"Wir wollen Werte schaffen statt Raubbau zu betreiben"

Inga Ali arbeitete als selbstständige Einzelhändlerin für Edeka, als ihr eines klar wurde: „Wenn ich meine Produkte selbst herstelle, kann sie keiner nachmachen.“ Und, noch wichtiger: Sie kann Einfluss auf das Verfahren nehmen. Heute, gut fünf Jahre nach den ersten diffusen Gedanken im Kopf, ist Inga Ali Unternehmerin und hat gerade ihre zweite Existenz gegründet: Gemeinsam mit Pascal Raschke will sie in Hornbostel bei Winsen/Aller eigene Lebensmittel vertreiben – nicht nur bio-zertifiziert, sondern nach den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie hergestellt.
Inga Ali lernte Restaurantfachfrau, studierte Betriebswirtschaftslehre und als sie vor 2,5 Jahren hörte, dass das Hotel WildLand in Hornbostel/Aller verkauft werden soll, da machte sie sich nicht lange Gedanken darüber, was alles schieflaufen könnte. Sondern sie packte die Gelegenheit beim Schopfe. „Früh hatte ich die Idee, hier auch meine eigenen Produkte herzustellen“, erzählt die 43-Jährige. „Doch schnell musste ich feststellen: Als alleinerziehende Mutter und neben dem Hotelbetrieb funktioniert das nicht.“
Was alleine nicht geklappt hat, setzt sie jetzt mit einem Kompagnon um: Pascal Raschke. Den Handelsfachwirt, 37, kennt Ali schon aus ihrer Zeit bei Edeka, die beiden arbeiteten dort jahrelang eng zusammen. Als sie ihn fragte, ob er nicht Lust habe, mit ihr gemeinsam etwas ganz Neues zu beginnen, sagte er Ja.
Ziel ist nicht der maximale Gewinn. Unser Bestreben ist vielmehr, dass es allen gut geht.
„Nachdem ich zuletzt über Preise für Lebensmittel in millionenfacher Bestellmenge im Centbereich verhandelt habe, stellte ich mir die Frage: Wie gehen wir eigentlich mit unseren Rohstoffen um?“, erzählt Raschke aus seinen letzten Monaten im ersten Berufsleben. Die Idee seiner ehemaligen Kollegin Inga fand er daher so spannend, dass er dafür seine Festanstellung kündigte und mit ihr zusammen eine Firma gründete: die AllerLiebe GmbH.
Pascal Raschnek und Inga Ali stehen im Garten des Bio-Hotels WildLand.
Inga Ali und Pascal Raschke vertreiben mit ihrem Start-up AllerLiebe selbst hergestellte Dips, Marmeladen, Chutneys sowie Menüs in Bioland-Qualität an Biomärkte, Hofläden, Restaurants und Sportstätten. © Hans-Jürgen Wege/tonwert21.de
Im Hotel WildLand wollen sie Lebensmittel produzieren, die zum einen das Bioland-Siegel tragen. Zum anderen soll die Unternehmung dem Gemeinwohl dienen. „Ziel ist nicht der maximale Gewinn“, macht Pascal Raschke das Prinzip der Gemeinwohlökonomie deutlich. „Unser Bestreben ist vielmehr, dass es allen gut geht: uns, unseren zukünftigen Mitarbeitern, unseren Lieferanten und deren Mitarbeitern. Es geht nicht ums Geldverdienen um jeden Preis.“
Natürlich habe das System seine Grenzen, das ist auch dem Groß- und Einzelhandelskaufmann klar. Er könne schließlich nicht selbst dafür sorgen, dass wirklich alle Menschen in der gesamten Lieferkette fair bezahlt werden zum Beispiel. Ihm geht es aber um das große Ganze, darum, generelle Sicht- und Handlungsweisen zu ändern. „Wir wollen Werte schaffen anstatt Raubbau zu betreiben.“ Ähnlich wie bei einem Nachhaltigkeitsbericht werde sich die GmbH in Zukunft einem externen Audit unterziehen, zum Beispiel vom Bundesverband nachhaltige Wirtschaft e.V. oder dem Verein Gemeinwohl-Ökonomie mit Sitz in Hamburg, denen sie sich angeschlossen haben. „Unser Anspruch kann nicht sein, 100 Prozent der abgefragten Merkmale zu erreichen“, betont Inga Ali. „Als Existenzgründer können wir aber von Anfang an alle unsere Arbeitsschritte nach diesen Prinzipien ausrichten.“
So will AllerLiebe nicht mit dem Vertrieb ihrer Dips, Marmeladen, Chutneys, Soßen, Suppen sowie ganzer Menüs anfangen, bevor für die Gläser und Verpackungen nicht ein funktionierender Kreislauf besteht, also ein Mehrwegsystem. Die Lebensmittel in Gläsern richten sich an Hofläden und Bio-Fachmärkte als Vertriebsstandorte, die als Tiefkühlkost haltbare Menüs an Restaurants liefern, zum Beispiel an Sportstätten: Dann gibt es im Tennisclub auf einmal Erbsen-Minze-Suppe statt Frikadelle mit Kartoffelsalat.
Nachhaltiges Wirtschaften wird auch bedeuten, nicht über bestimmte Grenzen hinaus zu wachsen.
Zurzeit laufen die Tests, eine erste Kooperation fürs Verkaufen besteht mit dem Hof Kreuzkamp in Burgwedel, der eigene Rinder schlachtet und das Fleisch direkt vermarktet. Zum Steak-Paket vom Limousin-Rind gehört zum Beispiel das Tomaten-Chutney aus der WildLand-Küche.
Inga Ali und Pascal Raschke sind überzeugt davon, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sich mit dem Thema nachhaltiges Wirtschaften zu beschäftigen. „Es wird die Zeit kommen, da ohnehin viele dieser Aspekte vorgeschrieben sein werden“, ist die Geschäftsführerin überzeugt. Ihr Co-Gründer sagt: „Nachhaltiges Wirtschaften wird auch bedeuten, sich kleinteiliger zu bewegen und nicht über bestimmte Grenzen hinaus zu wachsen.“ Und das kann auch einmal bedeuten, darüber nachzudenken, wie man seine Kunden dazu bringen kann, dass sie weniger kaufen. Carolin George