Auf neuen Standbeinen weitergehen

Veranstaltungstechniker und Musiker entwickeln gemeinsam digitale Formate in Buchholz und Lüneburg. Die Investitionen eröffnen Einnahmequellen für die Zukunft.
Als Sandy Edwards ihr erstes digitales Konzert plante, war der Sängerin eines von Anfang an klar: Sie will nicht nur in eine Kamera singen. Sie möchte Interaktion. Und zwar am liebsten mit den Zuschauern. Um das auch in Zeiten coronabedingter Einschränkungen möglich zu machen, hat die Musikerin gemeinsam mit einem Veranstaltungstechniker kurzerhand ein neues Konzertformat entwickelt: Zum digital übertragenen Liveauftritt schalten sich die Zuschauer per Videokonferenz zu.
Die Band hatte auf einmal wieder ein Publikum – und der Betrieb Aufträge. Schon im ersten sogenannten Lockdown hat sich die Firma Groh-P.A. nicht nur mit dem Streaming von Livekonzerten einen Namen gemacht, sondern auch mit Unternehmenskonferenzen, Vorstandssitzungen sowie anderen digitalen Großveranstaltungen. Der Anbieter für Veranstaltungstechnik hat in der Corona-Pandemie ein neues Standbein gewonnen. Eins mit dem Potenzial, Gewinne zu erwirtschaften.
Musiker treten im Streaming-Studio auf
Jan Grohmann-Falke ist Meister für Veranstaltungstechnik und Inhaber der Firma Groh-P.A. in Buchholz (Nordheide). Als im März 2020 ein Konzert nach dem anderen und ein Festival nach dem anderen abgesagt wurden, hat er kurz nachgedacht – „und dann alles auf eine Karte gesetzt“, wie er sagt. Er investierte. In Technik, Fortbildungen und Personal. Die 500 Quadratmeter große Halle, die Künstler wie Johannes Oerding ansonsten für Proben ihrer Hallentourneen nutzten, baute Groh-P.A. zu einem Studio um. Einem Studio für Streaming. Das Team kaufte Kameras, und Grohmann-Falke setzte sich ans Telefon. Klapperte lokale Bands ab und regionale Unternehmer. „Ich habe Musikgruppen gesucht, die bei uns auftreten wollen, und Firmen, die diese Auftritte sponsern“, erklärt der Inhaber seine Idee aus der Anfangszeit der Pandemie.
Es funktionierte. Unternehmen traten als Sponsoren auf, lokale Musiker hatten auf einmal wieder Auftritte, Publikum und Einnahmen – wie Sandy Edwards mit der Lüneburger Band „Nite Club“. Die Streamings werden nach der sommerlichen Open-Air-Zeit fortgeführt. Davon geht nicht nur die Band aus, sondern auch Veranstaltungstechniker Jan Grohmann-Falke: „Die Möglichkeit zu streamen und die Möglichkeit für professionell ausgestattete digitale Konferenzen wird uns über die Pandemie hinaus begleiten. Die Digitalisierung auch in diesem Bereich steht schon lange an und lässt sich nicht aufhalten. Außerdem erleichtert sie vieles, gerade im Businessbereich.“
Fördermittel sorgen für Schubwirkung
Mehr als 150 Konzerte und 50 andere Veranstaltungen hat Groh-P.A. mittlerweile in seiner Halle produziert, vom Bandwettbewerb über Vorstandssitzungen von Banken und eine Spendengala bis zur Ausbildungsmesse. Auch unsere IHKLW war bereits mehrfach zu Gast, sein Konzept hat Grohmann-Falke zudem bei der Digitalisierungs-Messe „Techtide“ in Hannover vorgestellt. Um die 100.000 Euro investierte die Firma, um ihr neues Standbein so professionell wie jetzt aufzustellen. „Wir haben sogar einen neuen Mitarbeiter für die Programmierung von Abstimmungstools und Ticketverkauf eingestellt“, sagt Grohmann-Falke.
Einen Zuschuss gab es aus dem Digitalbonus.Niedersachsen der NBank, den Rest finanzierte die GmbH über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Um weitere Förderung, zum Beispiel aus dem Programm „Neustart Niedersachsen“, bemüht sich Groh-P.A. gerade. „Jetzt heißt es, weiter Vollgas zu geben“, so Grohmann-Falke. „Wir müssen unsere Schulden loswerden.“
Bei aller Kreditlast war die Entscheidung von Frühjahr 2020 aber die einzig richtige, das weiß der Inhaber schon seit langem. „Es war gut, so rechtzeitig neue Weichen zu stellen. Wir konnten unsere 30 Mitarbeiter weiter in ihren Berufen beschäftigen und die Motivation hochhalten. Das war wichtig, als wir im Juni auf einmal unzählige Anfragen für Kulturveranstaltungen im Sommer bekamen und Arbeit wie verrückt hatten.“
„Sonntagsperlen“ bringen Menschen zusammen – auch digital
Einen ähnlichen und doch anderen Weg sind in Lüneburg die Firma Amphire und die Unternehmerin Antje Blumenbach gegangen. Amphire, ebenfalls ein Profi in Sachen Veranstaltungstechnik, hat im Frühjahr 2020 kurzerhand die sogenannte Online Stage ins Leben gerufen: eine Bühne für digitale Konzerte und mehr. Dieses „mehr“ ist zum Beispiel die Sendung „Sonntagsperlen“ – eine Erfindung von Antje Blumenbach. Blumenbach ist Inhaberin der Lüneburger „Provinzperle“, eine Mischung aus Ladengeschäft, Veranstaltungsraum und Caterer. Blumenbach ist Netzwerkerin, und im Frühjahr 2019 hatte sie ein neues Format aus der Taufe gehoben: Unter dem Motto „Sonntagsperlen“ wollte sie einmal im Jahr besondere Unternehmerinnen vorstellen, dazu gab es Musik, Kunst und Wein.
Bereits die zweite Ausgabe fand dann schon nicht mehr in ihren Räumlichkeiten statt – sondern auf der digitalen Bühne, der Online Stage. „Wir haben entschieden, die Sendung live zu moderieren und zu streamen.“ Und aus einmal im Jahr wurde einmal im Monat. Da vom üblichen Geschäftsbetrieb bei beiden Firmen nicht viel übriggeblieben war, steckte das 15-köpfige Team von Amphire die Zeit in Fortbildung.
Bis zu 40.000 Zuschauer 
„Finanziell war das keine Rettung“, sagt Antje Blumenbach. Auch Nils von Walcke-Schuldt, einer von drei Amphire-Geschäftsführern und seit mehr als 20 Jahren in der Veranstaltungsbranche tätig, sagt: „Damit haben wir keinen Cent verdient.“ Doch auch unbezahlte Arbeit kann eine Art von Investition in die Zukunft sein, davon ist das neue Team überzeugt. „Wir konnten auf diesem Wege den Kontakt zu unserer Kundschaft halten“, sagt Blumenbach. „Wir haben Menschen aus dem Handel und der Gastronomie miteinander bekannt gemacht, die sich nun gegenseitig unterstützen. Das kräftigt die regionale Wirtschaft. Wer als Unternehmen Interesse hat, sich in den Sonntagsperlen vorzustellen, kann sich gern bei mir melden.“
Die Reichweite der Sendung ist enorm gestiegen: Aus dem einstigen „Provinzperlen“-Kreis sind mitunter 40.000 Zuschauer geworden. Auch wirtschaftlich könnte der zunächst aus der Not heraus eingeschlagene Weg daher eines Tages für Einnahmen in der Gewinn- und Verlustrechnung führen: Die Filme, die Blumenbach und Amphire für die Sendung in regionalen Betrieben hergestellt haben, könnten schließlich zu einem weiteren Standbein des Geschäftsmodells werden. „Bewegtbilder sind im Trend“, sagt Blumenbach. „Einen sympathischen Menschen mit seiner Mimik in seinem Betrieb zu zeigen, ist die beste Werbung überhaupt.“
Auch Amphire-Geschäftsführer Nils von Walcke-Schuldt sieht darin einen Teil seines zukünftigen Geschäftsfelds. Amphire hat mit dem Digitalbonus der NBank seine Technik im Wert von 25.000 Euro aufgestockt, das Team entsprechend fortgebildet. „Mit der Online Stage haben wir viel gelernt“, sagt von Walcke-Schuldt. „Und das können wir zukünftig anderweitig einsetzen.“
Sandra Bengsch
IHK Lüneburg-Wolfsburg
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