„Ich hatte nie das Gefühl, keine Wahl zu haben“

Familieninterne Unternehmensnachfolge: Hans-Heinrich und Nils Hinnerk Aldag haben sich für einen sanften Übergang entschieden und arbeiten gemeinsam an der Erfolgsgeschichte ihrer Waldklinik in Jesteburg.
An ein fixes Datum erinnert er sich nicht, das Familienunternehmen sei immer sehr präsent gewesen, schon von klein auf. Doch als Nils Hinnerk Aldag 2009 die Schule mit dem Abitur abschloss, habe er sich zum ersten Mal die Frage gestellt: Was kommt jetzt? „Natürlich war mir bewusst, dass sich meine Familie und insbesondere mein Vater freuen würde, wenn das Unternehmen in die Hände von mir oder meiner Schwester übergehen würde“, sagt der 31-Jährige rückblickend. „Ich hatte aber trotzdem nie das Gefühl, unter Druck zu stehen und keine andere Wahl zu haben.“ Trotzdem entschied er sich auch deshalb für ein Studium der Betriebswirtschaftslehre, um erst einmal alle Möglichkeiten offen zu halten. Als er auf den Bachelor zusteuerte, seien die Gespräche mit seinem Vater immer konkreter geworden. „Ich habe dann am Lehrstuhl für Ge­sundheitsökonomie meine Abschlussarbeit geschrieben und darauf aufbauend den Masterstudiengang Gesundheitsökonomie in Bayreuth studiert. Damit war das Ziel klar.“ Das Ziel war die Waldklinik Jesteburg, ein 1926 gegründetes Familienunternehmen, in dritter Generation von Dr. Hans-Heinrich Aldag geführt, der auch Vorsitzender der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) ist. Das Haus gehört mit aktuell knapp 500 Mitarbeitenden zu den größten Arbeitgebern im Landkreis Harburg und ist einer der führenden Einrichtungen bei der Behandlung von Patient*innen mit Verletzungen und Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems sowie des Stütz- und Bewegungsapparats. Erst im vergangenen Jahr wurde die Waldklinik um einen Neubau auf insgesamt 220 Betten erweitert.
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Nils Hinnerk Aldag (l.) und Hans-Heinrich Aldag arbeiten seit 2022 gleichberechtigt in der Geschäftsführung der Waldklinik Jesteburg zusammen. © IHKLW/tonwert21
Nils Hinnerk Aldag hat sich im Laufe des Studiums für Unternehmensführung interessiert. Dass auch der Senior selbst mal Junior im Unternehmen gewesen war, habe sicherlich geholfen, sagen beide. Er selbst sei genau genommen die längste Zeit seines Arbeitslebens „der Junior“ gewesen, erzählt Hans-Heinrich Aldag. Sein Vater starb 2015 mit 87 Jahren. „Bis zum Schluss war er Teil des Unternehmens, schaute einmal die Woche vorbei und fragte: Wie sieht es aus? Aber erzähl mir bloß nichts Negatives!“ Noch mit Ende 50 habe eine Patientin über ihn als „Junior“ gesprochen, Aldag nennt es augenzwinkernd „das Prinz-Charles-Syndrom“: „So lange die Eltern noch leben, ist man eben der Junior.“ Den Weg seines Vaters, „bis ins hohe Alter noch am Rande beratend mit dabei sein zu können, der nächsten Generation aber schnell mit großem Vertrauen die strategischen Entscheidungen und das Tagesgeschäft zu überlassen“, habe er damals „stimmig und richtig“ gefunden. Er werde dies auch für sich umzusetzen versuchen und sich Schritt für Schritt aus der Firma verabschieden, sagt der 65-Jährige.
Bis 2026 steht in rund 17.400 Unternehmen in Niedersachsen die Nachfolge an, 1.000 davon haben ihren Sitz im Bezirk unserer IHKLW. Gerade bei familieninternen Nachfolgen spielen neben den wirtschaftlichen Aspekten auch emotionale Fragen eine Rolle, die mitunter am besten mit externen Expert*innen zu klären sind. So kennt unser IHKLW-Nachfolgemoderator Kai Lührs Fälle, bei denen ein über 90-jähriger Unternehmer nicht sicher war, ob seine Tochter schon so weit sei, die Firma zu übernehmen. Die Tochter war zu dem Zeitpunkt über 60 Jahre alt. „Wer zu lange wartet hat oft das Problem, dass nicht nur er selbst alt ist, sondern auch die Mitarbeitenden, das Geschäftsmodell, die Kundschaft – dann hat das Unternehmen manchmal kaum eine Zukunft.“ Das „nicht loslassen können“ sei ein großes Problem. Lührs: „Da wird Wirtschaft leise vernichtet, weil sich zu spät gekümmert wird.“ Mit 55, spätestens 60 Jahren sollten sich Unternehmer*innen um die Nachfolge kümmern, da ein solcher Prozess in der Regel drei bis fünf Jahre dauere.
Susanne Dahncke aus Hamburg coacht bundesweit Familienunternehmer*innen und deren Nachfolger*innen. In der Theorie liefen da drei Systeme parallel, sagt sie: „Auf der einen Seite gibt es das Unternehmen, in dem gearbeitet wird, in dem Leistung bezahlt wird. Dann ist da die Familie, in der es um Liebe geht und die familientypische Art, zu kommunizieren und mit Konflikten umzugehen. Und schließlich geht es auch um Eigentümerschaft: Wer hat welche Anteile?“ Für Mitglieder einer Unternehmerfamilie überlappten sich diese drei Ebenen tagtäglich. „Deshalb sollte man sich insbesondere in schwierigen Situationen klar machen, wer gerade mit wem spricht: Vater und Sohn? Oder Chef und Nachfolger? Dies hilft, familiäre Konflikte vom Unternehmen fernzuhalten“, so Dahncke.
In Familienunternehmen beginne der Nachfolgeprozess unbewusst. „Kinder verstehen sehr früh, was es bedeutet, wenn die Mama oder der Papa von ,unserer Firma’ reden.“ Insofern sei wichtig, wie die Elterngeneration über das Unternehmen spreche. „Eine große Stolperfalle, denn wenn ständig von Stress und negativen Themen die Rede ist, wirkt das natürlich abschreckend“, so Dahncke. Gut sei es, schon mit Kindern altersgemäß über unternehmerische Themen zu sprechen. Und wenn es dann soweit ist, sollte kon­struktiv und klar die Frage gestellt werden, ob sich jemand vorstellen kann, das Familienunternehmen zu übernehmen. „Oft wird gar nicht konkret gefragt, dadurch können viele Missverständnisse entstehen.“
Bei den Aldags hingegen wurde offen darüber gesprochen. Hans-Heinrich Aldag sagt, er habe nie Bedenken hinsichtlich Qualifikation oder Einsatzbereitschaft seiner Kinder gehabt. Nils Hinnerk Aldag – und ebenso seine jüngere Schwester Kristine – hatten ihren Vater oft in der Waldklinik besucht, quasi spielerisch schon früh den Klinikalltag mitbekommen und studienbegleitend dort gejobbt. Nach Abschluss seines Masterstudiums arbeitete Nils Hinnerk Aldag zunächst noch zwei Jahre in der Verwaltung eines privaten Krankenhauskonzerns, probierte sich aus, lernte andere Herangehensweisen kennen. „Blick über den Tellerrand“ nennen die Aldags das. 2020 wechselte er in die Waldklinik. Vater und Sohn hatten sich zuvor lange Gedanken darüber gemacht, welcher Einstieg der beste wäre – für das Unternehmen, die Mitarbeitenden und sie beide.
2022 stieg Nils Hinnerk Aldag als Vertreter der vierten Generation gleichberechtigt in die Geschäftsführung auf und ist inzwischen auch Gesellschafter der Waldklinik GmbH & Co. KG. Auch seine Schwester Kristine hält eine Beteiligung, obwohl sie sich zumindest bislang für einen Berufsweg außerhalb der Klinik entschieden hat. Gemeinsam mit dem Ärztlichen Direktor und Chefarzt Dr. Christoph Dohm sowie dem orthopädischen Chefarzt Dr. Heiner Austrup wollen die Aldags nun die Jesteburger Einrichtung in die Zukunft führen. Hans-Heinrich Aldag als eine Art Außenminister, der die Kontakte zu Politik und Verbänden pflegt. „Aktuell ist die Patientennachfrage sehr groß und wird wohl aufgrund der demografischen Entwicklung weiter wachsen – aber wir können unser Angebot nur begrenzt weiter ausbauen, weil auch uns Mitarbeitende fehlen“, erzählt er. Eine ganz andere Situation als zu seinem beruflichen Einstieg. Nils Hinnerk Aldag sei der Innenminister, der sich mehr um die innerbetrieblichen Abläufe kümmere. Mit der Zusammenarbeit in der Klinik sind beide bisher sehr zufrieden. „Wir lassen uns gegenseitig Freiräume“, sagt der Sohn. „Ich finde, wir sind eine tolle Konstellation“, findet auch der Vater. Und ergänzt schmunzelnd: „Manchmal bin ich vielleicht noch ein bisschen zu dominant, aber auch ich lerne dazu.“
Anne Klesse