Recht und Steuern

A1 Nr. 111

A1 Nr. 111
§ 1041 ZPO, §242 BGB Verbandsschiedsgericht, Regelung der Berufsausübung. EinstweiligerRechtsschutz und endgültige Anspruchserfüllung. Begriff „Schiedsgericht”. Treuund Glauben im Schieds­verfahren
Streitigkeiten zwischen einem Berufssportler und dem für seine Sportartzuständigen Fachverband über die Ausübung des Sports sind vermögens­recht­licherNatur, jedenfalls wenn dem Sportler die Ausübung seines Sports nur von diesemVerband eröffnet werden kann. Zur Entscheidung solcher Streitigkeiten kann einSchiedsgericht vereinbart werden.
Auch für das Schiedsverfahren gilt der Grundsatz von Treu und Glauben.Wenn nach der vereinbarten „Rechts- und Verfahrensordnung” des Verbandes ein„Rechtsausschuss” abschließend unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zuentscheiden hat, kann der Verband nicht geltend machen, dass der Ausschuss keinSchiedsgericht i.S.d. § 1041 Abs. 1 ZPO sei, weil er nicht extern, sondernausdrücklich als Organ des Verbandes eingerichtet ist.
Der Begriff der „vorläufigen” oder „sichernden” Maßnahmen i.S.d. § 1041ZPO erlaubt ausnahmsweise auch eine Maßnahme, die zur faktischen Erfüllungeines Anspruchs führt, wenn sich dieser Anspruch nur durch seine unmittelbareDurch­setzung sichern lässt.
OLG Frankfurta.M. Beschluss vom 5.4.2001 - 24 Sch 1/01; NJW-RR 2001, 1078 =RKS A 1 Nr. 111
Aus demSachverhalt:
DerAntragsteller wurde durch den Internationalen Leichtathletik-Verband wegenangeblichen Dopings vom 16.9.2000 bis 21.2.2002 gesperrt. Der deutscheLeichtathletik-Verband (Antragsgegner) verweigerte ihm deshalb dieStarterlaubnis für die deutsche Hallenmeisterschaft am 24./25.2.2001. Darauferwirkte der Ast. eine einstweilige Anordnung des Rechtsausschusses desdeutschen Verbandes, die dem Ag. aufgab, dem Ast. die Starterlaubnis zuerteilen. Nachdem der Senat mit Beschluss v. 22.2.2001 verfügt hatte, dass derAst. die einstweilige Anordnung vollziehen dürfe, und den Ag. durchZwangsgeldandrohung angehalten hatte, die Starterlaubnis zu erteilen, nahm der Ast. an der Meisterschaft teil und erklärte die Hauptsache fürerledigt.
Aus denGründen:
Der Senatstellt fest, dass die Hauptsache erledigt ist. Der Antrag, die Vollziehung dereinstweiligen Anordnung vom 20.2. zuzulassen, war nach § 1041 Abs. 2 S. 1 ZPOzulässig und begründet. Er erledigte sich durch die unmittelbar anschließendeplan­mäßige Durchführung der Meisterschaft, an der der Ast. teilnehmen durfteund teilnahm.
Gegenstand desAntrags - und folgerichtig der Verfügung des Senats (§ 1063 Abs. 3 S. 1 ZPO) -war die Vollziehung einer vorläufigen Maßnahme i.S.d. § 1041 Abs. 1 ZPO, einerMaßnahme, deren Vollziehung das ordentliche Gericht anordnen kann. Dieeinstweilige Anordnung des Rechts­aus­schusses ist vom staatlichen Gerichtschon deshalb als vorläufige oder sichernde Maßnahme zu bewerten, weil derRechts­aus­schuss sie auf Grund des § 55 der „Rechts- und Verfahrensordnung”des Ag. so bewertet hat. Denn der Senat hat dessen Einschätzung inhaltlichinsoweit nicht zu überprüfen, als sie nicht offensichtlich (ermessens-)fehlerhaft wäre (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 59. Aufl. [2001]§ 1041 Rd-Nr. 4). Hiervon aber kann keine Rede sein: Da der Rechtsausschuss zurHauptsache noch nicht entschieden hatte und die Meisterschaften unmittelbarbevorstanden, konnte ein Recht des Antragstellers auf Teilnahme nur durch dieErteilung der Starterlaubnis selbst gesichert werden. Der Begriff desVorläufigen oder des Sichernden schließt ebenso wenig wie der Begriff desEinstweiligen - wie er auch für das staatliche Zivilverfahren im einstweiligenVerfügungsverfahren geläufig ist - rundheraus jede Maßnahme aus, die zu einerfaktischen Erfüllung eines Anspruchs führt; im Gegenteil lassen sich, wie esaus der vorliegenden Konstellation anschaulich wird, bestimmte Ansprücheüberhaupt nur durch ihre unmittelbare Durchsetzung sichern, und die„Vorläufigkeit” oder „Einstweiligkeit” einer Anordnung oder Verfügung erschöpftsich darin, dass sie einer nachträglichen Prüfung im Verfahren zur Hauptsachezugänglich bleibt (OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 124; Baumbach aaO. Vorb. § 916Rd-Nr. 6).
Dieeinstweilige Anordnung vom 20.2.2001 ist auch - wie § 1041 Abs. 1 ZPO weitervoraussetzt - als von einem Schiedsgericht getroffen zu behandeln. EinSchiedsgericht ist eine außerhalb der staatlichen Gerichtsorganisationeingerichtete Instanz, der durch private Willenserklärungen die Entscheidungeines bürgerlichen, vermögensrechtlichen Streits an der Stelle der staatlichenGerichte übertragen worden ist (§§ 1029 Abs. 1, 1030 Abs.1 S.1 ZPO; Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 6. Aufl. [2000], 4). Die Streitigkeit, diedem Rechtsausschuss seinem Auftrag gemäß zur Behandlung unter­breitet wordenwar, war eine bürgerliche, nämlich zwischen einem Privatmann und einem Vereinbürgerlichen Rechts. Sie war auch vermögensrechtlicher Art, beruhtenämlich auf einer vermögensrechtlichen Beziehung zwischen den Parteien. DerAst. ist Berufs­sportler, und die Ausübung seines Berufs, jedenfalls innerhalbder Bundesrepublik Deutschland, kann ihm nur vom Ag. eröffnet werden. Dass dieStreitigkeit auch für den Ag. wirtschaftliche Bedeutung hat, hat er imvorliegenden Verfahren durch den Hinweis seines Verfahrensbevollmächtigtenveranschaulicht, dass für den Vorsitzenden des Senats im Blick auf die von ihmgetroffene Vollziehungsverfügung das Richterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB nichtgelte.
Die Parteienhaben wechselseitig anerkannt, dass der auf der Grundlage der „Rechts- undVerfahrensordnung” eingerichtete Rechtsausschuss des Ag. abschließend übersolche Streitigkeiten entscheiden sollte, die sich im Zusammenhang mit dersportlichen Tätigkeit des Ast. ergeben würden; eine solche Streitigkeit istauch die der einstweiligen Anordnung des Rechtsausschusses zu Grunde liegendeStreitigkeit um die Start­erlaubnis bei den deutschen Hallenmeisterschaften.Die Endgültigkeit und damit die Übertragung an der Stelle der staatlichenGerichte ergibt sich aus § 3 IV der „Rechts- und Verfahrensordnung”, wo esheißt: „Entscheidungen nach dieser Ordnung sind nach ihrer Rechtskraft unterAusschluss der ordentlichen Gerichte oder sonstiger außen­stehender Stellenendgültig”. Folgerichtig war in § 4 II aaO. als weiteres für den Begriff desSchiedsgerichts konstituierendes Merkmal (Schwab/Walter, 343;Stein/Jonas/Schlosser ZPO 21. Aufl. [1999], Vorb. § 1025 Rd-Nr. 6)festgehalten: „die Rechtsausschüsse sind unabhängig, sie sind an Weisungennicht gebunden”.
Ob derRechtsausschuss etwa deshalb nicht als Schiedsgericht i.S.d. § 1041Abs. 1 ZPOeinzustufen ist, weil er im Verhältnis zum Ag. nicht extern, vielmehrausdrücklich als Verbandsorgan eingerichtet ist (§ 6e der Satzung des Ag.; zurAbgrenzung externer Schiedsgerichtsbarkeit von eigenen Maßnahmen einesSportverbandes vgl. BGH NJW 1995, 587), bedarf keiner Klärung; denn derAg. hat sich behandeln zu lassen, als sei der in Unabhängigkeit eingerichtete,zur endgültigen Streitentscheidung unter Aus­schluss der ordentlichen Gerichteberufene Rechtsausschuss ein „Schiedsgericht” im materiellen Sinne.
Das folgtdaraus, dass der Ag. in der vereinbarten „Rechts- und Verfahrensordnung”eindeutige Regelungen getroffen hat, die bei seinem Prozessgegner nicht dengeringsten Zweifel daran lassen konnten, dass der „Rechtsausschuss” in der TatSchiedsgericht, nämlich abschließendes Entscheidungsorgan unter Ausschluss derstaatlichen Gerichte sei; so ergibt es sich aus den zitierten Regelungen §§ 3IV, 4 II, ferner aus § 95 I der „Rechts- und Verfahrensordnung”: „DieEntscheidungen der Rechtsausschüsse können durch das ordentliche Gericht nachMaßgabe des § 1042 ZPO für vollstreckbar erklärt werden”. Damitveranschaulichte der Ag. erneut die zweifelsfreie Einstufung seinesRechtsausschusses als „echtes” Schiedsgericht; denn die bei Erlass der „Rechts-und Verfahrensordnung” geltende Fassung des § 1042 ZPO war die seinerzeitgeltende Vorschrift über die vollstreckungsrechtliche Anerkennung vonSchiedssprüchen durch das staatliche Gericht.
Jedermann hatin Ausübung seiner Rechte und Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln;dieser Grundsatz beherrscht den gesamten Rechtsverkehr und damit auch denZivilprozess (BVerfG NJW 1997, 1433; BGHZ 85, 48; NJW-RR 2000, 208;Palandt/Heinrichs BGB 60. Aufl. [2001] § 242 Rd-Nr. 1; Baumbach Vorb. IIIRd-Nr. 54ff.). Treuwidrig ist der vom Ag. im Vollziehungsverfahren eingenommeneStandpunkt, der Rechtsausschuss sei kein Schiedsgericht; er hatte sich mit demAst. ganz ausdrücklich darauf geeinigt, dass die in der „Rechts- undVerfahrensordnung” getroffenen Regelungen auch für ihn verbindlich seien. Damithat er den Ast. praktisch darauf festgelegt, in Streitigkeiten wie dervorliegenden sein Recht beim Rechts­aus­schuss zu suchen, und keinen Zweifeldaran gelassen, dass er die Entscheidungen des Rechtsausschusses seinerseitsals verbindlich anerkennen und sich dem ZPO-Vollstreckungsverfahren unterwerfenwerde.
Anmerkung: Angesichts der Professionalisierung und Kommerzialisierungdes Leistungssportbetriebes ist die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtebezüglich der in diesem Bereich tätigen Schiedsgerichte allgemein für diekaufmännische Schieds­gerichts­barkeit von Bedeutung (vgl. auch OLG München26.10.2000 RKS A 1 Nr. 109).