BGH: Widerrufsrecht greift bei Werkverträgen

Die Ausnahmevorschrift von § 312g BGB sieht bei der „Lieferung von Waren“, die nach Kundenspezifikation gefertigt sind, vor, dass Verbraucherinnen und Verbrauchern kein gesetzliches Widerrufsrecht zusteht. Diese Ausnahme greift nicht, wenn nicht die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz im Vordergrund steht, sondern die Herstellung eines funktionstauglichen Werks (hier ein Kurventreppenlift), so entschied der BGH im Urteil vom 20. Oktober 2021 – AZ: I ZR 96/20).
Nach § 312g BGB haben Verbraucherinnen und Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen und bei Fernabsatzverträgen ein gesetzliches Widerrufsrecht. Hiervon gibt es jedoch in § 312g Abs. 2 BGB einen Ausnahmekatalog, der wörtlich aus der Verbraucherrechte-Richtlinie übernommen wurde. Demnach besteht unter anderem bei der „Lieferung von Waren“ nach Kundenspezifikation kein gesetzliches Widerrufsrecht, also bei Waren, die nach individueller Auswahl oder Bestimmung hergestellt oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind.
Der BGH sah die Werbung mit Angabe, dass für einen Kurventreppenlift mit individuell geformten und an die Gegebenheiten vor Ort angepassten Laufschienen kein Widerrufsrecht des Verbrauchers bestehe, als wettbewerbswidrig an. Das Gericht bejahte eine Erstbegehungsgefahr hinsichtlich eines Verstoßes gegen die als Marktverhaltensregelungen einzustufenden Vorschriften des § 312d Abs. 1 BGB und Art. 246a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB, nach denen über das nach § 312g Abs. 1 BGB bestehende Widerrufsrecht zu informieren ist.
Ausschlaggebend für die Entscheidung war die Auslegung des Begriffs "Verträge zur Lieferung von Waren", die im Sinne der Verbraucherrechte-Richtlinie vorzunehmen war (Richtlinie 2011/83/EU). Demnach fallen unter den Begriff „Verträge zur Lieferung von Waren“ Kaufverträge und Werklieferungsverträge, aber weder Dienstverträge noch - jedenfalls im Regelfall - Werkverträge. Die im Streitfall erfolgte Werbung war auf den Abschluss eines Werkvertrags gerichtet, der demnach vom Ausnahmekatalog des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht umfasst wird.

Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits kommt es darauf an, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Im Streitfall lag der Schwerpunkt des angestrebten Vertrags nicht auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz am zu liefernden Treppenlift, sondern auf der Herstellung eines funktionstauglichen Werks, das zu einem wesentlichen Teil in der Anfertigung einer passenden Laufschiene und ihrer Einpassung in das Treppenhaus des Kunden besteht. Die Lieferung der Einzelteile stellt dabei einen zwar notwendigen, aber untergeordneten Zwischenschritt dar.

Stand: 08.04.2022