Pressemeldung vom 19. Januar 2023

Aus der Vergangenheit lernen, um „Hamburg 2040” zu gestalten 

Handelskammer stellt Studienergebnisse zur Verantwortlichkeit unter dem NS-Regime vor 
Die Handelskammer feiert ihren 358. Geburtstag und nimmt dies zum Anlass, sich intensiver mit der Geschichte der Kammer zur Zeit des Nationalsozialismus zu befassen. Gemeinsam mit der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg wurden heute zwei Studien vorgestellt. Die erste Veröffentlichung hat die Kammer selbst in Auftrag gegeben: „Handlungsspielräume und Verantwortlichkeiten der Handelskammer Hamburg in der NS-Zeit. Einordnungen und biographische Annäherungen" von Claudia Kemper und Hannah Rentschler. Bereits länger in Arbeit war die unabhängige Studie „Ein ehrbarer Kaufmann? Albert Schäfer, sein Unternehmen und die Stadt Hamburg 1933–1956“ von Sebastian Justke. 
An mehreren Stellen der erstgenannten Studie wird deutlich hervorgehoben, dass die Handelskammer als Teil des NS-Wirtschaftssystems aktiv an dessen Politik mitgewirkt hat. Dies beinhaltete die Ausgrenzung von jüdischen Mitgliedern, Beteiligung an „Arisierungen” sowie der Organisation von Zwangsarbeiten. 
Je nach Perspektive wird laut Studie deutlich, dass die Handelskammer entweder von Jahr zu Jahr tiefer und effizienter in das NS-System integriert wurde oder als Institution zunehmend vom NS-System vereinnahmt wurde. 
Handelskammer-Präses Norbert Aust: „Gerade, weil wir mit der Wirtschaft und darüber hinaus die Zukunft von Hamburg gestalten wollen, ist es wichtig, dass wir uns mit unserer Vergangenheit beschäftigen. Unsere Zukunftsvision ‚Hamburg 2040‘ wird nur gelingen können, wenn unsere Werte zeitgemäß sind und unsere Haltung authentisch, vor allem durch gelebte Vielfalt. Dafür müssen wir uns auch in aller Offenheit und Ehrlichkeit mit den Handlungsmöglichkeiten der Hamburger Wirtschaft in der NS-Zeit auseinandersetzen. Wir müssen uns fragen, ob einige Entscheidungen wirklich unausweichlich waren, oder auch opportunistisch.” 
Die zweite oben genannte Studie zeichnet anhand des Beispiels von Albert Schäfer nach, wie Unternehmer den Wandel in der NS-Zeit und die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Umstände jederzeit für ihre unternehmerischen und persönlichen Zwecke zu nutzen wussten. Es wird sichtbar, wie Unternehmer nicht nur in Hamburg, sondern der gesamten Bundesrepublik, ab dem Ende der 1940er Jahre viel Energie, Zeit und auch Geld darauf verwendete, das bei den Alliierten aber auch in der deutschen Öffentlichkeit bestehende Bild der Unternehmer als „Kriegsgewinnler“ oder sogar „Kriegsverbrecher“ durch das positive Bild der Unternehmer als unpolitisch und nur den wirtschaftlichen Fortschritt und dem Gemeinwohl verpflichtet zu ersetzen. Das Selbstbild, das die Unternehmen vermarkteten, zeigte diese zum einen als Opfer des Nationalsozialismus, zum anderen als sozial orientierte und gesellschaftlich verantwortlich handelnde Kraft. 
Mit den Ergebnissen der vorgestellten Studien werden die zuständigen Gremien in einem nächsten Schritt erörtern, wie diese in der Handelskammer angemessen gewürdigt werden können. 
Prof. Dr. Kirsten Heinsohn, stellvertretende Direktorin der FZH und Mitglied im begleitenden Beirat zur Studie „Handlungsräume und Verantwortlichkeiten der Handelskammer Hamburg während der NS-Zeit“, verfasst von Claudia Kemper und Hannah Rentschler: „Die innovative Studie behandelt nicht plakativ die Frage von Schuld und Täterschaft einzelner Funktionsträger der Handelskammer Hamburg zwischen 1933 und 1945, sondern stellt für die Bereiche des Ehrenamtes wie des Hauptamtes konkrete Handlungen vor. Die Tätigkeit aller Verantwortungsträger war darauf ausgerichtet, die Interessen Hamburger Wirtschaftsunternehmen unter den Bedingungen des NS-Staates und seiner auf Autarkie und Aufrüstung, später auch auf die Ausbeutung von besetzten Gebieten ausgerichteten Wirtschaftspolitik wirkungsvoll zu vertreten. Die beiden Autorinnen weisen überzeugend nach: die Handelskammer wurde nach 1933 zu einer wichtigen und vor allem funktionalen Organisation des NS-Regimes.“