Vom Baumlehrpfad bis zum Recycling

Geht es um Nachhaltigkeit in Gewerbegebieten, dann sind Gewerbegebiete nicht nur zum Arbeiten da. Sie sind auch Lebensmittelpunkt – von Menschen, Pflanzen und Tieren. Die Wirtschaftsförderung Landkreis Harburg zum Beispiel entwickelt ihr neustes Gewerbegebiet nach genau dieser Leitlinie. Als Beweis für die Güte dieser Planung gab es dafür das Gold-Siegel der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB).
Der TIP Innovationspark Nordheide liegt autobahnnah bei Buchholz i.d. Nordheide und bietet auf 25 Hektar Fläche Platz für Neuansiedlungen von vor allem technologieaffinen, innovativen Unternehmen. Platz ist hier aber nicht nur für Betriebe, sondern auch für eine Piazza sowie einen Grüngürtel mit Insektenhotels, Park, Baumlehrpfad und Streuobstwiese.
Jennifer Coordes und Jens Wrede stehen auf einer Blumenwiese, im Hintergrund ist der TIP Innovationspark zu sehen.
Jennifer Coordes und Jens Wrede von der WLH haben eine klare Vision für den TIP-Innovationspark. Zum Konzept gehören Veranstaltungen ebenso wie ein Regenwassermanagement, E-Tankstellen, öffentliches WLAN, Car- & Bike-Sharing sowie Rad- und Fußwege. © WLH Wirtschaftsförderung / Bianca Augustin
„Wir haben uns gefragt, wie Gewerbegebiete der Zukunft aussehen und wie sie die Interessen von Unternehmen, Politik und Bevölkerung vereinigen können“, erklärt Projektleiterin Jennifer Coordes von der Wirtschaftsförderung Landkreis Harburg (WLH). Um klare Ziele definieren zu können, habe die WLH daher die Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) gesucht.
Auszeichnung für nachhaltiges Bauen
Die Gesellschaft ist das größte Netzwerk für nachhaltiges Bauen in Europa und zertifiziert Projekte in verschiedenen Ländern, indem die Antragsteller einen Fragenkatalog beantworten müssen. Die DGNB vergibt dabei Punkte in unterschiedlichen Kategorien: für ökologische, ökonomische, soziokulturelle, prozessorientierte und technische Aspekte.
Nachhaltigkeit in Buchholz beginnt zum Beispiel damit, dass bereits im Planungsteam Vertreter der Kommune und Grünplaner mitgearbeitet haben, dass sich ein Quartiersmanager mit der Belebung des Viertels auch abends und am Wochenende zum Beispiel in Form von Veranstaltungen befasst und dass die Bevölkerung von Beginn an umfangreich in die Planung einbezogen wird. Technisch geht es unter anderem um Lösungen für das Regenwassermanagement, um E-Tankstellen, öffentliches WLAN, eine Busverbindung, Car- & Bike-Sharing sowie Rad- und Fußwege.
Mensch und Umwelt profitieren
Von den ökologischen Pluspunkten profitieren nicht nur Flora und Fauna, sondern auch der Mensch, betont WLH-Geschäftsführer Jens Wrede. 126 Bäume unterschiedlichster klimaresistenter Arten sind gepflanzt, die passenden Wege und Sitzmöglichkeiten gibt es ebenfalls. „Das Arbeitsumfeld ist extrem wichtig. Hier geht es um Ökologie, Ökonomie, Beteiligung und Zukunftsfähigkeit. Dazu zählt auch eine hohe Aufenthaltsqualität im Quartier.“
Geplant ist außerdem ein Lehrpfad, der darüber informiert, welche Baumart warum besser mit dem Klimawandel zurechtkommt – ob Sommerlinde oder Rotahorn. Die Bäume wachsen teilweise in sogenannten Wurzelkisten: Während die Pflanzen nämlich lockeren Boden bevorzugen, haben es Straßenbauer lieber fest. In einem Forschungsprojekt prüft die Hochschule Osnabrück hier, ob die Bäume in den unterirdischen Kisten besser gedeihen als die ohne. Schüler und Schülerinnen bauten Insektenhotels, außerdem sind im Kernbereich 25 Prozent der Dachflächen als Gründächer vorgeschrieben.
25 Prozent der Dachflächen sind begrünt
Parkflächen gibt es auf den Grundstücken der Unternehmen nur in wenigen ausgewiesenen Bereichen – die Firmen im Zentrum des TIP müssen die Plätze in den Parkhäusern nutzen. Dadurch soll weniger Fläche versiegelt werden. Ziel der WLH ist, durch all diese Aspekte (auch) mehr Akzeptanz für Gewerbegebiete in der Bevölkerung zu schaffen.  Schließlich werde der Verkehr insgesamt reduziert, wenn es wohnortnahe Arbeitsmöglichkeiten gibt.
Dass Unternehmer selbst ein Interesse an nachhaltigen Gewerbegebieten haben, liege in der Natur des klassischen Unternehmertums, sagt Diplom-Kaufmann Jens Wrede: „Mittelständler leben eine große Verantwortung ihren Mitarbeitern und der Umwelt gegenüber.“ Und letztlich schone eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen die Ausgabeseite der Betriebe.
Lebenszyklus des Baus von Beginn an mitdenken
Dieser Aspekt ist auch der entricon GmbH aus Wolfsburg wichtig. Nachhaltigkeit im Gewerbebau bedeutet für die 100-prozentige Tochter der Stadtwerke Wolfsburg AG daher vor allem, den Blick über die Bauphase hinaus zu richten. „Dabei geht es um Betriebskosten und sogar einen zukünftigen Rückbau, wenn der Lebenszyklus des Baus erreicht ist“, sagt Geschäftsführer Dalibor Dreznjak. „Diese Denkweise ist eine Schlüsselkomponente für Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienwirtschaft.“ Bereits weit vor dem Gebäudebau gelte es, sich über zahlreiche Aspekte Gedanken zu machen – etwa über Lage, Nutzung, Konstruktion und Energiemix. 
Blick auf den Nordkopf Tower in Wolfsburg.
Der Nordkopftower in Wolfsburg: Die Stadtwerke haben den Altbau des Verwaltungsgebäudes nahezu komplett zurückgebaut, saniert und mit dem Neubau optisch verschmolzen. © Stadtwerke Wolfsburg/Matthias Leitzke
Dass es sich sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch lohnen kann, einen Altbestand zu nutzen, um Neues zu schaffen, zeigt der Unternehmenssitz der Stadtwerke Wolfsburg im Herzen von Wolfsburg. Nach Neubau des sogenannten Nordkopf Towers haben die Stadtwerke vor fünf Jahren den Altbau des Verwaltungsgebäudes nahezu komplett zurückgebaut, saniert und mit dem Neubau optisch verschmolzen. Geprüft wurde damals auch der Abriss des bestehenden Gebäudes. Dabei habe sich herausgestellt, dass der Rohbau noch intakt war.
entricon-Geschäftsführer Geschäftsführer Dalibor Dreznjak lehnt an einer Gebäudewand, im Hintergrund sind Bäume zu sehen.
entricon-Geschäftsführer Geschäftsführer Dalibor Dreznjak sieht die größten Potenziale für den Umweltschutz bei Bauprojekten in der Kreislaufwirtschaft. Daher setzt die entricon auf Materialien, die sich möglichst vollständig zurück bauen lassen, wenn der Lebenszyklus des Baus endet. © Stadtwerke Wolfsburg
Ausgeklügelter Energiemix
„Warum also abreißen, wenn aus bereits vorhandenen Strukturen ein modernes Gebäude mit Wert geschaffen werden kann?“, fragt Industrie-Fachwirt Dreznjak. Das Gebäude wurde nach neusten Standards saniert und dabei vor allem auch auf maximale Energieeffizienz geachtet. „Statt irgendwo auf einer freien Fläche am Stadtrand ein neues Rechenzentrum zu errichten, haben wir es ganz bewusst im Kern des Gebäudes über fünf Etagen und geschützt vor Tageslicht integriert.“ Entstehende Wärme sowie Abluft des IT-Raums werde im Heizkreis genutzt. „Das sind natürlich kleine Mengen,“ sagt Dreznjak. „Aber viele Steine fügen sich zu einem Puzzle. Damit unser Ziel erreicht wird: die Betriebskosten niedrig zu halten.“
Für das umfangreiche Nachhaltigkeitskonzept vergab die DGNB den Gold-Standard.
Auch Recycling-Fragen würden zunehmend wichtiger, macht Dreznjak deutlich: Wie kann am Ende des Lebenszyklus‘ der Rückbau realisiert und ein Großteil der Materialien wiederverwendet werden? Dabei sei es wichtig, auf einen Materialienmix zu setzen, der sich möglichst sortenrein rückbauen lasse. „Die größten Potenziale im Sinne des Umweltschutzes liegen in der Kreislaufwirtschaft“, sagt Dreznjak. „Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass der beim Abriss entstanden Schutt einst mit hohem Material- und Energieeinsatz produziert worden ist. Ein weiteres blindes Entsorgen auf Deponien wäre fatal.“ Carolin George
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