„Innenstädte müssen sich als ‚Dritter Ort‘ etablieren“

Weniger Handel, mehr Möglichkeiten des Miteinanders, so skizziert Stadtplanungsexperte Professor Dr. Thomas Krüger von der HafenCity Universität Hamburg die Innenstadt der Zukunft.
Krüger-Thomas
Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger leitet seit 2000 das Arbeitsgebiet Projektentwicklung und Projektmanagement im Fachbereich Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg. Schwerpunkte der Forschung sind die Wechselwirkungen von Immobilien- und Stadtentwicklung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, Gewerbe und Zentren, sowie neue IT-gestützte Planungsinstrumente. © Stefan Groenveld
Viele Innenstädte haben mit Leerständen zu kämpfen. Ist das vor allem eine Folge der Corona-Pandemie oder gibt es andere Ursachen?
Es ist etwas weniger als zunächst befürchtet, doch die Leerstände werden sicher noch zunehmen. Insgesamt aber hat die Pandemie den Strukturwandel in den Innenstädten um mindestens sieben Jahre beschleunigt.
Wie kommt es zu diesem Struktur­wandel?
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in den Innenstädten vor allem große Ketten angesiedelt. Bekleidung, Schuhe, Parfümerie – all das gibt es nun überall, mehr oder weniger gleich. Dabei haben sehr viele Städte an individuellem Profil verloren. Das zieht erstens nur einen Teil des Publikums an und zweitens sind diese Ketten alle auch online unterwegs. Die Folge: Große Einzelhandelsflächen, die gerade für die großflächigen Filialisten geschaffen wurden, stehen zunehmend zur Disposition. Der Rückzug von Handel wird unsere Innenstädte leider noch eine Weile begleiten. Leider besonders auch von selbstständigen Ladeninhabern, die mit dem Onlinehandel, fehlender Nachfolge, Sortimentsproblemen und immer noch mit den Corona-Folgen zu kämpfen haben. Und nun kommen Inflation und Konsumzurückhaltung noch dazu. Das gilt vor allem in B-Lagen und in A-Lagen, wo manche Immobilieninhaber immer noch versuchen, hohe Mieten durchzusetzen. Dabei sollte gelten: Umso weniger Frequenz, umso weniger Attraktivität und desto geringer die Miete – oder aber höher der Leerstand von Einzelhandelsflächen.
Was braucht eine Innenstadt heute und morgen, um ein „place to be“ zu sein?
Lebendige Innenstädte brauchen gastronomische Angebote und Orte der Begegnung – auch abseits des Konsums. Soziale und kulturelle Erlebnisse werden wichtiger. Innenstädte müssen sich als sogenannter dritter Ort etablieren. Neben meinem privaten Zuhause, dem ersten Ort, und den zweiten persönlichen Orten, dem Arbeitsplatz oder Orte anderer Aktivitäten in der Stadt oder Region, tritt der Ort der persönlichen Begegnung und am besten auch der Versorgung im Alltag. Ein dritter Ort, wo ich gerne bin, wo ich Menschen treffe – Freunde, Nachbarn, aber auch Fremde. Ein Ort, an dem ich mich auskenne, mich wohlfühle, mich versorgen und entspannen kann. Das Miteinander, mit oder ohne Konsum, ist grundsätzlich ein Bedürfnis, das Innenstädte und Stadtteilzentren als sozialer und kultureller Erlebnisraum sehr gut bedienen können. Gerade für Kinder, Jugendliche und weniger einkommensstarke ältere Menschen ist das wichtig. Für alle Menschen könnten sich Innenstädte und Zentren auf diese Weise als Orte der Begegnung und der realen Erlebnisse als Gegenpol zum „Leben im Internet“ etablieren.
Die Innenstadt als Begegnungszentrum gewinnt also an Bedeutung, wichtig ist aber auch die Versorgung mit Gütern. Wie kann die Kombination gelingen?
Attraktive Innenstädte müssen multifunktionaler werden. Ob in größeren Städten oder auf dem Land: Der Schlüssel für lebendige Zentren ist die Nahversorgung. Der Lebensmitteleinzelhandel muss in den Zentren angesiedelt werden. Das bringt die Frequenzen, auch im ländlichen Raum.
Wie können Gewerbetreibende, Immobilieneigentümer und Kommunen die Innenstadt eigenständig stärken?
Wichtig ist, dass die Gemeinde, am besten Bürgermeisterin oder Bürgermeister, die entscheidenden Akteure an einen Tisch bringt: Einzelhändler, Gastronomen, Immobilieneigentümer, die Zivilgesellschaft bis hin zu Sportvereinen, sozial engagierten Gruppen und Kreativen. Auch Schulen und Kultureinrichtungen könnten mitmachen, Aktivitäten im öffentlichen Raum veranstalten. So könnten auch die Kids unmittelbar erfahren, dass die Innenstadt auch ein Raum für sie ist. Alle diese Gruppen können einen Beitrag leisten. Ideal wäre ein Public-Private-Partnership der Kommune mit den verschiedenen Akteuren. Dass sie sich eigenständig organisieren, halte ich aber für illusorisch. Zusätzlich zum eigenen Tagesgeschäft wären sie damit überfordert. Deshalb braucht es ein Transformationsmanagement, das auch das Gelenk zur Kommune bildet. Diese Kümmererinstanz könnte dann Aktionen planen und organisieren – ob ein Konzert in der Fußgängerzone, die Präsenz des Museums auf dem Marktplatz, Zwischennutzungen oder die koordinierte Wiedernutzung von leerstehenden Ladenflächen.
Wer könnte ein solches Transformationsmanagement einrichten?
Es ist eine Aufgabe für die Kommune, das Zentrum der Stadt, gewissermaßen ihr Herz, intakt und möglichst vital zu halten. Das ist allerdings keine Aufgabe, die von der klassischen Verwaltung zu lösen wäre. Es müssen Projekte mit den verschiedenen Akteuren aus der Privatwirtschaft, der Kultur und der Zivilgesellschaft entwickelt und die Verwaltung einbezogen werden. Projektentwickler aus der Beratung könnten mit diesen sehr verschiedenen Akteuren kommunizieren, die Zusammenarbeit organisieren und umsetzungsorientiert arbeiten. Es braucht jemanden, der oder die sich auskennt, Dinge pragmatisch angeht und Zugang hat – sowohl zur Stadt als auch zu den verschiedenen Akteuren.
In Niedersachsen können seit 2021 Business Improvement Districts eingerichtet werden. Ist das zugrundeliegende Gesetz eine Chance?
Das Gesetz ist jedenfalls besser als das Hamburger Pendant, das sich ausschließlich auf Eigentümer stützt. Wichtig ist, dass auch die Gewerbetreibenden, die schließlich die Wertschöpfung erbringen, die Chance haben, sich zusammenzutun. Das finde ich am niedersächsischen Gesetz sehr gut, denn dadurch ist es offen für unterschiedliche Quartiersarten und kann nicht nur in Innenstädten wirken. Wir arbeiten an der HafenCity Universität Hamburg schon rund 20 Jahre zu BIDs und in Hamburg ist währenddessen viel passiert. Da ich aber weiß, wie viel Aufwand die Stadt und auch die Handelskammer betreiben, um diese zarten Pflanzen aufblühen zu lassen, bin ich skeptisch, ob BIDs in der schwierigen Phase, in der wir uns aktuell befinden, allein zum Erfolg führen werden. Immerhin muss in Niedersachsen, wie auch in Nordrhein-Westfalen, zunächst eine eigene Rechtsform gebildet werden. Außerdem sind BIDs mit Pflichtbeiträgen verbunden, von denen nicht alle begeistert sind. Ich finde, BIDs sind eine tolle Sache, bleibe aufgrund der aufwändigen Struktur aber skeptisch, ob viele die damit einhergehenden Chancen nutzen werden.
Mit welchem Argument würden Sie einen Immobilieneigentümer von einem BID überzeugen?
Wer in ein BID investiert, investiert in die Wertentwicklung der Immobilie, denn deren Wert hängt unmittelbar von der Qualität des Umfelds ab. Das ist der entscheidende Punkt. Das kann keiner einzeln erreichen, das geht nur in abgestimmter Art und Weise. Außerdem: Wer als Gruppe Vorschläge macht, hat eine deutlich höhere Chance, wahrgenommen zu werden.
Wie kann ein erfolgreicher Mix aus Aufenthaltsqualität einer Innenstadt und guter Erreichbarkeit aussehen?
Die Kunst ist es, die unterschiedlichen Ansprüche gut zu kombinieren. Das muss nicht bedeuten, dass die Zentren komplett autofrei sind, aber verkehrsberuhigt. Gerade in der Fläche können nicht alle zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen. Sie sind auf das Auto angewiesen. Deswegen ist die Erreichbarkeit wichtig. Aber nicht jeder Laden braucht Parkplätze unmittelbar vor der Haustür. Beim innenstadtrelevanten Handel ist das Ambiente wichtiger. Denn die Kunden kommen nicht nur wegen dieses einen Ladens. Das ist, wenn es das überhaupt je gegeben hat, vorbei. Sie kommen, um in der Innenstadt eine angenehme Zeit zu verbringen und vielleicht in den einen oder anderen Laden reinzuschauen – aber nur, wenn ihnen nicht ständig die Autos vor die Füße fahren.
Sandra Bengsch

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