07.01.2013

Merkblatt zur Ersatzteilversorgung für Hersteller und Händler (Wiederverkäufer)

Da die Disposition und Lagerhaltung von Ersatzteilen für den Hersteller/Händler einen erheblichen Aufwand mit sich bringt, wird er bestrebt sein, den o. g. Zeitraum so kurz wie möglich zu halten. Dem steht das Erwerberinteresse an einer möglichst langen Nutzung von hochwertigen In­vestitionsgütern entgegen, wofür die Lieferung von Ersatzteilen auch mehrere Jahre nach Abschluss des Kaufvertrages erforderlich ist.

1. Warum stellt sich das Problem in der Praxis oft gar nicht?

Häufig wird der Hersteller/Händler oder Lieferant aus den vielfältigsten Gründen ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran haben, den Abnehmer auch noch nach Ablauf der Gewähr­leistungsfristen mit Ersatzteilen zu beliefern. Hier ist insbesondere an qualifizierte Service­leistungen zur Erhöhung der Kundenbindung, den lukrativen Exklusivvertrieb von Original­ersatzteilen über ein geschlossenes Vertriebsnetz des Herstellers (sofern kartellrechtlich zulässig, z. B. im Kfz-Bereich), die Erfüllung besonderer Garantieversprechen oder nicht zuletzt an den guten Ruf des Herstellers zu denken. Beispielsweise wirbt die Porzellan­industrie gerne damit, zerbrochene Teile später noch ersetzen zu können. Ein bayerischer Automobilhersteller garantierte für seinen mittlerweile nicht mehr angebotenen Luxussport­wagen gar eine 50 Jahre währende Ersatzteilversorgung.
Bei Automobilen dürfte die zeit­liche Grenze abhängig von Qualität und Ausstattung ungefähr bei 12 Jahren liegen, wobei diese Frist vom Zeitpunkt der Auslieferung des letzten Fahrzeuges einer Modellreihe an zu laufen beginnt. Aufgrund der in den letzten 20 Jahren rapide gewachsenen Modellvielfalt, die für die Hersteller bei der Bevorratung der immer größeren Zahl von Ersatzteilen eine zu­nehmende Herausforderung darstellt, ist es in der Vergangenheit vereinzelt immer wieder zu zeitlichen Verzögerungen bei der Ersatzteilbelieferung infolge von Versorgungs­engpässen gekommen. Da es früher kaum größere Probleme bei der Ersatzteilversorgung gab, mag dies einer der Gründe für das Fehlen einer gesetzlichen Regelung sein. Soweit ersichtlich sind auch die Gerichte nur äußerst selten mit dieser Frage befasst worden. Im Übrigen fehlt es auch an einem Handelsbrauch, aus dem sich Art, Umfang und Dauer der Bevorratungspflicht herleiten ließen.

2. Was muss der Hersteller beachten?

Der Hersteller/Händler hat seine Pflichten aus dem Kaufvertrag mit Übergabe und Über­eignung der Kaufsache grundsätzlich erfüllt. Selbstverständlich muss der Hersteller/Händler aber für die Dauer der gesetzlichen Gewährleistungsfrist bzw. der vertraglich zugesicherten Garantie eine ausreichende Zahl von Ersatzteilen bereithalten, um die innerhalb dieser Zeit­räume anfallenden notwendigen Nachbesserungen bzw. Reparaturen ausführen zu können. Nach Ablauf dieser Fristen könnte der Hersteller/Händler demnach nicht mehr zur Lieferung von Ersatzteilen verpflichtet werden.
Jedoch besteht in Rechtsprechung und Rechtslehre Einigkeit darüber, dass eine nachvertragliche Nebenpflicht des Herstellers/Händlers aus dem Kaufvertrag besteht, seine Abnehmer, insbesondere bei natürlichem Verschleiß unter­liegenden Produkten, auch nach Ablauf der o. g. Fristen für einen angemessenen Zeitraum mit Ersatzteilen zu beliefern. Dies wird aus dem das Bürgerliche Gesetzbuch be­herrschenden Grundsatz von „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB) hergeleitet. Der Wortlaut dieser Vorschrift lautet: „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“.
Angesichts dieser völlig allgemein gehaltenen Vorschrift wird es verständlich, dass Reich­weite und Umfang der Pflicht zur Ersatzteilbelieferung nur für den jeweiligen Einzelfall be­stimmt werden können. Anhaltspunkte für die Beurteilung können z. B. die folgenden Kriterien sein:
  • serienmäßige Herstellung des Ausgangsprodukts, d. h. keine Einzel- oder Sonderan­fertigungen auf Kundenwunsch
  • technische Geräte, bei denen der Ausfall eines untergeordneten Bauteils zur Unmöglich­keit der weiteren Benutzung führt, und vom Hersteller mit einem verschleißbedingten Ausfall einzelner Teile innerhalb der gewöhnlichen Nutzungsdauer des Produkts zu rechnen ist
  • zwischen Hersteller/Händler und Abnehmer besteht eine längere Geschäftsverbindung, wobei bislang regelmäßig Ersatzteile geliefert wurden
  • entsprechende Werbung des Herstellers oder Garantieversprechen
  • entsprechende Ersatzteile können vom Abnehmer nicht ohne weiteres selbst hergestellt werden
  • auf dem freien Markt sind gleichwertige Substitutionsprodukte zu einem annehmbaren Preis nicht erhältlich
  • beim Ausgangsprodukt handelt es sich um keinen Billig- oder Wegwerfartikel
Danach ist z. B. der Hersteller/Händler eines benzingetriebenen Rasenmähers verpflichtet, den verschleißfreudigen Gaszug als Ersatzteil vorrätig zu halten. Ebenso muss ein Auto­mobilhersteller den Kotflügel oder die Auspuffanlage eines Pkw-Typs als Ersatzteil anbieten. Umgekehrt konnte vom Hersteller einer Schreibmaschine nach diesen Grundsätzen nicht ver­langt werden, das in der Regel über deren gesamte Lebensdauer verschleißfreie Gehäuse als Ersatzteil vorzuhalten. Ebenso wenig ist ein Automobilhersteller verpflichtet, den in der Produktion bei der Erstausrüstung verwendeten Reifentyp als Ersatzteil zu offerieren, da ein gleichwertiges Substitutionsprodukt ohne weiteres im Reifenfachhandel zu erstehen ist. Nur wenn es sich z. B. um einen 400 km/h schnellen Supersportwagen handelt, für den aus­schließlich ein speziell entwickelter Hochgeschwindigkeitsreifen die Straßenfreigabe erhalten hat, muss der Hersteller wiederum dafür Sorge tragen, dass der stolze Eigentümer auch nach einer massiven, verkehrsbedingten Vollbremsung zu neuen Reifen kommt.

3. Wie kann sich der Hersteller/Händler gegenüber seinen Zulieferern/Lieferanten absichern?

Gerade im letzten Beispielsfall zeigt sich, dass es auch für den Hersteller/Händler wichtig ist, sich gegenüber seinen Zulieferern/Lieferanten im Hinblick auf die künftige Verfügbarkeit der bezogenen Teile vertraglich abzusichern. Ansonsten bleibt der Sportwagenproduzent/-verkäufer gegenüber seinen Kunden in der Pflicht, da der Kaufvertrag über das Fahrzeug nur zwischen diesen beiden geschlossen wird und der vielleicht im fernen Ausland sitzende und mittlerweile nur noch Traktorreifen produzierende Reifenfabrikant nicht Vertragspartei ge­worden ist.
TIPP: Bei Verträgen mit Zulieferern/Lieferanten sollte immer eine Klausel enthalten sein, die sicherstellt, dass die Ersatzteilversorgung über einen Zeitraum von z. B. fünf Jahren nach Vertragsschluss aufrechterhalten werden muss. Sofern der Zulieferer bestimmte Sonder­werkzeuge zur Ausführung des Auftrags benötigt, empfiehlt sich eine Regelung, wonach deren Vernichtung nach Vertragserfüllung nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Herstellers erfolgen darf bzw. der Hersteller das Recht hat, die Werkzeuge zu einem bereits in der Lieferantenvereinbarung festgelegten Kaufpreis zu erwerben.
Ullrich und Ulbrich empfahlen in ihrem Aufsatz „Das Bevorraten von Ersatzteilen“ (Betriebs-Berater (BB) 1995, S. 371) im Falle der Verwendung von Allgemeinen Einkaufsbedingungen etwa folgende Formulierung:
  • Der Lieferant von Waren ... verpflichtet sich, ... mindestens acht Jahre nach der letzten Lieferung für die Serienanfertigung ... noch Nachbestellungen auszuführen und bei zu­sammengesetzten Waren mindestens für den gleichen Zeitraum Ersatzteilbestellungen auszuführen.

    oder
  • Der Lieferant wird die Ersatzteilbestückung nach Auslaufen der jeweiligen Bauserie für mindestens zehn Jahre sicherstellen. Für diesen Zeitraum werden auch die zur Ersatz­teilfertigung benötigten Fertigungsmittel aufbewahrt. Die Aufbewahrungspflicht erlischt nach Ablauf dieser Frist und schriftlicher Zustimmung durch den Auftraggeber. Die Zu­stimmung darf nur aus wichtigem Grunde verweigert werden.
Allerdings sollte beachtet werden, dass die Verwendung von reinen Mindestfristen, („... für die Dauer von mindestens fünf Jahren ...“), zur Unwirksamkeit der Allgemeinen Geschäfts­bedingungen führen kann, wenn sie den Vertragspartner für eine unabsehbare Zeit binden. Bei größeren Aufträgen verdient deshalb eine individuelle vertragliche Vereinbarung in jedem Fall den Vorzug.
Sofern sich der Händler gegenüber dem Hersteller zur Erbringung von Kundendienst- und Garantieleistungen verpflichtet hat, dürfte bereits aufgrund der vertraglichen Treuepflicht ein Anspruch des Händlers auf die Belieferung mit Ersatzteilen bestehen.

4. Wie lange müssen Ersatzteile vorrätig gehalten werden?

Es liegt nahe, bei der Festlegung der jeweiligen Dauer der Ersatzteilbevorratung auf die steuerlichen Abschreibungstabellen zurückzugreifen. Nach verbreiteter Ansicht wird dies aber für wenig sinnvoll erachtet, da das Augenmerk bei der Abschreibung auf eine möglichst rasche Abnutzung zur Minderung der steuerlichen Belastung gerichtet ist. Jedoch können die Abschreibungsfristen als ein Hilfskriterium durchaus herangezogen werden, um eine grobe Orientierungshilfe bei der Bestimmung des zeitlichen Rahmens zu geben. Unter Kosten­aspekten sollten keine Ersatzteile über einen wirtschaftlich vertretbaren Zeitraum hinaus bereitgehalten werden, da die hierdurch entstehenden zusätzlichen Kosten von vornherein bei der Preiskalkulation negativ zu Buche schlagen würden.
Je nach Branche sind somit Zeiträume von weniger als fünf bzw. zehn Jahren, aber auch bis zu 20 Jahren denkbar, in denen Ersatzteile vorrätig gehalten werden sollten. Dies zeigt, welche Rechtsunsicherheit durch eine eindeutige vertragliche Regelung beseitigt werden kann.

5. Kann das Ersatzteilangebot auf Komplettkomponenten beschränkt werden?

Insbesondere im Zeitalter der Mikroelektronik ist die aufwändige Reparatur einzelner Bau­teile unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr vertretbar, weshalb immer häufiger dazu übergegangen wird, im Schadensfall komplette Baugruppen auszutauschen. Dies kann dazu führen, dass der Bruch einer Lötstelle Kosten in drei- oder vierstelliger Höhe ver­ursacht. In diesen Fällen sollte aus Herstellersicht beachtet werden, dass die Grenze von Treu und Glauben dann erreicht ist, wenn ein Missbrauch offensichtlich ist, d. h. der Hersteller die Baugruppe ohne Weiteres auch in mehrere Unterbaugruppen aufteilen könnte.

6. Ist der Hersteller zur Lieferung von Ersatzteilen an den Endabnehmer verpflichtet?

Grundsätzlich ist der Hersteller nur seinem Vertragspartner (also meist dem Händler) gegen­über zur Lieferung von Ersatzteilen verpflichtet. Vereinzelt wird auch von einem Direkt­anspruch des Endkunden gegen den Hersteller ausgegangen. Ein solcher Durchgriff dürfte mangels vertraglicher Beziehung aber vorwiegend auf jene Fälle beschränkt sein, in denen der Hersteller selbst Werbung für seine Originalersatzteile betrieben oder (wie z. B. im Kfz-Bereich) Kundendienst- bzw. Service-Scheckhefte ausgegeben hat. Im juristischen Schrift­tum wird dies mangels inhaltlicher Bestimmtheit der Werbeaussagen aber abgelehnt (vergl. nur Reinking/Eggert „Der Autokauf“, 9. Auflage, Neuwied und München 2005, Rd.-Nr.: 537).

7. Kann der Händler den Hersteller zur Nachproduktion von Ersatzteilen zwingen?

Nach Ablauf der gewöhnlichen Nutzungsdauer sind weder der Hersteller noch der Händler zur Ersatzteillieferung verpflichtet. Das Gleiche gilt, wenn der Hersteller im Zeitpunkt des Auslaufens der Produktion so viele Ersatzteile auf Vorrat produziert hatte, dass sie nach den bisherigen Erfahrungen ausgereicht hätten.
Stellt sich daraufhin ein höherer als der prognostizierte Bedarf ein, kann in der Regel nicht einmal der Hersteller zur Nachproduktion verpflichtet werden. Ebenso wenig ist er zur Über­lassung seiner Konstruktionsunterlagen oder Aufbewahrung der Werkzeugformen ver­pflichtet.
Tipp: Ein Hersteller, der keine vertragliche Regelung getroffen hat, sollte im eigenen Interesse seine Abnehmer innerhalb eines angemessenen Zeitraums vor der Produktions­einstellung auf diesen Umstand und seine bis dahin bestehende Bereitschaft zur Ersatzteil­belieferung hinweisen. Einem Betreiber bzw. Vertreiber des Produkts, der sich daraufhin nicht mit der erforderlichen Zahl von Ersatzteilen eindeckt, ist später die Berufung auf eine Pflichtverletzung des Herstellers verwehrt.
Stattdessen kann der Hersteller vor Einstellung der Produktion auch auf den voraussicht­lichen Kundenbedarf zugeschnittene Ersatzteilpakete zum Kauf anbieten oder nach einem entsprechenden Hinweis und auf Anforderung der Betreiber Werkstattzeichnungen gegen Entgelt zur Verfügung stellen, mit deren Hilfe eine Nachfertigung beim Abnehmer oder einem Dritten erfolgen kann.
Wenn der Händler in diesen Fällen das künftige Ersatzteilrisiko nicht selbst tragen will, sollte er es dem Hersteller gleichtun und seine Abnehmer über seine nicht unbegrenzte Liefer­bereitschaft informieren.

8. Kann der Hersteller die Verantwortung für das Ersatzteilwesen auf Dritte übertragen?

Die Frage, ob der Hersteller die Ersatzteile selbst bevorraten muss oder die Verantwortung für das Ersatzteilwesen auf Dritte übertragen darf, lässt sich nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich muss der Hersteller in der Lage sein, seine Abnehmer im Bedarfsfall und ins­besondere bei sicherheitsrelevanten Bauteilen innerhalb eines angemessenen (d. h. für den Abnehmer zumutbaren) Zeitraums mit Ersatzteilen zu beliefern. Wenn der Hersteller die Ersatzteilbevorratung aus logistischen Gründen einem Dritten übertragen hat, sollte dem Hersteller ein vertraglich abgesicherter und praktisch durchsetzbarer Zugriff jederzeit möglich sein. Der weitgehenden Verlagerung des bei Ersatzteilen zweifellos gegebenen Bevor­ratungsrisikos auf die Vertriebspartner steht häufig das bei Formularverträgen eingreifende Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB entgegen.

9. Kann der Händler Kunden, die Ersatzteile benötigen, an den Hersteller oder Lieferanten verweisen ?

Unproblematisch ist dies immer dann, wenn Hersteller und Kunde hiermit einverstanden sind. In den übrigen Fällen gilt folgender Grundsatz: Sofern der Warenabsatz über einen Händler erfolgt ist, besteht nach ganz überwiegender Ansicht mangels vertraglicher Be­ziehungen kein Direktanspruch des Endabnehmers gegen den Hersteller auf die Lieferung von Ersatzteilen. Jedoch kann der Händler im Falle der Inanspruchnahme durch den End­kunden bei seinem Vertragspartner (dem Hersteller oder Lieferanten) Regress nehmen. Darüber hinaus ist eine Abtretung des bestehenden Anspruchs des Händlers gegen den Lieferanten an den Endkunden denkbar. Ausnahmsweise besteht ein direkter Anspruch des Endabnehmers gegen den Hersteller, wenn letzterer für seine Originalersatzteile geworben oder (wie im Kfz-Bereich) Kundendienst- bzw. Service-Scheckhefte ausgegeben hat, was teilweise mangels inhaltlicher Bestimmtheit bestritten wird.

10. Muss der Händler ein eigenes Ersatzteillager unterhalten ?

Eine Verpflichtung des Händlers zur Ersatzteilbevorratung besteht i. d. R. nur im Falle einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen Händler und Hersteller. Dies entspricht dem Be­streben des Händlers, seinen logistischen Aufwand im Zusammenhang mit der Lieferung von Ersatzteilen ebenso wie den hierfür erforderlichen Kapitaleinsatz möglichst gering zu halten. Allerdings muss der Händler in der Lage sein, die benötigten Ersatzteile innerhalb eines an­gemessenen (d. h. für den Abnehmer zumutbaren) Zeitraums zu beschaffen. Bei sicherheits­relevanten oder für den Weiterbetrieb einer Maschine unbedingt erforderlichen Ersatzteilen ist dieser Zeitraum selbstverständlich kürzer zu bemessen als bei Teilen von untergeordneter Bedeutung.
Gleichwohl wird es dem Image von Hersteller und Händler in jedem Fall zum Vorteil ge­reichen, wenn Ersatzteile zügig oder bei händlereigener Lagerhaltung wichtiger oder häufig verlangter Teile sofort geliefert werden können. Im Kfz-Bereich ist es z. B. nach der Gruppenfreistellungsverordnung möglich, dass der Händler wirksam verpflichtet werden kann, Ersatzteile entsprechend des binnen eines bestimmten Zeitraums zu erwartenden Ab­satzes vorrätig zu halten. Selbstverständlich darf der Hersteller dabei das in seiner Sphäre liegende Bevorratungsrisiko nicht vollständig oder überwiegend auf den Vertragshändler verlagern. Dies wird dadurch sichergestellt, dass der Hersteller den Ersatzteilbedarf nur unter angemessener Berücksichtigung der tatsächlichen Bedürfnisse des Händlers und der Kunden wirksam festlegen kann. Im Falle der Kündigung ist der Hersteller in vielen Fällen verpflichtet, die Ersatzteile gegebenenfalls zu einem geringfügig unter dem Einkaufspreis liegenden Preis zurückzunehmen, sofern sich der Vertragshändler wirksam verpflichtet hatte, Ersatzteile in erheblichem Umfang vorrätig zu halten, und er künftig keine Verwendung mehr für die vorrätig gehaltenen Teile hat. Dies gilt nicht, wenn die Kündigung ausschließlich vom Händler zu vertreten ist. Die Rücknahmepflicht des Herstellers besteht bei Fehldispositionen des Händlers nur eingeschränkt, wenn dem Hersteller der Nachweis gelingt, dass der Um­fang des vom Händler unterhaltenen Ersatzteillagers hierauf beruht.

11. Darf der Vertragshändler Ersatzteile ausschließlich vom Hersteller beziehen?

Soweit es sich um Ersatzteile für Gewährleistungs-, Garantie- oder Kulanzarbeiten handelt, ist der Vertragshändler zur Verwendung von Original-Ersatzteilen verpflichtet. Im Übrigen ist der Händler bei Ersatzteilen, die auch auf dem freien Markt erhältlich sind, nicht gehindert, diese zu vertreiben. Insoweit besteht keine Verpflichtung, Ersatzteile ausschließlich über den Hersteller zu beziehen. Allerdings bestehen die Hersteller beim Vertrieb drittbezogener Ersatzteile durch den Händler häufig darauf, dass nur solche Ersatzteile, die den hersteller­eigenen Qualitätsstandard erreichen, vertrieben oder bei Instandsetzungsarbeiten verwendet werden dürfen. So ist z. B. im Falle von Kfz-Bremsbelägen beim Direktbezug vom Zulieferer des Automobilherstellers nicht notwendig der gleiche Qualitätsstandard sichergestellt, wenn der Hersteller seinerseits zusätzliche Kontrollen oder Maßnahmen zur Qualitätssicherung ergreift. Die Europäische Kommission nimmt zu diesen Fragen in den ergänzenden Leitlinien zur Verordnung (EU)Nr. 461/2010 (Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung) für vertikale Beschränkungen in Vereinbarungen über den Verkauf und die Instandsetzung von Kraftfahrzeugen und den Vertrieb von Kraftfahrzeugersatzteilen ausführlich Stellung. Siehe Links am Ende des Dokumentes.
Tipp: Gegebenenfalls sollte der Händler seinem Kunden als Alternative zum meist teuren Originalersatzteil ein auf dem freien Markt erhältliches Substitutionsprodukt nur unter Hin­weis auf die möglicherweise schlechtere Qualität anbieten. Angesichts der zahlreichen, auf dem Markt befindlichen minderwertigen Fälschungen von hochwertigen und sicherheits­relevanten Ersatzteilen (besonders im Kfz-Bereich), die äußerlich vom Original selbst von Fachleuten kaum zu unterscheiden sind, sollte der Händler in diesem Bereich bei besonders günstig erscheinenden Angeboten von zweifelhafter Herkunft erhöhte Vorsicht walten lassen.

12. Was ist bei der Kündigung von Vertriebspartnern zu beachten?

Vor dem Hintergrund, dass viele Hersteller ihr Vertriebsnetz im Rahmen einer Neu­strukturierung straffen, kommt der Frage der übergangsweisen Weiterbelieferung langjähriger Vertragspartner (wie Händlern, Handelsvertretern und Werkstätten) mit Ersatz­teilen im Falle der Kündigung äußerste Brisanz zu. Auch wenn der ehemalige Vertrags­partner seinen Status bei wirksamer Kündigung verloren hat, muss der Hersteller immer prüfen, ob die gleichzeitige Einstellung der Ersatzteilbelieferung nicht gegen das Kartellrecht verstößt. Denn der Hersteller wird regelmäßig auf dem vom Markt für die Hauptprodukte ab­gegrenzten eigenständigen Markt für die Ersatzteile seiner Produkte marktbeherrschend sein. Aus diesem Grund ist der ehemalige Vertriebspartner auf die Weiterbelieferung mit Ersatzteilen angewiesen und insofern vom Hersteller abhängig. Insbesondere bei markt­beherrschenden Unternehmen, zulässigen Kartellen oder preisgebundenen Gütern kann das Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB (Kartellgesetz) eingreifen. Dasselbe gilt gemäß § 20 Abs. 2 GWB auch für diejenigen Hersteller, von denen kleinere und mittlere Unternehmen als Nachfrager einer bestimmten Warenart dergestalt abhängig sind, dass für sie keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Lieferanten auszuweichen. In Extremfällen wird dies dazu führen, dass der mittlerweile ein Konkurrenzfabrikat vertreibende Händler für einen mehrjährigen Übergangszeitraum einen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Belieferung mit Ersatzteilen hat. Andernfalls be­stünde für ihn kaum eine Chance, den bislang von ihm betreuten Kundenstamm aufrechtzu­erhalten. Der Hersteller muss dies in solchen Fällen trotz der massiven Gefahr, dass sich der Kunde im Falle einer Neuanschaffung „auf Anraten seines ihn über lange Jahre hinweg aus­gezeichnet betreuenden Händlers“ für ein Konkurrenzprodukt entscheidet, hinnehmen. Vor Gericht wird in solchen Fällen selbst der Hinweis des Herstellers auf sein gleichwertiges Interesse am Erhalt des Kundenstammes bzw. seinen gut ausgebauten Werkskundendienst, der alle erforderlichen Wartungs- und Reparaturleistungen für die Kunden erbringen könne, kaum Gehör finden.
Tipp: Vor Kündigung langjähriger Vertriebsverträge sollte der Hersteller immer durch einen versierten Anwalt für Kartellrecht überprüfen lassen, inwieweit dies „gefahrlos“ möglich ist. In jedem Falle ist eine detaillierte Einzelfallprüfung erforderlich, die von Fall zu Fall zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Bei Kündigung eines langjährigen Vertriebsver­trages durch den Hersteller sollte der Händler überlegen, ob er auch weiterhin zur Pflege seiner Kundenbeziehungen auf die Weiterbelieferung mit Ersatzteilen angewiesen ist. Sofern sich der Hersteller hierzu nicht freiwillig bereit erklärt, sollte gegebenenfalls ein im Kartell­recht versierter Anwalt eingeschaltet werden. In jedem Falle ist auch hier eine detaillierte Einzelfallprüfung erforderlich.

13. Wie wirkt sich die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie der EU künftig aus?

Die EU-Richtlinie 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf, die von den Mitgliedsstaaten zum 1. Januar 2002 in nationales Recht umgesetzt wurde, hat zur Folge, dass sich die gesetzliche Gewährleistungsfrist von sechs Monaten auf zwei Jahre verlängert hat. Das be­deutet, dass Ersatzteile selbstverständlich mindestens für diesen Zeitraum zur Verfügung stehen müssen.
In Gewährleistungsfällen werden die öffentlichen Werbeaussagen des Herstellers oder seines Vertreters zur Bestimmung der vom Käufer vernünftigerweise zu erwartenden Qualität herangezogen. Dies wirkt sich auch auf die Werbung für Ersatzteile aus, da der Verkäufer grundsätzlich für die Herstellerwerbung einzustehen hat. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob sich der Verkäufer die vom Hersteller verantworteten Werbeunterlagen durch deren Übernahme und Weitergabe ausdrücklich zu eigen gemacht hat. Allenfalls in Ausnahme­fällen wird dem Verkäufer der Nachweis gelingen, dass er die Herstellerwerbung weder kannte noch vernünftigerweise kennen konnte, die Herstellerwerbung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits berichtigt war oder die Kaufentscheidung von der fraglichen Werbeäußerung nicht beeinflusst sein konnte.
Wer neben der gesetzlichen Gewährleistung eine freiwillige Garantie anbietet, ist sowohl an die Garantieerklärung als auch an die einschlägige Werbung gebunden.

14. Fazit

Um die zweifellos vorhandene Rechtsunsicherheit bei der Frage, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum der Hersteller/Händler Ersatzteile an seine Abnehmer zu liefern hat, auf ein kalkulierbares Mindestmaß zu reduzieren, empfiehlt es sich in jedem Falle, bereits vor Vertragsschluss die Ersatzteilfrage in die Verhandlungen miteinzubeziehen, um so für beide Seiten für den Fall der Fälle klare Verhältnisse zu schaffen. Vor dem Hinter­grund, dass in anderen EU-Staaten Gewährleistungsfristen von über sechs Jahren gelten, gilt es insbesondere für bislang nur auf dem deutschen Markt tätige Unter­nehmen, sich im Exportfall bereits im Vorfeld genau zu erkundigen.