„Ich musste lernen, Geschäftsfrau zu werden“

Wer bei einem Schaufensterbummel in Hamburg oder Niedersachsen an einer großen Parfümerie-Kette vorbeikommt, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit die Arbeit von Sandra Hillmer bewundern: Die Lüneburgerin dekoriert für die bekannte Parfümerie deren Schaufenster.
Zwischen Stade, Hamburg und einer Filiale in Schwerin betreut sie insgesamt 20 Filialen und sorgt dafür, dass das Sortiment adäquat und alle zwei Wochen neu präsentiert wird. Daneben dekoriert sie Schaufenster für ein Oberbekleidungsgeschäft in Winsen/Luhe, ein Bestattungshaus sowie mehrere Optiker und Apotheken. Das Dekorieren sei für sie Beruf und Leidenschaft, sagt sie – seit Januar dieses Jahres ist es auch ihr eigenes Unternehmen. Mit 50 Jahren startete Hillmer noch einmal ganz neu durch – und übernahm die Firma, in der sie zuvor lange Zeit als Angestellte gearbeitet hatte.
Ein „klassisches Management-Buy-Out“ nennt das unser IHKLW-Nachfolgemoderator Kai Lührs, der in der Vergangenheit selbst einmal ein Unternehmen auf diese Weise übernommen, mittlerweile jedoch wieder verkauft hat. Als Hillmer und die damaligen Unternehmenschefinnen der Dekorationsfirma zu ihm in die Beratung kamen, seien sich die Frauen in den meisten Punkten bereits einig gewesen. „Die Situation wirkte sehr harmonisch, das hat den Prozess für alle erleichtert“, so Lührs, der immer beiden Seiten mit Rat und Tat zur Seite stehen will.
Sandra Hillmer ist gelernte Schauwerbegestalterin, der Beruf heißt heute Gestalterin für visuelles Marketing. Nach ein paar Jahren Unterbrechung kehrte sie 2016 zurück zu der Dekorationsfirma. „Meine Chefinnen und ich hatten schon immer ein gutes Verhältnis. Irgendwann kam das Thema Nachfolge auf und eine andere Mitarbeiterin und ich haben zunächst überlegt, das Unternehmen zu zweit weiterzuführen“, erzählt Hillmer. Daraus wurde dann aber letztendlich doch nichts und das Thema ruhte wieder einige Zeit. Bis eine der zwei Chefinnen ihr im Oktober 2022 mitgeteilt habe, dass sie in Rente gehen will. „Sie fragte mich, ob ich ihren Job übernehmen möchte – damit stand die Frage nach der Übernahme wieder im Raum.“
Sie habe mit Vertrauten gesprochen und sich recht schnell entschieden. „Ich wollte und konnte mich aber nicht in die bestehende GmbH einkaufen, sondern ich wollte die Firma als Einzelunternehmung weiterführen“, so Hillmer. Bei der GmbH hätte sie 25.000 Euro einsetzen müssen. „Aber ich hatte kein Privatvermögen und wollte auch nicht zu viele Schulden machen.“ Ihr sei auch klar gewesen, dass sie keine Angestellten will. „Die Verantwortung ist mir zu groß. Und ich habe hohe Ansprüche, arbeite selbst auch, wenn ich Schnupfen habe.“
Bei vielen Übernahmeprozessen seien emotional behaftete Fragen schwierig zu klären, etwa die Rollenverteilung bei einer familieninternen Nachfolge oder der Kaufpreis des mit viel Arbeit und Herz aufgebauten Lebenswerks. Lührs: „In der Regel raten wir, das Unternehmen von Experten bewerten zu lassen, zum Beispiel über einen Steuerberater.“ Dann seien manche enttäuscht, weil sie eine höhere Summe erhofft hatten. Mit Sandra Hillmer sei er hauptsächlich die verschiedenen Möglichkeiten der Finanzierung – bei Banken, der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder über Familie, Freunde oder Bekannte – durchgegangen.
Beim Thema Unternehmensnachfolge arbeitet unsere IHKLW auch mit den Wirtschaftsseniorinnen Hamburg zusammen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Existenzgründer*innen, Start-ups, Unternehmer*innen, Selbstständige und gemeinnützige Organisationen in der gesamten Metropolregion Hamburg zu beraten. So ein Nachfolgeprozess dauere je nach Unternehmensgröße, Vorarbeit und Akteur*innen mindestens ein bis drei Jahre, so Lührs. Bei Hillmer sei ihm aufgefallen, dass sie fundierte Fachkenntnisse, aber kaum kaufmännisches Wissen hatte. Schließlich ist für eine Existenzgründung und einen damit verbundenen Kredit ein professioneller Businesssplan nötig.
„Das war mit 50 schon eine Herausforderung“, sagt Hillmer. Vor allem der nötige Kredit für den Kaufpreis für die Kundendatei und einen großen Fundus an Dekorationsmaterial habe ihr Sorgen bereitet. „Aber ich hatte keine andere Wahl. Die Alternative wäre gewesen, mir einen neuen Job in Vollzeit zu suchen, das wollte ich nicht.“ Also fuchste sie sich in die neuen Themen ein. „Im Herzen bin ich durch und durch Arbeiterin, aber ich wollte und musste lernen, Geschäftsfrau zu werden.“ Kurz nahm sie auch an Treffen einer IHKLW-Gründer*innengruppe teil, doch letztendlich habe die Nachfolge- und Gründungsberatung bei Kai Lührs am besten zu ihren Fragen gepasst.
„Ich hatte ein gutes Bauchgefühl, aber das musste ich zum Beispiel für das Bankgespräch noch mit Zahlen unterfüttern“, so Hillmer. Sie gründete eine Einzelfirma und mietete statt den bisher drei Standorten eine Lagerhalle mit Büro und Arbeitsraum in Lüneburg an. Wenige Monate nach der endgültigen Entscheidung, das Unternehmen zu übernehmen, war sie Firmeninhaberin.
Ihre zwei früheren Chefinnen unterstützen sie bis heute, sagt Hillmer. „Ich habe den beiden sehr viel zu verdanken.“ Die wiederum seien glücklich darüber, dass deren mit viel Liebe aufgebaute Beziehung zum Großkunden weitergeführt wird. Eine der beiden arbeitet nun sogar auf selbstständiger Basis für sie. Hillmer ist stolz auf sich: „Manches am Geschäftsleben fällt mir noch schwer, zum Beispiel nicht alles selbst machen zu wollen, aber ich werde immer mehr Chefin.“ Das Dekorieren selbst macht ihr allerdings immer noch am meisten Freude: „Ich brauche keinen Porsche vor meiner Tür. Ich möchte einfach gerne das weitermachen, worin ich gut bin.“
Anne Klesse
IHK Lüneburg-Wolfsburg
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