese wegdränge, weil mein Verstand sagt „Ich muss das jetzt machen, ich bin dazu verpflichtet, ich trage Verantwortung“ macht das auf Dauer krank. Deshalb ist es wichtig, Herz und Verstand zu einem Superteam zu machen.

Wie gelingt das?
Gerade wir Frauen meinen oft, dass wir „Hard-Worker“ sind, die keine Pause brauchen, sondern fähig sind, mehrere Tätigkeiten auf einmal auszuüben. Wir überkompensieren, weil wir beweisen wollen, dass wir mindestens genauso gut sind wie Männer. Dabei ist wissenschaftlich erwiesen, dass Multitasking bei 98 Prozent der Bevölkerung nicht funktioniert. Um diesen Mythen zu begegnen, müssen wir innehalten und in uns hineinhorchen. Erst wenn wir selbst still sind, beispielsweise in der Meditation oder am Meer, auf den Horizont blickend, können wir auch die leisen Stimmen hören. Im Alltag überwiegt die laute Stimme des Verstandes, die Angst, Zweifel, Sorgen ausdrückt. Eine kreative Auszeit kann helfen, zum „Heart Business“ zu finden.
Nicola Sieverling mit ihrem Buch
Nicola Sieverling ist selbst zweimal umgestiegen und hat den Ratgeber „Plan B – endlich etwas finden für das man wirklich brennt“ geschrieben (Kailash, 2020). Als „persönliche Reisebegleiterin berät sie alle, die ihren individuellen Plan B entwickeln wollen. © Bea Marquardt
Eine weitere Möglichkeit ist es, etwas ganz Neues zu wagen – vielleicht den Plan B anzugehen, also eine Idee zu verwirklichen, die schon lange schlummert, aber bei der bisher immer etwas dagegen gesprochen hat. Wann ist der beste Moment für einen realistischen Plan B?
Als Unternehmer*in ist der Zeitpunkt immer dann gegeben, wenn die innere Unzufriedenheit so groß ist, dass sie für ein Gefühl des Stillstands sorgt. Wenn man spürt: Ich möchte gerne Wachstum, ich möchte mich weiterentwickeln – doch in der aktuellen Situation finde ich weder Erfüllung noch Sinnhaftigkeit oder Freude. Das ist der Moment, um Veränderung zu wagen. Vielen Menschen geht es in der Mitte ihres Lebens so, weil sie vieles selbstkritisch hinterfragen, auch die eigene Arbeitssituation. Dann stellen sich Fragen wie die, ob das jetzt schon alles gewesen sein soll. Ob man sich den aktuellen Job bis zum Ende des Lebens vorstellen kann. In einem gewissen Alter ist klar, dass es im Leben nicht darum geht, etwas aus- oder durchzuhalten, sondern darum, das eigene Leben selbst zu gestalten und aktiv in die Hand zu nehmen. Das geht nur mit einem Schritt nach vorne, raus aus der vermeintlichen Komfortzone. Die Frage nach dem „Wohin“ folgt erst später. Denn: Mal eben nebenbei nach Feierabend auf dem Sofa spätabends einen Plan B zu entwickeln ist nicht möglich. Das braucht Zeit, braucht Innenschau. Und aus meiner Erfahrung meist auch eine professionelle Begleitung. Ich höre in meinen Beratungen oft, dass meine Klientin total gelangweilt oder aber überfordert ist, aber auch Status und Lebensstandard erhalten will: ein Haus, mehrmals im Jahr mit der Familie in den Urlaub, zwei Autos in der Garage. Dann fühlt sich der Preis – das alles eventuell nicht halten zu können – zu hoch an. Deshalb geht es erst einmal um eine Analyse des Ist-Zustands. Was stört mich genau im Job? Welche SOS-Signale sendet mein Körper aus? Habe ich Zeit für mich und meine Hobbies? Ich nenne das den ehrlichen Blick in den Spiegel. In der Beratung höre ich sehr oft: „Wenn ich so nachdenke, fällt mir ein: ich habe schon lange Schulterschmerzen, hatte einen Bandscheibenvorfall, einen Hörsturz. Wenn ich ehrlich bin, spüre ich eine permanente Anspannung, die ich bisher ignoriert habe.“

Das klingt nicht gesund. Welche Methoden oder Tools gibt es außer der Beratung, die bei den ersten Schritten helfen können?
Ich empfehle unbedingt, die Erkenntnisse beim ehrlichen Blick in den Spiegel schriftlich festzuhalten. Schwarz auf Weiß dringen sie einfach stärker ins Bewusstsein. Und nur, wer das zulässt, wird ein Aha-Erlebnis haben. Mit der Potenzialanalyse lassen sich die einzigartigen Fähigkeiten und Ressourcen wie ein innerer Schatz heben. Für diese Entdeckerreise zu sich selbst helfen gezielte Fragen: Wofür brenne ich, was kann ich besonders gut, was kann ich anderen Menschen beibringen? Ein Schlüssel zur Erkenntnis ist eine Reise in die Kindheit – damals hatte jede*r Hobbies und Interessen, die nicht an finanzielle Fragen gekoppelt waren. Plan B sollte lediglich ein Ziel haben: Erfüllung, Freude, Sinnhaftigkeit. Veränderung ist nur in der Bewegung möglich, sie ist ein Prozess. Mit der beruflichen geht meist auch eine private Veränderung einher.

Dazu gehören aber auch Mut und Selbstvertrauen. Was, wenn die Angst vor Abstieg oder Scheitern überwiegt?
Angst ist tatsächlich die größte Bremse der Veränderung. Aber wir dürfen den Prozessen vertrauen. Am Ende fügen sich die vielen Puzzleteile immer zu einem großen Ganzen. Ich habe das nie anders erlebt. Und: Auch Scheitern ist erlaubt und sogar eine Chance. Denn ewig an einer Geschäftsidee festzuhalten, die nicht oder nicht mehr funktioniert, macht keinen Sinn. Dann sollte mutig nachjustiert werden. Wer ein totes Pferd reitet, sollte absteigen. Es ist übrigens auch keine Schande, als Unternehmer*in wieder zurückzugehen in den Angestelltenstatus. Meiden sollte man immer die negativen Einflüsterer, die einen zurückhalten und im Stillstand verharren lassen. Stattdessen rate ich dazu, sich Menschen zu suchen, die unterstützen, ermutigen, einem sinnbildlich den Rücken stärken, die Hand halten und mit nach vorne ziehen. Das soziale Netz, also Familie, Freunde, liebe Kolleg*innen, sind wichtige und inspirierende Faktoren auf dem Weg zur Veränderung.

Und wie können im Unternehmen die Mitarbeitenden auf dem Weg der Veränderung mitgenommen werden?
Das Zauberwort ist, wie so oft, Kommunikation, der direkte Kontakt. Da ist ein enger persönlicher Austausch mit den Mitarbeitenden nötig. Auch ihre Bedürfnisse sollten integriert werden. Ziele und Visionen sollten gemeinsam erarbeitet werden, um ein Gemeinschafts- vielleicht gar Familiengefühl und somit eine Bindung ans Unternehmen zu schaffen. Wer als Führungskraft allein in seinem Türmchen regiert, wird nicht nachhaltig und wirkungsvoll erfolgreich sein. Die Währung des 21. Jahrhunderts ist Wertschätzung. Anne Klesse
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