Recht und Steuern

A3 Nr. 26

A 3 Nr. 26
§§ 549 Abs. 1, 585 BGB; 1030 Abs. 2, 1043, 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO - Ort des Verfahrens. Schiedsgerichtliche Billigkeitsentscheidung und Vertragsgestaltung ohne schiedsvertragliche Ermächtigung: Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Verfahrensfehlers, Zurückverweisung der Sache an das Schiedsgericht. Wohnraumüberlassung im Landpachtvertrag schiedsfähig
I. Für Anträge auf Vollstreckbarerklärung von in Bayern erlassenen Schiedssprüchen ist seit dem 1.1.2005 das OLG München zuständig. Entscheidend für die Zuständigkeit ist der Sitz des Schiedsgerichts. Mangels diesbezüglicher Vereinbarung und Bestimmung ist dieser dort, wo die maßgeblichen Verhandlungen des Schiedsgerichts stattfanden.
II. Einer Schiedsvereinbarung bezüglich Wohnraum steht § 1030 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht entgegen, wenn kein Mietverhältnis über Wohnraum i.S.d. § 549 Abs. 1 BGB betroffen ist, sondern ein Landpachtvertrag i.S.d. § 585 BGB, zu dessen Legaldefinition auch die Wohngebäudeüberlassung gehört.
III. Wenn ein Schiedsgericht ohne ausdrückliche Ermächtigung der Parteien eine Billigkeitsentscheidung trifft, indem sie ihr Vertragsverhältnis neu gestaltet, ist das Verfahren unzulässig. Das ordentliche Gericht muß den Schiedsspruch aufheben und - weil der Verfahrensfehler behebbar ist - die Sache auf Antrag gem. § 1059 Abs. 4 ZPO an das Schiedsgericht zurückverweisen.
OLG München Beschl.v. 22.6.2005 - 34 Sch 10/05; Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht 2005, 310 = RKS A 3 Nr. 26
Aus dem Sachverhalt:
Der Antragsteller als Verpächter und der Antragsgegner als Pächter schlossen am 29.1.2003 einen Hofpachtvertrag über ein landwirtschaftliches Anwesen in D., Bayern. Der Pachtvertrag enthält in § 14 eine Schiedsvereinbarung. Danach entscheidet über alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Pachtvertrag ein Schiedsgericht unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges. In der dem Vertrag anliegenden Schiedsvereinbarung ist geregelt:
„1. Über alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Hofpachtvertrag - auch über die Rechtswirksamkeit des Hofpachtvertrages oder einzelne seiner Bestimmungen - entscheidet unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges ein Schiedsgericht. .............
5. Die Parteien müssen vom Schiedsgericht mündlich gehört werden (rechtliches Gehör). Das Schiedsgericht bestimmt die Einzelheiten des Verfahrensganges. Der Ort des Verfahrens wird vom Schiedsgericht bestimmt.“
Nach einer zusätzlichen Vereinbarung in § 16 des Pachtvertrages ist der Pächter u.a. berechtigt, die Wohnung im Obergeschoß der Hofstelle unentgeltlich zu nutzen. Zwischen den Parteien kam es zu Streitigkeiten über die Wirksamkeit und Durchführung des Pachtvertrages. Der Ast. rief das Schiedsgericht an und machte geltend, daß er den Vertrag wegen arglistiger Täuschung durch den Antragsgegner angefochten, jedenfalls aber fristlos gekündigt habe. Der Ag. bestritt die Berechtigung zur Anfechtung bzw. fristlosen Kündigung.Am 31.1.2005 erließ das Schiedsgericht einen begründeten Schiedsspruch, in dem der Antrag, den Pachtvertrag insgesamt für unwirksam oder nichtig zu erklären, zurückgewiesen wurde (Ziff. 1). Zugleich entschied es, daß der Pachtvertrag unter neuen, vom Schiedsgericht ausgearbeiteten Regelungen bis 31.3.2023 fortgesetzt werde, u.a. jedoch die Wohnung zum 30.9.2005 zu räumen und herauszugeben sei (Ziff. 2).
OLG München 22.6.2005 RKS A 3 Nr. 26 S. 2
Der Ast. hat mit Schriftsatz vom 4.3.2005 beantragt, den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären. Der Ag. hat dem Antrag widersprochen und seinerseits mit Schriftsatz vom 25.4.2005, eingegangen beim OLG spätestens am 28.4.2005, beantragt, den Schiedsspruch in den Ziff. 2 bis 5 aufzuheben. Der Schiedsspruch sei eine Entscheidung, zu der das Schiedsgericht nicht befugt gewesen sei. Das Schiedsgericht habe sich eine eigene Rechtsetzungsmacht über die Parteien angemaßt, da es den Pachtvertrag völlig neu geregelt habe.
Der Ast. hat beantragt, den Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs zurückzuweisen. Seiner Ansicht nach war das Schiedsgericht von den Parteien zu einer solchen Entscheidung ermächtigt, da die Parteien um einen Vergleichsvorschlag gebeten hätten. Hilfsweise hat er beantragt, die Sache an das Schiedsgericht zurückzuverweisen.
Aus den Gründen:
I. Für Anträge auf Vollstreckbarerklärung von in Bayern erlassenen Schiedssprüchen ist seit dem 1.1.2005 das OLG München zuständig (§ 1025 Abs. 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 ZPO i.V.m. § 8 der Gerichtlichen Zuständigkeitsordnung Justiz i.d.F. vom 16.11.2004 GVBl. S. 471). Der streitige Schiedsspruch wurde in Bayern erlassen. Entscheidend ist hierfür der Sitz des Schiedsgerichts, § 1043 Abs. 1 ZPO. Eine ausdrückliche Vereinbarung hierzu liegt nicht vor. Die maßgeblichen Verhandlungen des Schiedsgerichts fanden am 8.7.2004 (mit Ortsbesichtigung) and 5.11.2004 (mit Zeugenvernehmung) in D. (Bayern) statt. Deshalb ist D. auch als Ort des Schiedsgerichts anzusehen (Geimer in Zöller ZPO 25. Aufl. § 1043 Rd-Nr. 1).
Die Ortsangabe „G.-B.“ (Niedersachsen) im Schiedsspruch vor den Unterschriften der drei Schiedsrichter bezieht sich - bedingt durch den Wohnsitz des Schiedsrichter-Obmanns - nur auf den Ort der schriftlichen Abfassung. Er weist keinerlei Kriterien auf, die für die Ortsbestimmung gem. § 1043 Abs. 1 S. 3 ZPO bedeutsam sind.
II. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs ist gem. § 1060 Abs. 2 S. 1 ZPO abzulehnen, weil ein Aufhebungsgrund gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO vorliegt.
Das Schiedsgericht war grundsätzlich zur Entscheidung über die Anträge der Schiedsparteien berufen. Die Parteien haben nämlich eine umfassende und wirksame Schiedsvereinbarung getroffen; sie betrifft auch die mit überlassene Wohnung. Im zwischen den Parteien geschlossenen Pachtvertrag ist in § 14 die Schiedsabrede und in § 16 unter „Zusätzliche Vereinbarungen“ erst die Überlassung der Wohnung im Obergeschoß des Wohnhauses geregelt. Gleichwohl ist davon auszugehen, daß die Schiedsabrede auch die Wohnraumüberlassung mit erfaßt. Im Zweifel ist die Reichweite einer Schiedsklausel nämlich großzügig auszulegen (Schwab/Walter Schiedsgerichtsbarkeit 7. Aufl. Abschnitt I Kap. 3 Rdz. 19). Hier handelt es sich u einen einheitlichen Vertrag, die Wohnraumüberlassung auf der Hofstelle ist mit der Verpachtung (rechtlich untrennbar) verknüpft. Die Parteien haben ersichtlich einen einheitlichen Rechtsweg für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Pacht und Wohnraumüberlassung gewollt.
Der Vereinbarung einer Schiedsklausel auch hinsichtlich der Wohnraumüberlassung steht § 1030 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht entgegen. Vorliegend ist kein Mietverhältnis über Wohnraum i.S.d. § 549 Abs. 1 BGB betroffen, sondern ein Landpachtvertrag i.S.d. § 585 BGB, zu dessen Legaldefinition auch die Wohngebäudeüberlassung gehört. Die Mitüberlassung von Wohnraum hindert nicht die einheitliche Einordnung des Vertrages als Landpachtvertrag (Weidenkaff in Palandt BGB 64. Aufl. § 585 Rd-Nr. 1). Eine ausdehnende Anwendung der aus sozialen
OLG München 22.6.2005 RKS A 3 Nr. 26 S. 3
Gesichtspunkten geschaffenen Ausnahmeregelung des § 1030 Abs. 2 ZPO kommt nicht in Betracht.
III. Der Ag. hat Aufhebungsgründe i.S.d. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO in seinem Schriftsatz vom 25.4.2005 begründet geltend gemacht. Der Ag. beruft sich zur Begründung seines Aufhebungsantrags nämlich auch darauf, daß das Schiedsgericht unberechtigterweise eine Billigkeits- statt einer Rechtsentscheidung getroffen habe. Dies ergibt sich aus seiner Rüge, das Schiedsgericht habe nicht die Rechtsmacht gehabt, den Pachtvertrag völlig neu zu gestalten. Es habe damit einen ihm nicht zustehenden Entscheidungsrahmen angewandt. Dieses Vorbringen betrifft den Fall des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 d ZPO. Für eine rechtswirksam erhobene Rüge ist die Nennung der konkreten Umstände, die für fehlerhaft gehalten werden, ausreichend, die falsche Bezeichnung der betroffenen Rechtsnorm ist unschädlich (Geimer in Zöller ZPO 25. Aufl. § 1059 Rd-Nr. 33; Gummer in Zöller ZPO § 551 Rd-Nr. 11).
Der Ag. ist mit diesem Vorbringen nicht präkludiert (§ 1060 Abs. 2 S. 3 ZPO), insb. ist die Rügefrist des § 1059 Abs. 3 S. 1 ZPO (drei Monate ab Zustellung des am 31.1.2005 ergangenen Schiedsspruchs) eingehalten.
Das Schiedsgericht hat eine Billigkeitsentscheidung getroffen. Dies ergibt sich aus der Begründung des Schiedsspruchs. So stellte sich das Schiedsgericht zur Vertragskündigung aus wichtigem Grund die Frage, ob diese Kündigung nicht doch berechtigt gewesen sei, andererseits sei dem Verpächter bewußt gewesen, daß der Pächter erhebliche Investitionen tätigen wollte. Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen kam das Schiedsgericht dann zu der Entscheidung, daß eine Vertragskündigung dem Pächter, eine Fortsetzung des bestehenden Vertrags dem Verpächter nicht zumutbar sei. Rechtliche Ausführungen zu den Ansprüchen der Schiedsparteien fehlen. Das Schiedsgericht paßte im folgenden den Pachtvertrag der aus seiner Sicht gegebenen beidseitigen Interessenlage an.
Das Schiedsgericht war nicht befugt, eine Billigkeitsentscheidung zu treffen. Grundsätzlich ist ein Schiedsgericht zu einer Rechtsentscheidung gem. der nach § 1051 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO zu ermittelnden Rechtsordnung verpflichtet, ebenso wie wenn der staatliche Richter zu entscheiden hätte (Geimer a.a.O. § 1051 Rd-Nr. 1). Eine Entscheidung nach Billigkeit setzt eine ausdrückliche Ermächtigung hierzu durch beide Parteien voraus, § 1051 Abs. 3 ZPO (BGH 26.9.1985 III ZR 16/84 MDR 1986, 130 = WM 1985, 1485 [1487] = RKS A 3 Nr. 14).
Eine solche beiderseitige Ermächtigung liegt nicht vor. Im Schiedsvertrag ist keine Ermächtigung zur Entscheidung nach Billigkeit enthalten; insbesondere liegt auch in der Berechtigung des Schiedsgerichts, die Einzelheiten des Verfahrensgangs zu bestimmen (Nr. 5 S. 2 der Schiedsvereinbarung), keine solche Ermächtigung. Diese Befugnis bezieht sich erkennbar auf den konkreten Ablauf, also auf die Organisation des Schiedsverfahrens, nicht darauf, das Schiedsgericht von dem vorgegebenen Recht freizustellen.
Eine beiderseitige Ermächtigung zu einer Billigkeitsentscheidung erging auch nicht im Lauf des schiedsgerichtlichen Verfahrens. Zwar kann die Ermächtigung bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts erteilt werden, § 1051 Abs. 3 S. 2 ZPO. Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Eine ausdrückliche Ermächtigung wurde von den Parteien nicht erklärt. Auf die Auslegung möglicher Vergleichsverhandlungen im Sinne einer Ermächtigung zu einer Billigkeitsentscheidung kommt es nicht an. Eine solche Ermächtigung muß nämlich, um Zweifelsfälle zu vermeiden, ausdrücklich ergehen, § 1051 Abs. 3 S. 1 ZPO. Dies gilt nicht nur für die im voraus erteilte Ermächtigung, sondern auch für die nachträglich, nämlich erst im
OLG München 22.6.2005 RKS A 3 Nr. 26 S. 4
Laufe des Schiedsverfahrens erteilte Ermächtigung. Auch diese Ermächtigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit als inhaltlicher Teil der Schiedsabrede der Form des § 1031 Abs. 1 ZPO (Reichold in Thomas/Putzo ZPO 26. Aufl. § 1051 Rd-Nr. 4). Sinn der Regelung ist es, daß die Ermächtigung zuweifelsfrei und eindeutig ist. Eine konkludente Ermächtigung scheidet aus (Schütze Schiedsgericht und Schiedsverfahren 3. Aufl. Rd-Nr. 183). Auf die vom Ast. angebotenen Beweise zum Vorliegen einer konkludenten Ermächtigung kommt es daher nicht an.
Im übrigen erlauben das Führen von Vergleichsverhandlungen und auch der ausdrückliche Wunsch des Antragsgegners, einen Vergleichsvorschlag zu bekommen, nicht den Schluß, daß die Partei im Fall des Scheiterns der Vergleichsverhandlungen, wie geschehen, nunmehr mit einer Billigkeitsentscheidung des Gerichts einverstanden ist.
Eine Entscheidung nach Billigkeit ohne besondere Ermächtigung hierzu durch beide Parteien stellt ein unzulässiges Verfahren dar, da die Parteivereinbarungen nicht beachtet wurden (Geimer a..a.O. § 1059 Rd-Nr. 43; BGH 26.9.1985 - III ZR 16/84 MDR 1986, 130 = WM 1985, 1485 [1486] = RKS A 3 Nr. 14).
Der Antrag auf Vollstreckbarerklätung des Schiedsspruchs ist insgesamt abzulehnen, weil die Entscheidung des Schiedsgerichts nach Billigkeit sich nicht auf einzelne selbständige Ansprüche der Parteien beschränkt, sondern die gesamte Sachentscheidung unmittelbar darauf beruht. Sowohl die Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Pachtvertrages als auch dessen Anpassung erfolgten ohne rechtlichen Maßstab allein unter Abwägung der Parteiinteressen.
Zugleich ist aus den dargelegten Gründen der gesamte Schiedsspruch aufzuheben, § 1060 Abs. 2 S.1 ZPO. Der Senat ist hierbei nicht an den Antrag des Antragsgegners, den Schiedsspruch nur in den Ziffern 2 - 5 aufzuheben, gebunden. Bei diesem Antrag handelt es sich nur um einen unselbständigen Antrag innerhalb des Vollstreckbarerklärungsverfahrens.
Die Sache ist auf den hilfsweise gestellten Antrag des Ast. gem. § 1059 Abs. 4 ZPO an das Schiedsgericht zurückzuverweisen. Es handelt sich um einen zur Zurückverweisung geeigneten Fall, da die Aufhebung des Schiedsspruchs auf einem behebbaren Verfahrensfehler beruht.