19.03.2021

Scheinselbständigkeit

Es gilt zwischen „Voll-Scheinselbständigen“ (§ 7 Abs. 1 SGB IV), die allen Zweigen der Sozialversicherung unterliegen (Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung) und sog. „arbeitnehmerähnlichen Selbständigen“ (§ 2 Nr. 9 SGB VI), die lediglich rentenversicherungspflichtig sind, zu differenzieren.

1. Wann liegt Scheinselbständigkeit vor?

1.1 Amtsermittlungsgrundsatz
Die Prüfung, ob eine als „selbständig“ bezeichnete Tätigkeit ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis darstellt, erfolgt vorrangig nach dem sog. Amtsermittlungsgrundsatz. Das heißt, dass die Sozialversicherungsträger vor einer Anwendung der sog. Vermutungskriterien zunächst die für und gegen ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sprechenden Tatsachen unter Mithilfe der Betroffenen ermitteln müssen. Die Einordnung des Beschäftigungsverhältnisses hat dann im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen. Für eine Sozialversicherungspflicht spricht dabei eine Tätigkeit nach Weisungen unter gleichzeitiger Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Weisungen können dabei insbesondere die Zeit, den Ort und die Dauer der Tätigkeit betreffen. 
Indizien, die für eine Scheinselbständigkeit sprechen könnten
  • Die Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis in der Summe regelmäßig im Monat 450 Euro übersteigt;
  • sie ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig;
  • ihr Auftraggeber oder ein vergleichbarer Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer verrichten;
  • ihre Tätigkeit lässt typische Merkmale unternehmerischen Handelns nicht erkennen;
  • ihre Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die sie für denselben Auftraggeber zuvor aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte.
  • sie unterliegt bei Ausübung ihrer Tätigkeit dem Weisungsrecht des Auftraggebers. 
  • sie unterliegt umfangreichen Berichtspflichten.

2. Besteht trotz Selbständigkeit Rentenversicherungspflicht?

Kann nach den zuvor gemachten Ausführungen von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen werden, gilt es in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der „Nicht-Scheinselbständige“ ein sog. „arbeitnehmerähnlicher Selbständiger“ ist und in dieser Eigenschaft der Rentenversicherungspflicht unterliegt.
Arbeitnehmerähnlich selbständig sind Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, deren Arbeitsentgelte aus diesem Beschäftigungsverhältnis in der Summe regelmäßig 450 Euro im Monat übersteigen, und die auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind (siehe § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI).

3. Kann man sich von dieser Pflicht befreien lassen?

Besteht danach eine Rentenversicherungspflicht können arbeitnehmerähnliche Selbständige sich auf Antrag in mehreren Fällen befreien lassen (§ 6 Abs. 1 a SGB VI):
  • Erstmalige Existenzgründer    
    Befreiungsmöglichkeit für drei Jahre ab Aufnahme der selbständigen Tätigkeit. Befreiungswirkung: ab dem Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt wurde, sonst erst ab Antragseingang.
  • Existenzgründer, zweiter Versuch    
    Befreiungsmöglichkeit für weitere drei Jahre ab Aufnahme der zweiten selbständigen Tätigkeit; gilt nicht, wenn die erste Tätigkeit lediglich umbenannt wird bzw. keine wesentliche Veränderung des Geschäftszwecks vorliegt.
  • Vollendung des 58. Lebensjahres 
    generelle Befreiungsmöglichkeit, wenn bereits selbständig tätig gewesen und erstmals als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger versicherungspflichtig.
    Befreiungswirkung: ab dem Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt wurde, sonst erst ab Antragseingang.
Der nicht befreiungsberechtigte arbeitnehmerähnliche Selbständige muss sich beim zuständigen Rentenversicherungsträger anmelden und die Beiträge vollumfänglich zahlen.

4. Wie kann ich rechtsverbindlich prüfen lassen, ob Scheinselbständigkeit vorliegt?

Im Anfrageverfahren (§ 7 a SGB IV) können Beteiligte eines neu zu schließenden Vertragsverhältnisses bei der Deutschen Rentenversicherung Bund eine für alle Sozialversicherungsträger verbindliche Statusentscheidung beantragen. Näheres zum sog. Statusfeststellungsverfahren finden Sie auf der Homepage der Deutschen Rentenversicherung Bund (www.deutsche-rentenversicherung.de) unter dem Suchbegriff „Statusfeststellungsverfahren. 

5. Arbeitsrecht

Grundsätzlich bedingt die Einordnung eines Beschäftigungsverhältnisses als sozialversicherungspflichtig nicht gleichzeitig, dass der Beschäftigte als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts gilt. Insbesondere können die Vermutungsregeln dort nicht angewandt werden. Das Arbeitsgericht entscheidet anhand der bisherigen Kriterien der Rechtsprechung über den Arbeitnehmerstatus.

6. Wie wirkt es sich steuerlich aus, wenn sozialversicherungspflichtig eine Veränderung erfolgt?

Die Veränderungen der Verhältnisse können auch steuerliche Konsequenzen haben. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerlich nachzuvollziehen. Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater hinzuzuziehen und sich mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen.
Scheinselbständige müssen beachten, dass sie als Arbeitnehmer den lohn-/einkommenssteuerlichen Regelungen unterliegen und durch ihre Tätigkeit künftig keine Einnahmen aus Gewerbebetrieb mehr erzielen dürften. Darüber hinaus schuldet der vermeintliche Auftragnehmer gegebenenfalls die auf seinen bisherigen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 c Abs. 2 UStG, während ein Vorsteuerabzug für den Auftraggeber (der ja in diesem Fall wie ein Arbeitgeber zu behandeln ist) nicht in Betracht kommt. Aufgrund europarechtlicher Vorgaben ist jedoch eine Berichtigung der Steuerschuld möglich, soweit der Aussteller des Abrechnungspapiers die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt hat. 
Für rentenversicherungspflichtige arbeitnehmerähnliche Selbständige hat die Änderung der Rahmenbedingungen keine steuerlichen Auswirkungen.

7. Wie wirkt sich eine festgestellte Scheinselbständigkeit gewerberechtlich aus?

Mit der Feststellung der Scheinselbständigkeit endet zugleich die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Das Gewerbe muss abgemeldet werden. Damit enden auch die gesetzliche Zugehörigkeit zur Industrie- und Handelskammer sowie die von der Branche abhängige gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft (www.berufsgenossenschaft.de).

Tipp - Vermeidung von Beitragsnachforderungen:
Wenn Unklarheiten über die Qualität eines Beschäftigungsverhältnisses bestehen, sollte innerhalb eines Monats ein Antrag auf Feststellung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund gestellt werden.